Kipfenberg/München – Im beschaulichen Kipfenberg, Kreis Eichstätt, geht es recht lebendig zu. Im Schreibwarenladen vergeht keine Minute ohne Kunden. Einige Touristen radeln den römischen Limes entlang. Die Chefin der Metzgerei Gehr am Marktplatz hat keine Zeit, sich mit der AZ zu unterhalten, das Mittagsgeschäft steht an – und nebenan am Bürger- und Kulturzentrum haben sich Mittwochvormittag Kamerateams aufgestellt.

Das hat mit Sonja Engelbrecht zu tun, der Münchner Schülerin, die in der Nacht vom 10. auf den 11. April 1995 mit 19 Jahren verschwand. Ihre sterblichen Überreste wurden am 30. März 2022 gefunden, in einem Felsspalt mitten im Forst bei Grösdorf nahe Kipfenberg. Quälende 27 Jahre lang hatten vor allem ihre Angehörigen gehofft, dass die Frau noch am Leben ist.

Schrittweise setzt die Münchner Polizei seither Puzzlestücke dieses großen rätselhaften Verbrechens zusammen. Wie bitteschön ist die damals 19-jährige Sonja Engelbrecht am Münchner Stiglmaierplatz verschwunden und 110 Kilometer weiter nördlich in einem Waldstück bei Kipfenberg gelandet, und zwar in einem Felsspalt, den viele Einheimische gar nicht kennen?

An der Plane, in der die getötete Schülerin aus München lag, wurden unbekannte DNA-Spuren gesichert

Nun versuchte es das Ermittlungsteam rund um den Leiter der Münchner Mordkommission Stephan Beer mit einer DNA-Testreihe. 80 Personen aus dem Umland von Kipfenberg waren eingeladen, einen DNA-Mundabstrich abzugeben, 70 kamen. Man wolle eine DNA-Spur abgleichen, “die bei der rechtsmedizinischen Untersuchung in der Plane gefunden worden ist, in der Sonja Engelbrecht aufgefunden wurde”, sagt Polizeisprecher Werner Kraus.

Münchner Beamte dokumentierten akribisch die Abstriche. 70 von 80 Personen kamen, zehn von ihnen werden nochmal kontaktiert.
Münchner Beamte dokumentierten akribisch die Abstriche. 70 von 80 Personen kamen, zehn von ihnen werden nochmal kontaktiert.
© Hüseyin Ince
Münchner Beamte dokumentierten akribisch die Abstriche. 70 von 80 Personen kamen, zehn von ihnen werden nochmal kontaktiert.

von Hüseyin Ince

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Ab zehn Uhr trudelten also ältere Herren im Bürgerzentrum ein, am Marktplatz in Kipfenberg. Männer, die 1995 mit dem Wald in der Region zu tun hatten – und immer noch haben. Die meisten von ihnen sind Jäger, die seit Jahrzehnten in einem der gepachteten Reviere umherstreifen und Rehe oder Wildschweine schießen, um deren Population zu kontrollieren. Die meisten sind um die 70 Jahre alt.

Jäger Eduard Amler (70) gab auch einen DNA-Abstrich ab. Er dachte erst an falsche Polizisten, als man ihn anrief.
Jäger Eduard Amler (70) gab auch einen DNA-Abstrich ab. Er dachte erst an falsche Polizisten, als man ihn anrief.
© Hüseyin Ince
Jäger Eduard Amler (70) gab auch einen DNA-Abstrich ab. Er dachte erst an falsche Polizisten, als man ihn anrief.

von Hüseyin Ince

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Auch Eduard Amler (70) ist eingeladen, einer von rund 400 Jägern aus der Region Eichstätt. Er erzählt gern über Wald und Forst, von den großen Hürden, die man nehmen muss, um einen Jagdschein zu bekommen. “Ich dachte erst an falsche Polizisten, als ich telefonisch die Einladung zum DNA-Abstrich bekam”, erzählt er. Und als die Beamten dann auch persönlich bei ihm in Pfalzpaint auftauchten, habe er ganz genau auf die Ausweise geschaut. “Heutzutage weiß man ja nie”, sagt er.

Wer Sonja Engelbrecht getötet hat, muss ortskundig gewesen sein, da sind sich eigentlich alle einig

Ob Amler die Gegend kenne, wo Sonja Engelbrecht gefunden wurde? “Nein, gar nicht”, sagt er. Pfalzpaint ist etwa zehn Kilometer entfernt von Kipfenberg. Seit März 2022 brodele die Gerüchteküche in der Region, wer Engelbrecht getötet haben könnte. Denn bei einer Sache sind sich Polizei und Beobachter relativ einig. Ortskundig muss der Täter schon gewesen sein. Ein Jäger sei besonders in Verdacht geraten, erzählt Amler, zu Unrecht. Ein Rufmord sei das gewesen.

Die Männer, die am Mittwoch im Kipfenberger Bürgerhaus eintreffen, tragen auffällig oft buschige graue Oberlippenbärte. Ein älteres Paar kommt zum Abstrich, beide in grüner Steppjacke. “Auch einige Frauen sind eingeladen worden”, bestätigt Polizeisprecher Kraus. Schließlich bestehe die Möglichkeit, dass der mutmaßliche Täter von einem Helfer oder auch einer Helferin Unterstützung hatte, um die Tote zu verstecken.

Seit 1980 ist Martin Wöhrl Jäger (72) in der Region Eichstätt. Auch er war zum DNA-Abstrich im Fall Sonja Engelbrecht eingeladen worden.
Seit 1980 ist Martin Wöhrl Jäger (72) in der Region Eichstätt. Auch er war zum DNA-Abstrich im Fall Sonja Engelbrecht eingeladen worden.
© Hüseyin Ince
Seit 1980 ist Martin Wöhrl Jäger (72) in der Region Eichstätt. Auch er war zum DNA-Abstrich im Fall Sonja Engelbrecht eingeladen worden.

von Hüseyin Ince

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Es sei eine Bürgerpflicht, sagen die Männer aus der Region, die zum DNA-Vergleich gekommen sind. Und: “Gut, dass die Polizei in dem Fall nicht locker lässt”, finden alle.





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