»Was nicht im Dienst steht, steht im Raum«, sagte Martin Luther einmal. In Potsdam soll am Ostermontag die Kapelle im Turm der neu gebauten Garnisonkirche »in Dienst genommen« werden. Bei einem Pressetermin am vergangenen Donnerstag erläutert Pfarrer Jan Kingreen den Unterschied zur katholischen Kirche, die ihre sakralen Gebäude »weihen« würde. Seine protestantische Kirche hingegen stelle Altar, Taufbecken und Orgel »in Dienst« und verleihe ihnen durch die spätere Nutzung »so etwas wie Heiligkeit«.
Um eine stadtpolitische Zäsur handelt es sich bei der neuen Garnisonkirche auf jeden Fall. Denn nachdem vor etwa drei Jahren im Potsdamer Raum mit dem umstrittenen Neubau das Stadtbild mitgeprägt worden ist, wird nun auch inhaltlich Einfluss genommen. Mit dem Eröffnungsgottesdienst, bei dem Bischof Christian Stäblein die Predigt halten soll, beginnt auch das Veranstaltungsprogramm der Kirche.
Es beschränkt sich zunächst auf Gottesdienste in der relativ kleinen Kapelle im Fuß des Baus. Es ist der Raum, durch den man bei der historischen Garnisonkirche, die 1945 durch Luftangriffe schwer zerstört und 1968 abgerissen wurde, in das Kirchenschiff gelangte. Kaum 100 Menschen passen hinein. Pfarrer Kingreen bat die Journalisten, in ihrer Berichterstattung nicht den Eindruck zu erwecken, man könne bei der Eröffnung dort hingehen und einen Platz finden. Das werde mit Sicherheit nicht der Fall sein.
Die eher bescheidene Nutzungskonzeption habe man von der Gemeinde übernommen, die das Haus bis zum Abriss als ihr Gotteshaus genutzt hatte. Diese zog später in das Gemeindezentrum in der Kiezstraße. In eine der drei Potsdamer Kirchenneubauten nach dem Krieg, für die die DDR finanzielle Mittel bereitgestellt hatte.
Die unterste Etage des Kirchturms wurde 1968 als letzte abgerissen und werde nun als erste in Betrieb gehen, informiert der Pfarrer. Was erst in den kommenden Monaten bis zu den Sommerferien öffnen soll: die oben gelegenen Seminar- und Bildungsräume, die vorgesehene Ausstellung zur Geschichte des Hauses und die barrierefrei zugängliche Aussichtsplattform in 60 Metern Höhe. Noch vor dem Jahreswechsel werde die – wie alles bei diesem Gebäude – von Hand gefertigte Haube in Einzelteilen angeliefert, neben dem Turm zusammengesetzt und per Spezialkran an ihren Spitzenplatz gebracht. Zusammen mit der Kapelle wird die neue Orgel (über 1000 Pfeifen) ihrer Bestimmung übergeben.
Eines hat die Kirche mit dem vor zehn Jahren eingeweihten Landtagsschloss gemeinsam, dass nur wenige hundert Meter in Sichtweite entfernt steht: Beide haben äußerlich die Anmutung des historisch barocken beziehungsweise klassizistischen Originals, sind aber im Innern von Nüchternheit geprägt. Die Säulen der Kapelle beispielsweise tragen keine Kapitelle, darauf macht der Pfarrer aufmerksam. Das suggeriere das Moderne. Die Nagelkreuzkapelle erinnert insofern an den Vorgängerbau, als auf dem Boden die ursprünglich tragenden Säulen in ihrer Dimension durch dunkle Kacheln mit einer solchen Mächtigkeit nachgebildet wurden, die im Nachbau mit neuen Baumethoden und Materialien gar nicht mehr erforderlich waren. Man wolle »nicht rückwärtsgewandt« auftreten, fügt Kingreen hinzu.
Das sehen nicht alle so. Die Stiftung Garnisonkirche rechnet zum Eröffnungstag mit Protest. Es werde nämlich der historische Feldaltar in der Nagelkreuzkapelle stehen. Aber, so versicherte Pfarrer Kingreen, nicht mehr, um daran Kriege zu segnen. Ihm sei bewusst, wie viele Menschen sich an diesem Altar diesbezüglich schuldig gemacht hätten. »Wir sind bereit, dazuzulernen.«
Auf die Frage, was der junge Pfarrer vom Lob des rechtsradikalen Ex-Bundeswehroffiziers Max Klaar halte, der in der Anfangsphase des Projekts die Zügel in der Hand gehalten hat, unterstreicht Kingreen, das nunmehr umgesetzte Konzept habe mit dem von Klaar »nichts, aber auch gar nichts zu tun«. Vielmehr sei »alles getan« worden, um eine rechtsextreme Vereinnahmung des Gebäudes auszuschließen.
Er räumte ein: Mit der äußeren Hülle des Baus könne man vielleicht eine rechtsextreme Propaganda stützen, nicht aber mit dem, was im Inneren des Gebäudes geplant sei. Zum Konzept gehöre, dass jeder, der hier auftrete, sich zu Demokratie, Vielfalt, Toleranz und gegen Rassismus bekennen müsse. In der vorgesehenen Ausstellung werde man sich betont kritisch mit der Geschichte des Hauses auseinandersetzen. Der Neubau fuße auf dem Beschluss der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung zur Annäherung an das historische Stadtbild Potsdams. Den gelte es auszuformen, meint Pfarrer Kingreen.
Die neue Garnisonkirche ist als Versöhnungszentrum angelegt. Eine Versöhnung mit den Kritikern gelang indessen nicht. »Wir sind mit ihnen im Gespräch und unterwegs«, versichert der Pfarrer. Kritisiert wird, dass trotz allem, was das das derzeitige Konzept enthalte, ein rechtsextremer Weihe- und Wallfahrtsort entstehe. Dieser habe im »Tag von Potsdam« 1933 seine Unschuld verloren, sofern die im 18. Jahrhundert errichtete, militärisch angelegte Garnisonkirche in Potsdam diese Unschuld je besessen habe. Den Hitlerfaschisten galt diese Kirche als »Wiege des Dritten Reichs«.
Natürlich tragen Steine keine Verantwortung. Die Art der Nutzung und die Bedeutungszusprechung aber muss laut Pfarrer Kingreen hinterfragt werden. Als Aprilscherz wird der Vorgang von den Gegnern nicht gesehen. Am Montag, kurz vor der Eröffnung, soll um 16 Uhr vor dem benachbarten Kreativzentrum eine »Gegenrede« zur Eröffnung der Kapelle der Garnisonkirche Potsdam gehalten werden. In der Einladung dazu heißt es, dass der rechtsradikale Bundeswehroffizier Max Klaar bei einem Treffen im Juli 2000 dem damaligen Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, vorgeschlagen habe, in den oberen Etagen eine Dauerausstellung über den 20. Juli 1944 zu beherbergen.
»24 Jahre später ist es so weit, der Turm der Garnisonkirche wird eröffnet. Der preußische Symbolbau – vom Bauherren lange als ›nationales Tafelsilber‹ bezeichnet – ist originalgetreu wiederaufgebaut, in der Kapelle wird der alte Altartisch von 1800 wieder verwendet, die Kirche führt wieder den alten Namen, den die evangelische Gemeinde 1949 bewusst abgelegt hatte«, schreiben die Veranstaltenden. Für sie und »viele Menschen, die für Demokratie und Menschenrechte eintreten und sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Kriegs- und Gewaltverherrlichung einsetzen«, sei dieser 1. April daher ein schwarzer Tag.
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