Beim Streikzelt vor dem Werkstor in Espenhain lässt sich allerlei Prominenz blicken. Nur das Management tauchte bislang nicht auf.

Beim Streikzelt vor dem Werkstor in Espenhain lässt sich allerlei Prominenz blicken. Nur das Management tauchte bislang nicht auf.

Foto: Jan Woitas/dpa

Gregor Gysi knöpft sich China vor. Der Bundestagsabgeordnete der Linken, der sich in deren parlamentarischer Gruppe um die Außenpolitik kümmert, will mit der Berliner Botschaft des großen Landes in Fernost Kontakt aufnehmen. Außerdem will er sich an die Geschäftsführung eines chinesischen Großkonzerns wenden: der Chiho Environmental Group Limited, die in Hongkong ansässig und nach eigenen Angaben das weltweit größte börsennotierte Unternehmen der Recyclingbranche ist. Gysi will dort auf die Nöte von 180 Beschäftigten in einer sächsischen Tochterfirma namens SRW metalfloat aufmerksam machen, die für bessere Arbeitsbedingungen streiken, aber kein Gehör beim Management finden. »Ich werde mich dafür einsetzen, dass ihr wieder an den Verhandlungstisch kommt«, versprach der Linke-Politiker den Arbeitern: »Gespräche sind das Mindeste.«

Gysi war am Montag dieser Woche in Espenhain. Da währte der Ausstand bei SRW metalfloat bereits sagenhafte 111 Tage. Am Donnerstag besuchte Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) die Streikenden, da waren es 114 Tage. Vergleichbares hat es in Sachsen lange nicht gegeben, und auch anderswo in Ostdeutschland sind derart hartnäckige Arbeitskämpfe die Ausnahme. Im Juli 2023 erzwangen die Beschäftigten beim Windanlagenbauer Vestas in Norddeutschland einen Tarifvertrag – nach 123 Tagen. Die IG Metall bezeichnet den Ausstand als einen der längsten in ihrer Geschichte. In einer Woche schieben sich die Beschäftigten von SRW metalfloat in dieser Rekordliste vor die Vestas-Kollegen.

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Dabei waren die Espenhainer »Schrotter«, wie sie sich selbst nennen, lange Zeit keine aufmüpfige oder kämpferische Truppe. Beim ersten Warnstreik im vergangenen Sommer sei »uns allen mulmig« gewesen, sagt Betriebsrat Carsten Schröder: »Das war für uns ja Neuland.« Die meisten der Beschäftigten kennen die Zeiten noch gut, als im ehemaligen Braunkohlenrevier südlich von Leipzig die Arbeitsplätze knapp waren und diejenigen, die einen hatten, auch bescheidene Löhne und widrige Arbeitsbedingungen in Kauf nahmen. Inzwischen allerdings sehen sie nicht mehr ein, dass sie für eine körperlich harte Arbeit in drei Schichten mit höchstens 2000 Euro abgespeist werden, womit sie nur knapp über dem Mindestlohn und satte 600 Euro unter dem Branchentarif liegen. Sie haben auch viel weniger in der Lohntüte als Kollegen in Baden-Württemberg, die wie sie zum dort ansässigen einstigen Familienunternehmen Scholz Recycling gehören. Das wurde von seinen Eigentümern 2016 nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten an den zuvor härtesten Rivalen Chiho verkauft. Seitdem sitzen in der Firmenzentrale in Essingen auch chinesische Manager.

Dem ersten Warnstreik folgten vier weitere, die immerhin Verhandlungen zur Folge hatten. Belegschaft und Gewerkschaft fordern acht Prozent mehr Gehalt, Urlaubs- und Weihnachtsgeld von je 1500 Euro sowie eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden. Die Gespräche führten zu keinem Ergebnis. Anfang November folgte eine Urabstimmung. 89,3 Prozent votierten für einen unbefristeten Streik. Seither steht vor dem Werkstor ein Streikzelt. Regelmäßig lässt sich Prominenz blicken: DGB-Vorsitzende Jasmin Fahimi, SPD-Bundeschef Lars Klingbeil, Gysi, Kretschmer. Wer sich nicht blicken lässt, ist das Management. Nach Angaben von Michael Hecker von der Leipziger IG Metall wurde dem örtlichen Geschäftsführer der SRW im August 2023 von der Muttergesellschaft Scholz Recycling GmbH die Befugnis entzogen, Tarifverhandlungen zu führen. Deren Chef Yongming Qin ignoriere seitdem alle Gesprächsangebote. Er verstoße damit gegen eigene Unternehmensregeln, kritisiert Hecker. Darin sei festgeschrieben, dass die Firma das Recht auf Tarifverhandlungen respektiere, die Bildung von Gewerkschaften anerkenne und ein offener, lösungsorientierter Umgang mit der Arbeitnehmervertretung gepflegt werden solle.

Die spannende Frage ist, wie ein Sinneswandel in der Chefetage bewirkt werden kann. Eigentlich, sagte der Linksabgeordnete Gysi bei seinem Besuch, müsste man dort ein Interesse an guten Arbeitsbedingungen haben: »Es nützt auch dem Arbeitgeber nichts, wenn die Belegschaft demotiviert ist.« Das gilt um so mehr, als Espenhain eigentlich eine »Cashcow« für das Unternehmen ist, eine Niederlassung also, die überdurchschnittlich zu Umsatz und Gewinn beiträgt. Nach Angaben der IG Metall erwirtschaftet SRW metalfloat von den 1,6 Milliarden Euro Gesamtumsatz der Scholz-Gruppe satte 22 Prozent. Rechnerisch entspreche das einem Jahresumsatz von zwei Millionen Euro je Beschäftigtem. Als die Zahlen in der Belegschaft bekannt wurden, riss manchem die Hutschnur. Betriebsrat Schröder sagt: »Es ist eine Schande, dass sie uns bei derartigen Umsätzen so klein halten.« So, wie es jetzt aussieht, wird das auch in Zukunft nicht mehr gelingen.

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