In Deutschland ist die ungleiche Entlohnung zwischen Männern und Frauen weiterhin stark ausgeprägt. Im Schnitt verdienten Arbeiterinnen auch im Jahr 2023 gut 18 Prozent weniger als ihre Kollegen. Das geht aus aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor, die die Behörde am Dienstag veröffentlichte.
Die Hauptursachen für den sogenannten unbereinigten Gender-Pay-Gap zwischen Frauen und Männern ist unter anderem durch geringere Stundenverdienste von Frauen bedingt. Während knapp ein Viertel der Arbeiterinnen im Jahr 2022 in Niedriglohnjobs tätig war, traf dies bei den Arbeitern für 16 Prozent zu. Hinzu kommt, dass es einen Geschlechterunterschied in der Verteilung von Teilzeitarbeit gibt. So arbeiteten Männer im Schnitt monatlich 148 Stunden in einem bezahlten Job, bei den Frauen waren das nur 121 Stunden.
Diese Faktoren zusammengenommen, erklären laut Statistischem Bundesamt zwölf Prozent der bereinigten Verdienstlücke. Die restlichen sechs Prozent blieben statistisch unerklärt, wie die Behörde selbst mitteilt.
Eine Erklärung liegt in der direkten Diskriminierung von Frauen, sagt die Soziologin Virginia Kimey Pflücke. Sie forscht zu feministischen Perspektiven auf Arbeitsbeziehungen im Kapitalismus. »In dem Moment, wo ein Beruf weiblicher wird, wird er abgewertet und weniger entlohnt«, erklärt sie im Gespräch mit »nd«. »Wenn man sich anschaut, wie einzelne Berufe tariflich einsortiert werden, sieht man, da steckt frauenfeindliches Denken drin.«
Das zeigt auch ein aktueller Forschungsbericht des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts European Trade Union Institute. Demnach sinken die Löhne in jenen Branchen signifikant, wenn sie als Frauenberufe gelten. »Die bloße Anwesenheit von Frauen in einem Beruf scheint zu einer Abwertung dieser Arbeitsplätze und einer geringeren Wertschätzung und Entlohnung zu führen«, heißt es in dem Bericht.
Um dieser unmittelbaren Diskriminierung entgegenzuwirken, soll die Bundesregierung nach dem Willen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi das Entgelttransparenzgesetz verbessern. Das ist bereits seit 2017 in Kraft, reiche aber laut Verdi nicht aus. Die Gewerkschaft kritisiert, dass das Gesetz keine Verbandsklagen zulässt und dass der individuelle Auskunftsanspruch erst in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten gilt.
Unterstützung dafür bekommt Verdi unter anderem von den Grünen. Auf nd-Anfrage teilt die Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke mit, dass es eines verbindlichen und zertifizierten Prüfverfahrens bedürfe. Beschäftigte sollen ihre individuellen Rechte durch Verbände im Wege einer Prozessstandschaft geltend machen können, fordert sie. Damit wären Dritte befugt, einen Prozess im Namen der Betroffenen zu führen. »Freiwilligkeit hilft nicht weiter«, mahnt sie. Auf die Frage, ob die Bundesregierung konkrete Schritte geplant hat, ging Müller-Gemmeke nicht ein.
Allerdings ist eine ausschließliche Fixierung auf die direkte Diskriminierung ein Problem, sagt die Soziologin Pflücke. Dadurch gehe der Blick für die tieferliegenden gesellschaftlichen Ursachen verloren, die sich mit dem unbereinigten Gender-Pay-Gap besser erkennen ließen. »Wenn man der Sache auf den Grund geht, sieht man, dass Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft weiterhin für den unbezahlten Bereich zuständig sind. Mit ihren Jobs sollten sie historisch nur dazuverdienen«, erklärt die Soziologin.
Nach wie vor übernehmen Frauen einen Großteil der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit. Aus aktuellen Zahlen des Bundesfamilienministeriums geht hervor, dass sie durchschnittlich täglich 43,8 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden als Männer – umgerechnet 77 Minuten pro Tag.
»Viele Männer verharren in traditionellen Mustern und überlassen Kinderbetreuung, Haushalt und Sorge für Ältere ihren Partnerinnen«, teilt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack auf nd-Anfrage mit.
Von einer Doppelbelastung der Frauen ist darum auch in einem aktuellen Forschungsbericht zur Ungleichverteilung von Haus- und Sorgearbeit des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts die Rede. »Sie sollen zum Haushaltseinkommen beitragen, aber weiterhin die Hauptverantwortung der Sorgearbeit übernehmen«, erklärt die Soziologin Eileen Peters zur Studie.
Vor dem Hintergrund bedürfe es eines staatlichen Ausbaus von Kitas und Kindergärten, fordert WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. Zudem müsse das Elterngeld reformiert werden, indem Partnermonate ausgebaut und das Ehegattensplitting abgeschafft wird, weil es steuerliche Anreize für eine unausgewogene Erwerbsarbeitsteilung in Paaren bietet. Und auf betrieblicher Ebene bedürfe es flexibler Arbeitszeit- und Arbeitsplatz-Arrangements. Dabei sei auch eine kürzere Vollzeit mit 35 oder 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich wichtig.
Unterstützung für eine Vier-Tage-Woche kommt auch aus der Partei Die Linke, wie die Vorsitzende Janine Wissler und Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Linke-Bundestagsgruppe, in einer Mitteilung bekräftigten. Und sie fordern Entlastung und eine bessere Bezahlung, insbesondere in Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden. »Über 80 Prozent der Beschäftigten in Sozial- und Pflegeberufen sind Frauen. Gerade in diesen Branchen werden oft geringe Löhne gezahlt, die der Qualifikation nicht entsprechen«, kritisieren sie.
Im Jahresvergleich blieb der sogenannte Gender-Gap-Arbeitsmarkt 2023 unverändert bei 39 Prozent. Der Wert bezieht auch die Arbeitszeit und das Lohnniveau ein. Der Gender-Pay-Gap ist seit dem Jahr 2014 um nur vier Prozentpunkte gesunken.
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