Großbritannien reagiert mit einer neuen offiziellen Definition von Extremismus auf einen Anstieg von Gewalt gegen Juden und Muslime. Ab dem heutigen Donnerstag gilt laut der britischen Regierung die “Förderung oder Weiterentwicklung einer auf Gewalt, Hass oder Intoleranz basierenden Ideologie” als Extremismus, wenn sie darauf abzielt, die Grundrechte von Menschen zu beschädigen oder zu zerstören oder das britische System der liberalen parlamentarischen Demokratie zu untergraben, zu stürzen oder zu ersetzen.   

Bisher wurde Extremismus in Großbritannien als lautstarker oder aktiver Widerstand gegen grundlegende britische Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und individuelle Freiheit sowie gegenseitigen Respekt und Toleranz verstanden. Die Neudefinition ziele hauptsächlich auf Islamisten und Rechtsextreme, berichtet der britische Sender BBC.

Nach Regierungsangaben sollen nun bestimmte Gruppen von staatlichen Subventionen und Veranstaltungen mit Regierungsmitgliedern ausgeschlossen werden. Der neue Begriff sei enger gefasst und präziser, argumentiert die Regierung in London.  

Antisemitische Vorfälle bei Protesten für Palästinenser

Hintergrund der Entscheidung sind Angriffe gegen Juden und Muslime, die seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 stark zugenommen haben. Premierminister Rishi Sunak warnte vor “Kräften hier zu Hause, die versuchen, uns auseinanderzureißen”. Es sei zu oft vorgekommen, dass “unsere Straßen von kleinen Gruppen gekapert wurden, die unseren Werten gegenüber feindlich sind und keinen Respekt vor unseren demokratischen Traditionen haben”, zitierte ihn die BBC.

Damit bezog er sich vor allem auf Straftaten am Rande propalästinensischer Demonstrationen: In britischen Städten kam es im Verlauf des Nahostkriegs mehrmals zu Großkundgebungen, die von antisemitischen Parolen und judenfeindlicher Symbolik begleitet wurden. 

Bürgerrechtler und die Opposition kritisierten das Vorgehen der Regierung. Die Vorsitzende des Verbands Muslim Council of Britain (MCB), Zara Mohammed, sagte der BBC, die Definition werde auf unfaire Weise Muslime ins Visier nehmen. Dem BBC-Bericht zufolge hat die Regierung bereits ihre Kontakte zum MCB eingeschränkt.

Regierung will Liste mit betroffenen Gruppen erstellen

Auch die Erzbischöfe von Canterbury und York warnten vor Spaltung. Der unabhängige Regierungsberater für Terrorismusgesetze, Jonathan Hall, warnte, die Änderungen könnten “den Ruf des Vereinigten Königreichs untergraben, weil es nicht als demokratisch angesehen würde”. Alle Versuche, die Extremismusdefinition zu ändern, seien in der Vergangenheit an der Unklarheit der Ziele solcher Maßnahmen gescheitert, sagte er.

Laut dem BBC-Bericht ist noch unklar, welche Gruppen die Regierung mithilfe der neuen Definition als extremistisch einstufen will. Für die “kommenden Wochen” sei die Veröffentlichung einer Liste geplant. Kritikern entgegnete sie, das neue Vorgehen gegen Extremisten würde Menschen mit “privaten, friedlichen Überzeugungen” nicht ins Visier fassen. 



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