Steffen Geyer schwört auf Hanf, als Stoff für Kleidung und auch sonst. Das Cannabisgesetz ist für den Leiter des Hanfmuseums Berlin nicht der große Wurf.

Steffen Geyer im Hanf Museum vor ausgestellten Pfeifen und Bildern an der Wand

Will zeigen, dass die Pflanze mehr kann als nur zu berauschen: Steffen Geyer im Hanf Museum Berlin Foto: Miriam Klingl

wochentaz: Herr Geyer, wir befinden uns im mittlerweile sagenumwobenen Keller des Berliner Hanf Museums. Selbst der RBB war jüngst zugegen, als hier in großer Runde die Debatten zur Entkriminalisierung von Cannabis im Bundestag und im Bundesrat verfolgt wurden.

Steffen Geyer: Hier ist tatsächlich das Herz der Legalisierungsbewegung für viele Jahre gewesen. Das ist der einzige Ort der ganzen Republik, in dem seit 30 Jahren konsequent an diesem Thema gearbeitet wird. Wir waren und sind Kristallisationspunkt und Multiplikator für die deutsche Legalisierungsbewegung. Wir und der Deutsche Hanfverband, das Grüne Hilfe Netzwerk, Akzept, der Schildower Kreis, klassische Bürgerrechtsbewegungen, haben so lange immer wieder dieselben Fragen gestellt, bis die Politik nicht mehr darum herumgekommen ist, diese öffentlich zu beantworten. Und mit der Zeit kamen immer mehr Leute dazu, die die Legalisierung dufte finden. Weil es einfach so wenig sachliche Argumente gegen diese gibt.

Der Mensch

Steffen Geyer wurde 1979 in Suhl geboren. Ende der Neunziger zog er nach Berlin und wurde zu einem der bekanntesten Aktivisten im Kampf für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland. Er war in der Geschäftsführung des Deutschen Hanfverbandes tätig, Mitorganisator der Hanfparade und leitet heute das Hanf Museum in Berlin. Er hat vor 16 Jahren ein Buch über Cannabis veröffentlicht, das im KiWi-Verlag erschienen ist. Er kifft jeden Tag.

Das Museum

Das Hanf Museum Berlin gibt es seit 30 Jahren. Es ist deutschlandweit das einzige, das sich ausschließlich mit allen Aspekten rund um Hanf beschäftigt. Es bietet Informationsveranstaltungen für Schulklassen an und außerdem eine kostenlose Rechtsberatung für alles im Zusammenhang mit Cannabis, etwa für die, die eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) bestehen müssen, falls ihnen wegen des Konsums von Cannabis der Führerschein entzogen wurde.

30 Jahre lang wurde hier im Museum für das geworben, was für viele lange Teufelszeug war oder immer noch ist. Und das ganz offen.

Informieren ist nicht werben. Wir gehen nicht raus und sagen, jeder soll kiffen oder Kiffen ist das Geilste der Welt. Aber wir sagen, jeder sollte kiffen dürfen.

Sie sind Legalisierungsaktivist und der Leiter des Museums. Instrumentalisieren Sie dieses für Ihre Zwecke?

Das kann man so nicht sagen, auch wenn das Hanf Museum von Anfang an eine politische Initiative war. 1993 hat sich eine Gruppe von Leuten das Hash Marihuana & Hemp Museum in Amsterdam angeguckt. Dort wird sich sehr auf den Genussmittelaspekt konzentriert und das Thema Hanf als Nutzpflanze nur gestreift. In Deutschland aber war die Debatte während der Legalisierungswelle in den frühen Neunzigern sehr auf Nutzhanf konzentriert. Das hat dann auch das Museum geprägt. Bis heute wollen wir eher zeigen, dass die Pflanze mehr kann als nur zu berauschen.

Die Zeiten, von denen Sie sprechen, in denen die Ökos in Hanfklamotten herumrannten, sind aber vorbei, oder?

(Steht auf und zeigt auf sich) Also ich lauf mit Hanfklamotten herum. T-Shirt Hanf, Hose Hanf, Socken Hanf, Unterhose Hanf, das ist meine Arbeitskleidung. Ich habe das Potential der Pflanze eben besser erkannt als viele andere in unserer Bevölkerung. Das liegt daran, dass ich mich auch schon lange mit ihr beschäftige.

Wie lang denn schon?

Ich habe vor 30 Jahren angefangen zu kiffen, mit 15. Und hatte das Glück, dass einer derjenigen, mit denen ich das damals regelmäßig gemacht habe, schon so richtig im Hanf war. Der hat bereits Hanfwaschmittel verwendet und Hanfseife. Und der hat damals auch die Zeitschrift Hanf gelesen. Meine ersten hanfpolitischen Erfahrungen machte ich dann über diese Zeitschrift.

Seit 15 sind Sie ununterbrochen ­Kiffer?

Am Anfang ein unregelmäßiger, weil mein damaliges Budget für mehr nicht reichte. Dann aber habe ich immer regelmäßiger gekifft und seit vielen Jahren nun täglich.

Würden Sie eine derartige Karriere als Kiffer heute so noch Jugendlichen empfehlen? Auch nach der ­Entkriminalisierung von Cannabis ist der Konsum erst ab 18 Jahren erlaubt.

Ich glaube, ich bin schon sehr früh eingestiegen. Wenn hier Schulklassen im Museum sind, sage ich den Jugendlichen, dass es klüger ist, etwas länger mit dem Einstieg zu warten. Je jünger das Gehirn ist, desto gravierender können die Auswirkungen von so einigem sein, was Spaß macht. Aber es ist auch nicht so, dass Cannabis da besonders gefährlich wäre. Es wurde in Deutschland ja mehr als 50 Jahre lang viel Geld investiert, um alles Mögliche herauszufinden, was gegen Cannabis spricht. Und das einzige, was davon übrig geblieben ist, ist eine Studie, die zeigt, dass man bei Jugendlichen im Alter von 17 oder 18 Jahren im Gehirn zeigen kann, ob die gerade Cannabis konsumieren, falls die sehr früh damit angefangen haben. Aber in der Studie steht auch, dass, wenn die aufhören damit, nach ein paar Monaten wieder alles normal ist. Es ist nicht so, dass es bleibende Schäden im Gehirn gäbe. Ich bin zudem auch ein gutes Beispiel dafür, dass das Verbot von Cannabis den Jugendschutz sowieso nicht vorangebracht hat. Ich habe, wie eigentlich meine ganze Generation, die ersten Erfahrungen mit Cannabis auf dem Schulhof gemacht. Auf der Raucherinsel meiner Schule – damals gab es so etwas noch – habe ich meinen ersten Joint geraucht.

Und wie und wieso wurden Sie vom Kiffer zum Legalisierungsaktivisten?

Das geht zurück auf meine Zeit als Wehrpflichtiger bei einer Razzia auf einem Bahnhof in Nürnberg im Jahr 1997.

Moment mal: Sie, der Oberkiffer in Hanfunterhose, haben gedient?

Natürlich. Ich bin doch bürgerlich. Ich bin ein Vertreter der spießigsten Revolution, die es in der Geschichte gegeben hat. Wir sind die einzige Bürgerrechtsbewegung, die danach schreit, Steuern bezahlen zu dürfen. Ich habe bei der Armee außerdem viel gelernt über Befehl und Gehorsam und Menschenführung, und auch hier im Museum läuft viel über Führen durch Vorbild, wie man bei der Armee sagen würde.

Dass ein Berufskiffer, wie Sie gewissermaßen einer sind, der bis vor einer Weile noch knallrote Dreadlocks trug, bei der Bundeswehr war, kommt für manche jetzt bestimmt überraschend.

Nur für diejenigen, die sehr gefestigte Klischees von Kiffern im Kopf haben.

Aber zurück zum Nürnberger Bahnhof: Was ist denn da damals passiert?

Ich musste auf meinem Weg in die Bundeswehrkaserne in Nürnberg umsteigen, und an dem Tag hatte die Polizei in der Stadt am Eissportstadion einen Kofferraum voller Ecstasypillen entdeckt. Daraufhin wurde der Bahnhof dichtgemacht und geschaut, ob sie die Kunden des Ecstasy-Dealers noch schnappen können. Ich war also zur falschen Zeit am falschen Ort, weil ich 4,9 Gramm Haschisch dabei hatte. Ich wurde gefilzt und dann der Militärpolizei übergeben. Das gab dann bei der Bundeswehr 21 Tage Einzelhaft. Mein Spind wurde auseinandergenommen und der Militärarzt hat mich erst einmal eine ganze Weile lang krankgeschrieben. Weil ich als dienstunfähig galt wegen der angeblichen Gefahr von Halluzinationen und Flashbacks. Nach ein paar Wochen wurde mir jedoch mitgeteilt, ich sollte nochmals vorbeikommen und ein paar Papiere unterschreiben. Ich dachte eigentlich, die schmeißen mich jetzt raus. Stattdessen hatte ein Militärgericht die Meinung des Arztes revidiert. Ich galt nun nicht mehr als komplett dienstunfähig, ich durfte nur keine Waffen, keine Fahrzeuge und keine elektrischen Geräte mehr bedienen. Ich habe dann aber prompt noch einmal 21 Tage Haft gekriegt. Weil einer meiner Stubenkameraden, der bei einer Blasmusikkapelle mitgespielt hatte, jemandem aus einer anderen Blaskapelle erzählt hatte, dass bei ihm am Standort einer ist, der ganz viel kifft. Derjenige, dem er das erzählt hatte, entpuppte sich dann als Militärpolizist und der hat meinem Stubenkameraden gesagt: Entweder du verrätst, wer der Kiffer ist, oder wir verknacken dich. Nach der Armee habe ich für die 4,9 Gramm noch zusätzlich eine Strafe im zivilen Leben bekommen. Ich musste 300 Mark zahlen und 200 gemeinnützige Arbeitsstunden ableisten.

Klingt nachvollziehbar, dass man nach einem solchen Erlebnis etwas gegen derart groteske Formen der Kriminalisierung von Cannabis unternehmen möchte.

2001, als ich gerade nach Berlin gezogen war, habe ich dann auch damit angefangen, mich zu engagieren. Ich war hier im Hanf Museum bei einem Treffen für die Organisation der Hanfparade und habe gesagt, ich möchte etwas für die Legalisierung tun. Und man kann sagen, dass ich seitdem immer nur stundenweise aus dem Keller des Museums herausgekommen bin. Weil ich hier eine Aufgabe gefunden habe, die zu mir passt. Ich dachte mir von Anfang an, wenn du dich hier einbringst, kann dein Engagement etwas gegen die Ungerechtigkeit bewirken, die dir damals bei der Armee widerfahren ist.

Dass es nun seit dem 1. April dieses Jahres die Entkriminalisierung von Cannabis gibt, geht letztlich auf die hartnäckige Arbeit von Leuten wie Ihnen zurück, oder?

Natürlich. Das war ja generalstabsmäßig von uns geplant. Als wir angefangen haben in den Neunzigern, gab es eine große Abneigung gegen Cannabis in der deutschen Öffentlichkeit. Die war so stark, dass auch die Nutz­hanf­anwendung darunter gelitten hat. Und wir als Szene hatten uns vorgenommen, Aufklärungsarbeit zu leisten, uns ganz im Sinne des Humanismus und der klassischen Französischen Revolution für Menschenrechte einzusetzen, eine Bürgerrechtsbewegung zu gründen und möglichst viele Leute mit im Kampf für unsere Sache einzubinden. Der Weg zur Legalisierung wurde in der Szene also bereits in den Neunzigern vorgezeichnet. Wir mussten ihn aber nicht erfinden, er war ja bereits in anderen Ländern gegangen worden. Als ich meinen ersten Joint geraucht habe, gab es in Kalifornien schon das erste Medical-­Marihuana-Gesetz und damit den ersten Millionenmarkt für legal Konsumierende.

Sie haben, wie bereits von Ihnen erwähnt, die Hanfparade mitorganisiert, ein Buch über Cannabis geschrieben und vor 12 Jahren eine von Ihnen so genannte Cannabiskultour veranstaltet. Was war das denn?

Ich bin da von Mai bis August mit einem bunten Auto durch die Republik gefahren, 18.000 Kilometer, und habe jeden Tag irgendwo eine Legalisierungsveranstaltung organisiert, Diskussionsrunden, Kundgebungen, Infostände. Ich war vor der Verkehrsbehörde in Flensburg, wo die eingezogenen Führerscheine wegen Cannabiskonsum landen, ich habe die erste Hanf-Demo in München organisiert und in ganz vielen Orten den Leuten einfach die Möglichkeit gegeben, Ihresgleichen zu treffen. Wenn ich heute zu Legalisierungsveranstaltungen fahre, treffe ich dort auf Leute, deren erste regionale Kifferdemo während meiner Cannabiskultour stattfand. Die Veranstaltungen gäbe es nicht, wenn ich damals nicht durch die Republik gefahren wäre.

Kurze Zwischenfrage: Was für ein Gras rauchen Sie gerade?

Feuerzeug und eine Dose mit Cannabis

Für den Eigenbedarf Foto: Miriam Klingl

Das ist ein Haze, das gerade erst getestet wurde. Das hat 21 Prozent THC-Gehalt und fast kein CBD. Das heißt, die psychoaktive Wirkung ist besonders stark ausgeprägt. Es ist also kein Gras für ungeübte Konsumenten. Ich habe da gerade Spaß dran, weil ich den ganzen Tag eine Grundeuphorie haben möchte. Das geht mit diesem Gras zwei, drei Tage zuverlässig, dann wird es mir aber zu anstrengend und ich greife wieder zu einer anderen Sorte, bei der das Verhältnis zwischen THC und CBD ausgeglichener ist, was eine beruhigende Wirkung hat.

Kann ich mal ziehen?

Nein, das wäre illegal, denn die Weitergabe von Cannabis ist in Deutschland ja verboten.

Glauben Sie wirklich, dass Sie ein Problem bekommen könnten, wenn hier nun geschrieben steht, dass Sie mich an Ihrem Joint ziehen lassen?

Potenziell würde ich mich damit strafbar machen. Das ist ja auch einer der Kritikpunkte an dem neuen Gesetz. Wenn ich meinen Geburtstag feiere, dann kommen viele Freunde von mir. Darunter sind, was wenig verwunderlich ist, einige Cannabiskonsumenten. Drogen wie Alkohol und Koffein darf ich diesen anbieten, Cannabis aber nicht. Die müssen alle ihr eigenes Gras mitbringen, sonst kriegen sie nichts zu kiffen. Was völlig absurd ist. Das sind alles erwachsene Menschen, die eigenverantwortlich damit umgehen könnten. Ich glaube aber natürlich, dass sich meine Freunde nicht an alle dummen Gesetze halten werden. Trotzdem wäre es schon schön, wenn das neue Gesetz wirklich die Lebensrealitäten abbilden würde.

Kiffer werden in Deutschland also immer noch per Gesetz gegängelt. Trotz der ganzen Lobbyarbeit Ihrer Szene.

So ist es. Dass wir jetzt nur eine Ent­kriminalisierung haben, ist ja ein Zeichen von unserer Schwäche. Wir sind vor zweieinhalb Jahren mit der Ampelregierung damit gestartet, dass wir lizenzierte Fachgeschäfte für Cannabis für Erwachsene haben wollten. Wir wollten eine Legalisierung und nicht den kleinstmöglichen Schritt, wie wir ihn nun gegangen sind. Ja, es war ein großer Schritt im Vergleich zum Stillstand in den letzten 50 Jahren und immer nur weiteren Strafverschärfungen. Das Ergebnis ist aber weit von dem entfernt, was möglich gewesen wäre.

Äußern Sie gerade Selbstkritik?

Natürlich. Ich bin ja auch ein großer Kritiker der Szene. Ich will, dass wir besser werden. Es ist uns beispielsweise einfach nicht gelungen, ein soziales Netz für Kiffer zu schaffen. Wenn die Bild sich auch jetzt noch vornimmt, ­jemanden fertig zu machen, weil er kifft, müsste es längst eine Gegenöffentlichkeit geben, die stark genug ist, dagegen zu stehen. Aber die gibt es in Deutschland nicht. Es ist eine Schwäche der deutschen Legalisierungs­bewegung, dass wir nicht stark genug sind, diese Leute aufzufangen, sie vor Shitstorms zu schützen. Wir haben hier sehr wenig Solidarität. In den USA dagegen gibt es Figuren wie Snoop Dogg, die ganz offen mit ihrem Cannabis­konsum umgehen und niemand hat ein Problem damit. ­Derartige ­Prominente gibt es in Deutschland kaum. Höchstens Sido vielleicht.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wird sich das jetzt ändern? Wird es beispielsweise Politiker geben, die sagen: Ich gönne mir gerne mal einen Feierabendjoint?

Mit dem Outing ist es bei allen Parteien ähnlich. Wenn man sich als Cannabiskonsument outet beziehungsweise wenn man das bis zum 1. April getan hat, dann war man für sein Umfeld immer noch ein Strafbarkeitsrisiko.

Aber jetzt könnte sich Cem Özdemir, der sich immer für die Legalisierung ausgesprochen hat, doch problemlos mit einem Joint in der Hand zeigen.

Der Cem Özdemir äußert sich zum Kiffen mal so und mal so, kommt darauf an, ob er gerade in Berlin oder in Baden-Württemberg Wahlkampf macht. Ich bin mir aber sehr sicher, dass ihm seine politischen Berater weiterhin davon abraten werden.

Weil Politiker wie Markus Söder jetzt erst recht so tun, als seien Kiffer grenzdebil?

Der Söder ist Populist und macht halt Populisten-Dinge. In die Talkshows werden ganz offensichtlich mit Absicht keine kompetenten Legalisierer eingeladen. Da treten dann kompetente Prohibitionisten auf und ein Alibi-Legalisierer. Vielleicht ein Influencer oder ein geläuterter Süchtiger mit der Kernkompetenz, ein ehemaliger Abhängiger zu sein. Mich zum Beispiel hat nie jemand in eine Talkshow eingeladen.



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