Die Potsdamer Garnisonkirche ist wieder aufgebaut. Obwohl vieles gegen das revisionistische Geschichtsbild der Stiftung spricht, die das beförderte.
Am Ostermontag wurde die Kapelle im wiederaufgebauten Turm der Garnisonkirche Potsdam mit einem Gottesdienst eingeweiht. Als in den 1990er Jahren zum ersten Mal der Vorschlag aufkam, das Gebäude, in dem im März 1933 die alten deutschen Eliten von Militär, Adel und Kirche dem nationalsozialistischen Terrorregime symbolisch die Macht übergeben hatten, originalgetreu zu rekonstruieren, erschien der Gedanke vielen als gänzlich absurd. Doch 2017 war Baubeginn, und nun steht es fertig da.
Die Idee dazu hatte ein rechtsextremer Bundeswehroffizier, der Fallschirmjäger Max Klaar, der 1984 anfing, zunächst das Glockenspiel der 1945 schwer beschädigten, 1968 dann abgerissenen preußischen Militärkirche in seiner Kaserne in Iserlohn mit Spendengeldern nachzubauen. Sein Wunsch dabei war, am Ende die ganze Kirche zu rekonstruieren. Als dann im November 1989 doch recht unerwartet die Mauer fiel, konnten er und seine Mitstreiter von der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel richtig ans Werk gehen.
Das Glockenspiel schenkten sie der Stadt Potsdam und stellten es unweit des historischen Kirchenstandortes auf. Eingegossene Widmungen für die deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze ließ der Potsdamer Oberbürgermeister von den Glocken vorab entfernen, aber die Widmungen für zahlreiche Wehrmachtstruppen und -offiziere blieben erhalten.
Schrittweise gewannen die Initiatoren Politiker aller Parteien und wichtiger Medien wie die damals von Alexander Gauland herausgegebene Tageszeitung Märkische Allgemeine für sich. Nun galt es noch, die Institution Kirche selbst für den Kirchenbau zu gewinnen. Im Sommer 2000 traf sich Max Klaar mit Bischof Wolfgang Huber und unterbreitete ihm seine Vision: Der Turm der Garnisonkirche solle von außen originalgetreu nachgebaut werden.
Philipp Oswalt ist Architekt und Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel. Er begleitete die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses kritisch, setzte sich gegen den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche ein und ist Initiator des Lernorts Garnisonkirche, die kürzlich das „Schwarzbuch Garnisonkirche Potsdam“ veröffentlichte.
Darin solle eine Kapelle als Ort der Verkündung in Verantwortung der evangelischen Kirche entstehen, die oberen Etagen sollten dagegen eine Ausstellung über den 20. Juli 1944, den Tag des versuchten Attentats auf Hitler, beherbergen – soweit er vom Potsdamer Infanterieregiment 9 ausging, dem großteils ehemalige Adlige angehörten. Als Träger solle eine Stiftung gegründet werden.
Huber griff den Vorschlag auf und setzte durch, dass der Kirchenkreis Potsdam, der sich zuvor gegen das Projekt gewandt hatte, sich ihm öffnete. Es folgten lange Debatten, Kritik und Rechtfertigungen, Veränderungen und deren Rücknahmen, Zerwürfnisse und neue Allianzen. Doch bei all dem erwies sich die von Max Klaar im Juni 2000 formulierte Konzeption als beständig.
Täter-Opfer-Umkehr
Es ist genau das, was im Zentrum von Potsdam in den letzten Jahren realisiert wurde. Die einzige relevante Änderung war, dass der 50 Millionen Euro teure Bau nun nicht aus Spenden, sondern mit Mitteln des Kulturstaatsministeriums als „national bedeutsame“ Kulturinvestition finanziert wird. Es ist ein trauriges und extremes Beispiel dafür, wie rechtsextreme Ideen anschlussfähig werden für die gesellschaftliche Mitte und diese infiltrieren.
Dieser rechtslastige Revisionismus der Geschichte ist in die Satzung der kirchlichen Stiftung eingeschrieben
Maßgeblich dafür war die Täter-Opfer-Umkehr in der Argumentation. Die Potsdamer Garnisonkirche ist ein symbolträchtiger Ort, der spätestens mit Niederschlagung der Revolution von 1848 und der deutschen Reichsgründung von Demokratieverachtung, völkischem Denken, Kriegsverherrlichung und Rassismus geprägt war und an dem schwerste Kriegsverbrechen und Völkermorde ideologisch legitimiert, gesegnet und zelebriert wurden.
Nun stilisierte man sich zum Opfer von NS-Regime, Bombenkrieg und DDR-Diktatur: Der Tag von Potsdam 1933, als der erste Reichstag nach Machtübernahme der Nationalsozialisten in der Garnisonkirche stattfand – eine Dreiviertelstunde Missbrauch einer moralisch integren Institution. Die Bombardierung Potsdams – ein sinnloser und kulturloser Racheakt der Alliierten. Der Abriss der Kirche – ein Verbrechen gottloser Kommunisten.
Dieser rechtslastige Geschichtsrevisionismus ist in die Satzung der kirchlichen Stiftung eingeschrieben, die Bauherrin und Betreiberin des Projektes ist. Das geht leicht durch, weil sehr viele Menschen hierzulande glauben, Christentum sei per se etwas Gutes.
Und so beruft man sich bei der Garnisonkirche darauf, dass ihr Bauherr, der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm, ein frommer, friedliebender, ja vorbildlicher Christ gewesen sei und „keinen einzigen Angriffskrieg“ geführt habe. In der Kirche sei durch die Vereinigung von Lutheranern und Reformierten „Toleranz ganz selbstverständlich geübt“ worden, und damit habe die Kirche einen „Beitrag zur Versöhnung zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Glaubensüberzeugungen“ geleistet.
Im NS-Regime sei sie gar die „Keimzelle des Widerstands gegen die braunen Verbrecher“ gewesen. Damals wie heute gelte: „Eine Kirche und eine kirchliche Nutzung ist die beste Grundlage, sich abzuschotten gegen ideologischen und auch politischen Missbrauch.“
Toxische Verbindung von Kirche und Monarchie
Doch diese Behauptungen verschleiern, welcher Glaube in der Garnisonkirche seit der Reichsgründung 1871 gepredigt und praktiziert wurde. Dies war der deutsche Nationalprotestantismus, jener engen und toxischen Verbindung zwischen Kirche und Monarchie, welche mehr und mehr eine völkisch-rassistische Ideologie entfaltete. Sie war die Grundlage für die christliche Variante eines Gotteskriegertums, wie wir es heute vor allem in islamistischer Prägung kennen, aber auch etwa aus Putins Liaison mit der russisch-orthodoxen Kirche. Entlarvend sind dafür die Texte, welche die Pfarrer der Garnisonkirche verfasst und gepredigt haben, vor allem in der Zeit vom Beginn der Kolonialkriege bis zum Ende der NS-Diktatur.
Beim Aufbruch der Potsdamer Truppen zum Kolonialkrieg in China rief etwa Pfarrer Kessler den in der Garnisonkirche versammelten Soldaten zu: „Ihr seid aber auch die Streiter Gottes, die nicht ruhen dürfen, bis sein heiliges Wort für alle Völker gilt! Nicht Friede darf werden auf Erden, bis das heilige Evangelium der Glaube aller Völker ist. Ihr seid die Pioniere des gekreuzigten Heilands! Darum Hand an das Schwert!“
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs im November 1913 rief Hof- und Garnisonprediger Richter den Rekruten bei ihrer Vereidigung zu: „Es muss der Herr unserem Heere voranziehen im Leben und im Sterben. Wie es am Grimmaischen Tor bei Leipzig war: Hingemäht die Reihen der Treuen und die nächste Reihe stürmt schon hinein – hinan – hindurch. Was kümmern uns die Hügel unserer Leichen – das ist der ‚Herrengeist‘ […]. Zurück, zurück mein Volk in diesen Opfergeist, wenn du vorwärts willst – und du stehst nicht am Ende, sondern am Anfang deiner Weltensaat.“
1935 leitete der Militärpfarrer der Garnisonkirche Werner Schütz die Vereidigung von 4.000 Rekruten auf Adolf Hitler an dem im Lustgarten aufgestellten Feldaltar mit den Worten ein: „Wer als Christ glauben und beten kann, der wird auch seinen Fahneneid halten, wird freudig sein zu jeder harten und schweren Pflicht, auch freudig zum Bluten und Sterben.“
„Wir wollen uns unsere Geschichte nicht nehmen lassen“, hieß es selbstbewusst und unkritisch im „Ruf aus Potsdam“, der dem Wiederaufbau zugrunde liegt. Das vom Bauherren lange als „Nationales Tafelsilber“ bezeichnete Bauwerk ist originalgetreu wiederaufgebaut worden, in der Kapelle wird der alte Altartisch von 1800 wieder verwendet, die Kirche führt wieder den alten Namen, den die einstige Gemeinde 1949 bewusst abgelegt hatte. Und im Kuratorium wird mit Vertretern aus Politik, Kirche und Militär das ehemals prägende Dreigespann der historischen Garnisonkirche wiederbelebt.
Um den Symbolgehalt wird weiter gestritten
Stolz verweist die Kirche auf die neu hinzugefügte Inschrift am Sandsteinsockel „Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“ und legt die Eröffnung auf Ostern. Doch dies ändert wenig. Adolf Hitler sprach am 21. März 1933 in der Garnisonkirche davon, das wir Deutschen aufrichtige Freunde des Friedens sein wollen; auch heute sprechen Diktatoren wie Putin von Frieden. Diese wohlfeilen, recht abstrakten Worte sind kein Gegengift für die originalgetreue Wiederherstellung eines kaum nutzbaren Symbolbaus, der sich früher wie heute bei Rechtsradikalen großer Beliebtheit erfreut.
Noch ist aber offen, welche Symbolbedeutung das Projekt am Ende verkörpert. Zum einen fehlt der Kirche für die Herstellung des militaristischen und absolutistischen Bauschmucks noch Geld. Zum anderen steht auf dem Baufeld des Kirchenschiffs seit 1970 das Rechenzentrum, welches heute als Kunst- und Kreativhaus genutzt wird. Während sich viele Akteure für dessen Erhalt einsetzen, wird das Kirchenprojekt in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch gesehen.