Wo früher im Süden Berlins ein Gaswerk stand, tüfteln heute René Haas und Silvain Toromanoff mit ihrem Team an der Technologie, die unsere Zukunft retten soll. Vor zwei Jahren haben die beiden das Start-up Neocarbon gegründet. Seitdem arbeitet das Team unermüdlich daran, eine DAC-Anlage zu bauen, die CO2 möglichst effizient und kostengünstig aus der Luft saugt.
Hinter den drei Buchstaben verbirgt sich die „Direct Air Capture”-Technologie. Die funktioniert so: DAC-Anlagen saugen die Umgebungsluft an, entziehen ihr das CO2 und speichern das klimaschädliche Gas. Eine Art künstlicher Baum. DAC gehört wie CCS (Carbon Capture and Storage) und CCU (Carbon Capture and Utilization) zu den Klimaschutz-Technologien, die Emissionen aus der Atmosphäre absaugen – und so den Klimawandel bremsen sollen.
Die Hoffnung
Noch befinden sich die Anlagen von Neocarbon in der Pilotphase. Bald werde ein Testmodell „in die Wildnis entlassen“, scherzt Toromanoff. Im Mai soll die meterhohe DAC-Anlage, vollgepackt mit Rohren, Zylindern, Motoren und Tanks, auf einem Industriegelände in Nordrhein-Westfalen stehen und dort das erste CO2 außerhalb des Labors aus der Luft saugen.
Ob DAC, CCS oder CCU – weltweit gibt es bisher nur wenige solcher Anlagen. Dabei werden diese Technologien dringend benötigt, um den Klimawandel zu bremsen. Der Weltklimarat hat in seinem IPPC-Bericht darauf hingewiesen, dass Negativ-Emissions-Technologien vor allem für die Dekarbonisierung von Industrien benötigt werden, für die es keine Alternativen durch grünen Wasserstoff oder Elektrifizierung gibt. Dazu gehören Teile der chemischen Industrie, die Kalk- und Zementproduktion sowie die Müllverbrennung.
Ohne CCS-Anlagen werden diese Industrien verschwinden, wenn die EU bis 2050 klimaneutral werden will. Inzwischen gehen Experten sogar davon aus, dass die Menschheit in Zukunft die Emissionsgrenze für ein stabiles Klimasystem überschreiten wird und deshalb CO2 mit Negativ-Emissions-Technologien wieder aus der Atmosphäre entfernt werden muss.
Die Hürden
Nur noch zwei Jahrzehnte, dann will Deutschland 2045 klimaneutral sein. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, sagt Professor Klaus Wallmann. Der Meeresforscher am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel ist einer der wenigen Experten in Deutschland, die sich seit Jahren mit der CO2-Lagerung unter dem Meeresboden der Nordsee beschäftigen.
„Die vorherige Regierung hat sich kaum mit CCS beschäftigt, weshalb es jetzt schnell gehen muss, wenn wir 2045 klimaneutral sein wollen”, , sagt Wallmann zu FOCUS online Earth. “Inwieweit CCU oder DAC dafür eine Rolle spielen werden, ist schwer absehbar. CO2 abschneiden und dann weiterverwenden (CCU) oder CO2 direkt aus der Luft ziehen (DAC) sind mögliche Ansätze, die aber noch teurer und energieaufwendiger sind als CCS.“
Bislang ist CCS hierzulande sogar de facto verboten. Doch vor wenigen Wochen hat Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) die ersten Eckpunkte der sogenannten “Carbon-Management-Strategie” präsentiert. Das Wichtigste: Die Abscheidung und Speicherung von CO2 im Meer soll in Deutschland künftig erlaubt sein. Das bedeutet, dass Unternehmen in Zukunft CCS-Anlagen und so genannte Abscheidetürme bauen können und das daraufhin verflüssigte CO2 unter der deutschen Nordsee in Sandgestein gepresst wird, statt in die Atmosphäre zu gelangen.
Bis dahin werden jedoch noch einige Jahre vergehen. Deshalb ist Eile geboten, damit der rechtliche Rahmen so schnell wie möglich steht. Mögliche Speicherstätten unter dem Meer müssen erkundet und Offshore-Plattformen gebaut werden. Gleichzeitig muss eine Transportinfrastruktur geschaffen werden. Die größte Hürde für den Einsatz von Negativ-Emissions-Technologien in Deutschland, oder gar für den Aufbau eines CO2-Entsorgungsgeschäfts in Deutschland, ist jedoch die Finanzierung.
Die Speicherung
Deutschland braucht CCS, muss dafür aber tief in die Tasche greifen. Allein für die Erkundung einer einzigen CO2-Lagerstätte unter der Nordsee rechnet Wallmann mit 100 bis 200 Millionen Euro. „Die Stellen, an denen CO2 ‘offshore’ gespeichert werden könnte, liegen in etwa ein bis vier Kilometern Tiefe”, sagt auch der Geologie-Professor Sebastian Bauer von der Universität Kiel zu FOCUS online Earth. “Davon sind etwa 100 Meter Nordsee, der Rest ist Gebirge mit den üblichen Gesteinsschichten, wie sie auch an Land vorkommen.“ Die Erkundungskosten seien “offshore”, also vor der Küste, deutlich höher als an Land.
Diese Kosten müssten die Unternehmen tragen, die die Speicherstätten vor der deutschen Küste betreiben wollen. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass dies meist Öl- und Gasunternehmen wie TotalEnergies, Shell oder Wintershall Dea sind. Diese Unternehmen werden die Kosten voraussichtlich an ihre Kunden aus der Zement- oder Abfallindustrie weitergeben, die ihre Emissionen in den Speicherstätten entsorgen wollen. Hinzu kommen die Kosten für die Plattformen, die für die Bohrungen in der Nordsee errichtet werden müssen.
Die Infrastruktur
Damit CO2 unter der Nordsee gespeichert werden kann, muss das Gas von A nach B gelangen. Der Verein Deutscher Zementwerke hat in Zusammenarbeit mit anderen Branchen in einer Studie ermittelt , dass in Deutschland ein 4800 Kilometer langes CO2-Netz gebaut werden müsste, um die Standorte der Zement-, Kalk- und Müllindustrie miteinander zu verbinden. Für die Infrastruktur, die das CO2 dann zu den Speicherstätten bringt, sind Investitionen von 14 Milliarden Euro nötig, rechnen die Autoren der Studie vor.
„Der Aufbau einer CO2-Infrastruktur in Deutschland ist für diese Branchen unverzichtbar“, sagt Christian Knell, Präsident des Vereins Deutscher Zementwerke (VDZ). Und die Zeit drängt: Bereits bis 2040 müssen Zementhersteller und andere Branchen im europäischen Emissionshandel weitgehend klimaneutral produzieren. „Dafür brauchen die Unternehmen bis spätestens 2035 ein CO2-Pipelinenetz“, so Knell weiter.
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Bis die CO2-Entsorgung in Deutschland steht, braucht es also noch sieben bis zwölf Jahre Zeit – und Geld für Speicher und Transportnetze. Doch so lange müsse die Industrie mit CCS-Projekten nicht warten, meint Wallmann. „Die ersten deutschen CCS-Projekte könnten schon 2030 starten. Das CO2 würde dann zunächst per Bahn abgeholt und per Schiff nach Norwegen, Dänemark oder in die Niederlande exportiert“, erklärt der Meeresforscher.
Derzeit würden in der Zement-, Kalk- und Müllverbrennungsindustrie jährlich 66 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen, die nicht vermeidbar seien, heißt es in der Studie. Zur Einordnung: Laut Umweltbundesamt werden in Deutschland im Jahr 2023 rund 673 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.
Die Kosten
Doch was kostet es insgesamt, eine Tonne CO2 in Deutschland abzuscheiden, zu transportieren und zu speichern? „Bisher gibt es nur Kostenschätzungen für den Einsatz von CCS”, sagt Wallmann. “Mit Abscheidung, Infrastruktur, Transport und Speicherung wird es wohl zwischen 150 und 250 Euro kosten, eine Tonne CO2 unter die Erde zu bringen.“
Deshalb sei es weder realistisch noch wirtschaftlich sinnvoll, CCS für Industrien einzusetzen, die auf anderem Wege klimaneutral werden könnten. „Man muss einfach klar sagen, dass die CCS-Technologie seit 20 Jahren an den Kosten scheitert”, betont der Forscher. “Es macht also keinen Sinn, CCS im großen Stil einzusetzen, wenn es günstigere Alternativen gibt. Aber in einigen Branchen werden wir CCS brauchen, weil dort die CO2-Emissionen nur mit CCS drastisch reduziert werden können. Wir können leider nicht mehr wählerisch sein, sondern müssen alle Mittel einsetzen, wenn wir die Klimaziele noch erreichen wollen.“
Die Zukunft
Die endgültige Carbon-Management-Strategie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima (BMWK) befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung. Bernhard Kluttig, Leiter der Abteilung Industriepolitik im BMWK, geht davon aus, dass die Strategie bereits Ende April verabschiedet wird, berichtet der “Spiegel” . Kluttig erklärte, für die teure Technologie seien staatliche Subventionen nötig. Eine Möglichkeit sei, die Unternehmen im Rahmen der Klimaschutzverträge zu unterstützen , schlägt Wallmann vor.
„Ohne die Klimaschutzverträge wird es keine CCS-Anlagen geben, weil es derzeit noch teurer ist, ein Zementwerk mit einer CCS-Anlage auszustatten, als einfach weiter CO2 auszustoßen. Deshalb brauchen wir dieses Instrument der Klimaschutzverträge, um die CCS-Technologie in Deutschland auf den Weg zu bringen“, so der Experte. Deutschland müsse helfen, wenn gewisse Industrien das CO2 nicht mehr auf Kosten aller in die Atmosphäre blasen wollten.
Die Kosten sind immens, viele Hürden müssen überwunden werden, um mit CCS oder gar CCU oder DAC die Emissionen zu speichern, die die deutsche Industrie nicht anders einsparen kann. „Es wird teuer, aber wir haben keine andere Wahl“, betonen die Neocarbon-Gründer Haas und Toromanoff. „Wir haben zu lange zu wenig für den Klimaschutz getan. Jetzt müssen wir auch teure und komplizierte Technologien einsetzen, wenn wir es schaffen wollen.“