Am 10. Juni nimmt das »International Police Cooperation Center« (IPCC) in Neuss (Nordrhein-Westfalen) seine Arbeit auf. Das IPCC dient als zentrales Lagezentrum nicht nur von 400 Vertretern der deutschen Polizeibehörden (und des Verfassungsschutzes), sondern auch etwa 200 Verbindungsbeamten aus den Teilnehmerstaaten.
Doch die Verbindungsbeamten sitzen nicht nur in der umgebauten Aula der Neusser Polizeiakademie, sie werden auch unterwegs sein. Als szenekundige Beamte, die »ihre« Leute am besten kennen und »Gefährderansprachen« selbst vornehmen können. Und als Datenlieferanten der »Datei Gewalttäter Sport«, in der derzeit etwa 5500 Fußballfans wegen Gewaltbezügen gespeichert sind. Jedenfalls in dieser Zeit wird sie so zu einer europäischen Fandatei.
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Unweit von Neuss können diese Daten gleich zur Anwendung kommen, um an der Grenze zu den Niederlanden oder am Flughafen Düsseldorf vermeintliche Hooligans erkennen und abweisen zu können. Am vergangenen Freitag teilte das Bundesinnenministerium mit, dass ab sofort und bis zum 19. Juli an allen Grenzen der Bundesrepublik auch bei innereuropäischen Reisen Grenzkontrollen durchgeführt werden können. Die Bundespolizei wird dann entscheiden, wo sie tatsächlich kontrolliert – denn trotz EM-Urlaubssperre sind flächendeckende Grenzkontrollen nicht zu stemmen.
Über all das ist die Öffentlichkeit auch deshalb so gut im Bilde, weil die Innenminister*innen und – senator*innen von Bund und Ländern die Gelegenheit nutzen, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Mitte Mai wurde in regionalen und überregionalen Zeitungen über den Stand der Sicherheitsvorbereitungen auf die EM berichtet. Eine einheitliche Sprachregelung gab es dabei für die Beschreibung der Gefahren: gewarnt wurde vor Hooligans, vor islamistisch motivierten Anschlägen, vor organisiertem Taschendiebstahl wie vor »hybriden Bedrohungen«. Gemeint sind damit Hackerangriffe oder die Verbreitung von Falschinformationen, deren Herkunft sich nicht zweifelsfrei nachweisen lässt, die aber irgendwie Russland zugeschrieben werden.
Weiteres gemeinsames Thema aller Innenbehörden waren auch der Einsatz von Drohnen und die Drohnenabwehr. Drohnen sind mittlerweile ein Standardmittel, um in komplexen Lagen Überblicksaufnahmen herzustellen. Um die Drohnenüberwachung reibungslos durchführen zu können, werden ebenso standardmäßig Flugverbotszonen für jegliche Luftfahrzeuge, also auch private Drohnen, verhängt. Damit soll der Luftraum für die polizeilichen Drohnen freigehalten und die Gefahr durch herabstürzende oder außer Kontrolle geratene Drohnen für die Zuschauer*innen unterbunden werden. Wie die Polizei technisch vorgeht, um die Kontrolle über fremde Drohnen zu übernehmen und sie aus dem Luftraum zu entfernen, ist nicht bekannt.
Seit 2016 arbeiten alle Drohnen-Dienststellen der Polizei in der »Servicestelle Luftraumschutz« in Göppingen zusammen. Koordiniert werden von dort während der EM Drohnen- und Hubschraubereinsätze zwischen den Ländern, noch dazu ist die Bundeswehr eingebunden, um mit eigenem Gerät zu helfen. Auch an anderer Stelle wird die Bundeswehr eingebunden sein, wenn auch nicht so umfänglich wie bei der WM 2006. Die Bundesregierung gab auf eine mündliche Frage des Linke-Abgeordneten André Hahn an, bislang 77 Soldatinnen und Soldaten in insgesamt 18 Amtshilfeeinsätzen (v.a. technische Hilfe) zu nutzen. 2006 waren es 2000 Einsatzkräfte, 5000 weitere Soldatinnen und Soldaten wurden in Bereitschaft gehalten, um bei »Großschadenslagen« eingesetzt werden zu können.
Der Einsatz von Polizei und Sicherheitsunternehmen, umfassende Flugverbote über Stadien und Fanmeilen und vieles andere mehr geht dabei nicht allein auf gängige polizeiliche Schutzkonzepte für Großveranstaltungen zurück. Die UEFA als Ausrichterin will schon aus rein kommerziellen Gründen eine sichere EM, und sie will die Bilder davon kontrollieren. Jedes Detail dieses milliardenschweren Ereignisses – gerechnet wird mit 2,4 Milliarden Einnahmen durch Werbepartner, Tickets und Fernsehrechte – wird haarklein durch die UEFA vorgegeben. In den »Tournament Requirements« (TR, Turnieranforderungen) finden sich sogar Vorgaben zur Höhe der Sitzschalen in den Stadien.
Deren Sponsorennamen müssen ebenfalls weichen. Denn viele der Vorgaben aus den TR betreffen die Verhinderung von »Ambush Marketing«: Niemand soll die EM für eigene Werbezwecke nutzen dürfen, der nicht selbst Sponsor der UEFA ist. Innerhalb des »security perimeters« etwa 500 Meter um die Stadien herum dürfen dann nur deren Produkte verkauft oder beworben werden. Das gilt selbst für politische und religiöse Versammlungen. So heißt es in den TR: »Die zuständigen Behörden müssen alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Ambush Marketing zu verhindern. Dazu gehört die Verhinderung von politischen und/oder religiösen Demonstrationen.« Die UEFA hat sich zusichern lassen, dass Polizei und Justiz in den kommenden vier Wochen auf die Durchsetzung dieser Regeln verpflichtet sind.
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