Was ist passiert?

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) haben den Entwurf zum Rentenpaket II vorgestellt. Das wichtigste Instrument in diesem Gesetzespaket ist die Schaffung eines „Generationenkapitals“. Dahinter steckt nichts anderes als ein Fonds, der bis 2035 mit insgesamt 200 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt gefüttert werden soll.

Das Geld wird am Finanzmarkt angelegt. Ab 2036 sollen die Renditen in die Rentenkasse fließen und damit dafür sorgen, dass die Beitragssätze nicht weiter ansteigen oder bestenfalls gesenkt werden können. Heil und Lindner gehen von einem Zuschuss von mindestens 10 Milliarden Euro aus dem Generationenkapital pro Jahr aus. Gelder aus dem Fonds sind zweckgebunden und dürfen für nichts anderes verwendet werden.

Was ist der Clou daran?

Bisher wird das deutsche Rentensystem aus den Beiträgen der Erwerbstätigen und einem stetig steigenden Zuschuss aus dem Bundeshaushalt finanziert. Diese Finanzierung wird in Zukunft immer schwieriger, weil auf Grund des demographischen Wandels immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner unterstützen müssen. Das geht rechnerisch nur, wenn die Erwerbstätigen entweder höhere Beiträge leisten, länger Beiträge leisten oder die Rentner weniger Rente ausgezahlt bekommen.

Um die Einnahmenseite zu erhöhen, gab es bisher also nur zwei Quellen: das Geld der Erwerbstätigen und die Steuereinnahmen. Bei den Steuern stammt das Geld durch Einkommens- und Lohnsteuern zudem auch von denjenigen, die sowieso schon Beiträge zahlen.

Mit dem Generationenkapital öffnet die Bundesregierung jetzt also eine dritte Einnahmequelle. Die hier erwirtschafteten Gelder stammen vom Finanzmarkt und werden damit zu Teilen auch von ausländischen Banken, Investoren und Anlegern stammen. Trivial gesagt würde also das Ausland dann die deutschen Renten mitfinanzieren.

Wo sollen die 200 Milliarden Euro herkommen?

Zunächst muss der Fonds gefüttert werden. Da der Bundeshaushalt für dieses Jahr bereits beschlossen ist, könnten frühestens aus dem Bundeshaushalt 2025 erste Mittel in das Generationenkapital fließen. Bis 2035 wären dann also elf Jahre Zeit, die 200 Milliarden Euro anzuhäufen. Bei gleichmäßigen Einzahlungen würde das den Bund jedes Jahr rund 18,2 Milliarden Euro kosten. Allerdings kann der Fonds ab der ersten Einzahlung auch schon Gewinne erwirtschaften, die zum Vermögen addiert werden und somit kommende Einzahlungen schmälern. Unter Berücksichtigung einer jährlichen Netto-Rendite von 5,5 Prozent – wie sich diese errechnet, wird weiter unten erklärt – würden sich die jährlichen Einzahlungen auf 13,7 Milliarden Euro pro Jahr reduzieren.

Der Bund kalkuliert ein bisschen anders. Dieses Jahr soll ein Grundstock von 12 Milliarden Euro gebildet werden. Die jährlichen Einzahlungen sollen dann ab kommendem Jahr um je drei Prozent steigen. Außerdem will der Bund Vermögenswerte – das könnten zum Beispiel in Staatsbesitz befindliche Immobilien sein – an den Fonds übertragen. In diesem Fall würde schon eine jährliche Netto-Rendite von ungefähr 1,5 Prozent in der Aufbauphase reichen, um am Ende auf 200 Milliarden Euro Fondsvermögen zu kommen.

Unklar ist dabei noch, ob das Geld direkt aus dem Bundeshaushalt verwendet wird oder über ein neues Sondervermögen. In ersterem Fall müssten bis 2035 andere Haushaltsausgaben gekürzt werden, um die Schuldenbremse einzuhalten.

Welche Rendite kann der Fonds erwirtschaften und was kostet er?

Das auszurechnen, ist nicht trivial, weil wir viele Parameter dafür schätzen müssen. Das erste wäre die Rendite, die so ein Fonds am Finanzmarkt erwirtschaften kann. Wahrscheinlich sind Renditen auf dem Niveau großer Aktienindizes. Der deutsche Dax kommt in den vergangenen 30 Jahren auf einen Schnitt von 9,4 Prozent, der US-amerikanische S&P 500 auf 8,3 Prozent und der weltweite MSCI World auf 5,9 Prozent. Im Schnitt dieser drei großen Indizes scheinen also rund 8 Prozent Rendite realistisch. Davon wären noch die Verwaltungskosten abzuziehen. Aus Beispielen anderer Staatsfonds, etwa aus Skandinavien, ist bekannt, dass diese bei rund 0,1 Prozent des Anlagevermögens liegen.

 

Eine realistische Rendite wären also 7,9 Prozent. Davon abzuziehen sind aber noch die Zinsen, die der Bund für die Kredite bezahlen muss, mit denen er die Einzahlungen finanziert. Aktuell liegen diese für zehnjährige Staatsanleihen bei 2,4 Prozent. Wie sie sich in den kommenden Jahren entwickeln, ist schwer abzusehen, weswegen wir den heutigen Wert als Durchschnitt annehmen. Die Netto-Rendite des Fonds würde dadurch auf 5,5 Prozent sinken.

Das sind Durchschnittswerte. Was ist, wenn die Börse ein schlechtes Jahr hat?

Hier liegt einer der größten Kritikpunkte an Aktienrenten im Allgemeinen, nicht speziell am deutschen Generationenkapital. Ein Staatsfonds ist den Widrigkeiten der Börse ausgesetzt. In einer Corona-Pandemie, einer Finanzkrise oder vergleichbaren Schocks ließe sich die Durchschnittsrendite nicht erwirtschaften, würde der Fonds vielleicht sogar Verluste einfahren. Interessant wird also, wie die Bundesregierung im endgültigen Gesetzesentwurf mit diesem Risiko umgeht. Möglich wäre, dass überschüssige Gewinne aus Vorjahren als Rücklage verwendet werden oder dass Verluste durch Mittel aus dem Bundeshaushalt ersetzt werden müssen.

Wie geht es nach 2035 mit dem Fonds weiter?

Die Bundesregierung will aus dem Fonds ab 2036 einen Zuschuss von durchschnittlich 10 Milliarden Euro an die Rentenversicherung abgeben. Das entspräche 5 Prozent des Fonds-Vermögens, der Zuschuss läge damit etwas unterhalb der Rendite, die wir oben als realistisch ausgerechnet haben.

Es bedeutet aber auch, dass sich der Kapitalstock des Fonds nach 2035 nach jetziger Planung nicht weiter erhöhen wird. Durch Inflation wird der Wert der Auszahlungen dadurch also immer weiter schwinden. Ob dies im endgültigen Gesetzesentwurf dadurch kompensiert wird, dass etwa ein Teil der jährlichen Rendite dem Anlagevermögen hinzugefügt wird, um dieses auch nach 2035 zu erweitern, ist noch unklar.

Selbst, wenn das nicht geschieht, würde der Fonds aber bis 2055 insgesamt 200 Milliarden Euro an Zuschüssen auszahlen. Die Kosten der kommenden 11 Jahre würden sich also in den 20 folgenden Jahren amortisieren. Rein wirtschaftlich bedeutet das, dass der Fonds eine kluge Entscheidung ist, wenn es gelingt, ihn mehr als 20 Jahre aufrecht zu erhalten. Das sollte möglich sein.

Was verspricht sich die Bundesregierung von dem Generationenkapital?

An den drei Stellschrauben Beitragssatz, Bundeszuschuss und Rentenniveau möchte die Bundesregierung so wenig wie möglich drehen. Eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters, welches bis 2031 auf 67 Jahre ansteigt, hat Minister Heil ebenso ausgeschlossen wie eine Absenkung des Rentenniveaus, welches aktuell bei 48,2 Prozent des durchschnittliche Nettoeinkommens vor Steuern, aber nach Sozialabgaben liegt. Die Haltelinie steht hier bei 48 Prozent, darunter soll das Niveau nicht sinken.

Die zehn Milliarden Euro, die jährlich aus dem Generationenkapital an die Rentenversicherung fließen sollen, würden also die Beitragszahler um eben jene zehn Milliarden Euro entlasten. Der Beitragssatz müsste dann nicht weiter steigen oder könnte sogar abgesenkt werden.

Moment, das gilt aber doch erst ab 2036. Was ist vorher?

Bisher gibt es eine doppelte Haltelinie, die bis Ende kommenden Jahres gilt. Sie legt fest, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent abgesenkt und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigt. Derzeit liegt er bei 18,6 Prozent. Weil die Kosten für das Rentensystem durch den erwähnten demographischen Wandel aber immer weiter erhöhen, ist unter Ökonomen schon lange klar, dass sich diese doppelte Haltelinie – nun ja – nicht halten lässt. Das gibt jetzt auch das Rentenpaket II wieder. Das Rentenniveau von mindestens 48 Prozent soll bis einschließlich 2040 im Gesetz verankert werden.

Für den Beitragssatz gilt das nicht. Hier können die 18,6 Prozent nur bis 2027 garantiert werden, danach werden die Beiträge ansteigen. Stand jetzt rechnen Heil und Lindner mit einem Satz von 20 Prozent ab 2028 und 22,3 Prozent ab 2035. Letzterer soll dank dem Generationenkapital dann aber bis mindestens 2045 stabil bleiben. Die 20-Prozent-Marke wurde zuletzt 1998 überschritten, höher als 20,3 Prozent lag der Beitragssatz in der deutschen Geschichte nie.

Wie verhindert das Generationenkapital höhere Beiträge?

Dieses Jahr fließen rund 127 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung. Hauptsächlich werden damit die Altersrenten finanziert, aber auch die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Der Bundeszuschuss macht aktuell rund 23 Prozent der Ausgaben der Rentenversicherung aus.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat ausgerechnet , dass dieser Zuschuss im Jahr 2035 um 7 bis 8 Milliarden Euro steigen müsste, wenn das Verhältnis zu den Beitragszahlungen gleichbleiben soll und der Beitragssatz auf 22,3 Prozent steigt. Diese Mehrkosten ließen sich dann also komplett aus dem Generationenkapital finanzieren, im besten Fall sogar mit einem leichten Überschuss.

Was sagen Ökonomen zum Generationenkapital?

Dass entweder der Beitragssatz steigen und/oder das Rentenniveau sinken muss, damit die Rente noch finanziert werden kann, ist unter führenden Ökonomen unstrittig. Das IW hat erst einmal keine Argumente für oder gegen das Generationenkapital. Sorge bereitet den Fachleuten hier die Frage, was nach 2035 mit dem Fonds passiert. „Ob sich weitere Beitragssatzerhöhungen nach 2035 vermeiden lassen, steht in den Sternen“, sagt Jochen Pimpertz, Leiter des Clusters für soziale Sicherung beim Institut. „Dafür müssten sich kommende Bundesregierungen verpflichten, den Vermögensaufbau fortzusetzen. Fehlen dafür die Mittel oder werden andere Prioritäten gesetzt, geht die Rechnung nicht mehr auf.“

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm glaubt, dass das Generationenkapital keines der Probleme der Rentenversicherung lösen werde. Es sei „immens teuer und geht zu Lasten der Beitragszahler oder der Steuerzahler“. Die Wirtschaftsweisen hatten in ihrem Jahresgutachten Ende vergangenen Jahres eigene Vorschläge gemacht und sich dabei etwa für eine Senkung des Rentenniveaus und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters gekoppelt an die Lebenserwartung ausgesprochen. Gleiches fordert auch das Münchner Ifo-Institut.

Wie geht es jetzt weiter?

Was Heil und Lindner gestern vorgelegt haben, ist ein Referentenentwurf. Wie Sie unter dem obigen Link selbst sehen, ist dieser sehr grob und kurz formuliert und gibt nur die Eckpunkte des geplanten Gesetzes vor. Er ist überspitzt gesagt lediglich eine Diskussionsgrundlage. Diese Diskussion wird jetzt zuerst mit den Bundesländern und Sozialverbänden geführt, dann werden im Bundeskabinett andere Minister und die Grünen als bislang unbeteiligter Koalitionspartner ihre Wünsche, Kritik und Anmerkungen einbringen.

Daraus entsteht dann der eigentliche Gesetzesentwurf, der in allen Details regelt, wie das Generationenkapital aussehen wird. Dieser wird erst im Kabinett, dann im Bundestag und Bundesrat debattiert und beschlossen. Die Bundesregierung möchte das Rentenpaket im Parlament noch vor der Sommerpause beschließen. Die letzte Sitzungswoche wäre Anfang Juli.

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