Die Bundesregierung trägt Mitschuld am Tod von über 30 000 Menschen im Gazastreifen, argumentiert Anwältin Nadija Samour.

Die Bundesregierung trägt Mitschuld am Tod von über 30 000 Menschen im Gazastreifen, argumentiert Anwältin Nadija Samour.

Foto: XinHua | Rizek Abdeljawad

Sie haben gemeinsam mit anderen Anwät*innen Strafanzeige gegen hochrangige Vertreter*innen der Bundesregierung wegen »Beihilfe zum Genozid« gestellt. Wie kamen Sie zu dazu?

Wir sind ein Kernteam von acht Anwält*innen, die die Strafanzeige entworfen haben, mit Hilfe von Forensic Architecture, ELSC (European Legal Support Center) und anderen. Unsere Inspiration kam nach der jüngeren Entscheidung aus den Niederlanden, wonach erstmal keine Ersatzteile für F-35-Jets mehr nach Israel geliefert werden dürfen. Daraufhin haben wir überlegt: Was können wir in Deutschland gegen Waffenexporte tun?

Was erhoffen Sie sich davon?

Als Jurist*innen hoffen wir, dass der Generalbundesanwalt Ermittlungen einleitet. Die IGH-Entscheidung der Völkermordklage Südafrikas gegen Israel von Ende Januar rechtfertigt einen Anfangsverdacht, dass in Gaza ein Genozid stattfindet. Demnach dürfen Palästinenser*innen Rechte aus der Genozidkonvention geltend machen. Wir glauben, diese Entscheidung muss genutzt werden, um Deutschland daran zu erinnern, dass sich hieraus völkerrechtliche Verpflichtungen ergeben.

Interview

Die Bundesregierung trägt Mitschuld am Tod von über 30 000 Mensc...
Die Bundesregierung trägt Mitschuld am Tod von über 30 000 Mensc...

Nadija Samour ist auf internationales Strafrecht spezialisierte Rechtsanwältin und war am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag tätig. Sie ist Mitglied des Republikanischen Anwältevereins und der Roten Hilfe.

Was heißt das konkret?

Wir erhoffen uns, dass durch die Ermittlungen klar wird, dass auch Palästinenser*innen es verdienen, in Würde und vollster Anerkennung ihrer Rechte zu leben. Das Völkerrecht gibt Standards und Verbindlichkeit vor. Wenn sich das internationale Recht hier nicht gerade macht, verliert es an Anerkennung und Glaubwürdigkeit. Zudem verstehen wir die Anzeige als Appell, um den Druck auf Entscheidungsträger zu erhöhen, die dieser Tage ja über erneute Waffenlieferungen entscheiden. Wir erhoffen uns, dass die Anzeige zum Innehalten zwingt und neue Genehmigungen einfach nicht mehr erteilt werden. Das gleiche gilt für die De-Finanzierung der UNWRA. Auch das ist eine Entscheidung, die revidiert werden kann und muss. Wir sehen die Anzeige als eine Art Intervention, um den Druck aufrechtzuerhalten.

Der IGH hat vorläufige Maßnahmen angeordnet, aber noch nicht geurteilt, ob Israels Vorgehen in Gaza einen Genozid darstellt. Sie gehen in ihrer Strafanzeige jedoch von einem Genozid aus. Begeben Sie sich damit nicht auf dünnes Eis?

Das würde ich so nicht sagen. Der IGH sieht plausible Anhaltspunkte für einen Genozid. Im Strafrecht ist es so, dass wenn ein Anfangsverdacht besteht, Ermittlungen eingeleitet werden müssen. Als Anzeigenerstatterin behauptet man einen Sachverhalt. Man darf und muss das auch, um zu unterstreichen, dass man ein Interesse an der Strafverfolgung hat. Insofern: Nein, die Strafanzeige macht sich nicht angreifbar, im Gegenteil.

Sie haben Strafanzeige gegen hochrangige Vertreter*innen der deutschen Bundesregierung gestellt. Greift deren Immunität nicht?

Völkerstraftaten werden ja in der Regel von Entscheidungsträgern begangen. Deswegen ist man sich international einig dass hier keine Immunität herrschen darf. Im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshof steht: auch ein hohes Amt schützt nicht. Da werden auch Staatspräsidenten angeklagt. Deutschland hat das Römische Statut ratifiziert.

Bei der Vorstellung der Anzeige hieß es, Sie stellten sie auch wegen Deutschlands völkermörderischer Vergangenheit. Können Sie das genauer erklären?

Deutschland hat sich nach 1945 bemüht und teils darin bewährt, das Völkerrecht zu ehren. In den vergangenen Jahren musste sich Deutschland immer stärker damit befassen, dass es vor dem Holocaust bereits einen anderen ein Genozid begangen hat, an den Herero und Nama im heutigen Namibia. Wir finden, dass der Spruch »Nie Wieder«, den sich Deutschland auf die Fahnen geschrieben hat, breit gedacht werden muss. Es geht nicht allein darum, dass sich die spezifischen Verbrechen, die zwischen 1933 und 1945 begangenen wurden, nicht wiederholen. Sondern um das Prinzip, dass nie wieder Völkermord stattfinden darf; dass Menschen nie wieder aufgrund ihrer nationalen, religiösen, rassischen Identität verfolgt und getötet werden dürfen.

In der Strafanzeige definieren Sie den Akt der Beihilfe mit Blick auf Waffenlieferungen, politische Unterstützung, und die Aussetzung der Finanzierung der UNWRA vor wenigen Wochen. Was genau werfen Sie der Bundesregierung vor?

Die Rechtsprechung lautet, dass Beihilfe durch logistische, finanzielle oder materielle Unterstützung geleistet werden kann, aber auch durch eine psychische Stärkung der Tatbereitschaft oder der Tatausführung. Die öffentlichen Verlautbarungen von dem, was unsere Regierung in den letzten Monaten von sich gegeben hat bezüglich Israel, wie eben die bedingungslose Solidarität, darin sehen wir eine Form der psychischen Beihilfe. Die drei Beihilfehandlungen, die Sie erwähnt und die wir exemplarisch herausgesucht haben, sind diejenigen, die am meisten diskutiert werden und zu denen wir am meisten Material haben, unser Anliegen zu untermauern.

Die Bundesregierung hat Israels Sicherheit aus historischen Gründen zur Staatsraison erklärt. Haben Sie dafür denn kein Verständnis?

Der Begriff der Staatsräson ist ein konturloser Begriff. Niemand kann wirklich erklären, inwieweit das juristisch gewichtig ist. Als deutsche Staatsbürgerin kann ich persönlich nicht akzeptieren, wenn eine wie auch immer geartete Staatsräson dazu dient, international als Verbrechen anerkannte Handlungen zu relativieren oder zu verschleiern. Abgesehen davon, könnte man ja auch sagen: Wenn Deutschland das Gute für Israel will, sollte es Israel nicht erlauben, sich weiter zum Kriegsverbrecher zu machen. Ich finde, das hat einen seltsamen Beigeschmack, diesen Krieg anzufeuern – auch als Freund. Warum sagt man nicht, wir solidarisieren uns mit denen, die Verhandlungen einfordern? Mit den Familien der Geiseln? Solidarität kann vielschichtig sein. Und: Solidarität darf nicht auf Kosten des Völkerrechts gehen. Deutschlands völkerrechtliche Verpflichtungen müssen auch Staatsräson sein.

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