Der Slowene Tadej Pogacar steigt mit toller Form in die Radsport-Saison ein, gewinnt auf den Strade Bianche und will Historisches erreichen.
Erstes Saisonrennen, erster Sieg, Tadej Pogacar könnte kaum besser in seine Mammutsaison mit Giro und Tour, Olympia und WM einsteigen. 81 Kilometer vorm Ziel der Strade Bianche entschied sich der Slowene davonzustiefeln. Es sah extrem einfach aus. Pogacar hatte sich zuvor an die Spitze der nur noch zwei Dutzend Fahrer fassenden ersten Gruppe gesetzt. Dann drückte er etwas stärker auf die Pedalen. Sepp Kuss, der Vuelta-Sieger des letzten Jahres, bäumte sich noch kurz auf, blickte sich um, sah leere Gesichter hinter sich und resignierte dann auch. Pedalumdrehung für Pedalumdrehung entfernte sich der Slowene.
Am Ende hatte er fast drei Minuten Vorsprung – genügend Zeit, um vom Rad zu steigen, es in Siena über den Kopf zu heben wie einen Lorbeerkranz. Es war eine Krönung ganz eigener Art. „Man kann die Aktion tatsächlich mit den Leistungen von Eddy Merckx vergleichen. Es war historisch, was Tadej heute geleistet hat“, zollte ihm der frühere Weltmeister und aktuelle Eurosport-Kommentator Philippe Gilbert Respekt.
Gilbert war ein besonderer Zeuge der Überlegenheit des Slowenen. Denn vorm Rennen hatte der ihm exakt ins Mikrofon gesagt, wann er angreifen würde, am Monte Sante Marie. Gilbert wollte es kaum glauben, die Rennfahrer, die mit Pogacar im Wettkampf waren, hätten es wohl auch nicht für bare Münze genommen. Aber Pogacar steigt auf einem solch hohen Niveau in diese Saison ein, dass er seine Taktik verraten kann – und trotzdem ist kein Kraut gegen ihn gewachsen.
Ganz so einfach wie es aussah, war der Job dann aber auch nicht. Sein Team UAE hatte vorher das Rennen extrem schwer gemacht. Einige Mitfavoriten hatten längst den Kontakt verloren. Und für den Slowenen selbst war auch die Härte der bis dahin gefahrenen Kilometer ein Grund, so früh anzugreifen. „Es war ein hartes und schnelles Rennen von Beginn an. Durch den Regen war der Belag auch schwer. Zeitweise hat man auch nicht gut gesehen. Deshalb entschloss ich mich, es so früh allein zu versuchen“, gab er später zu Protokoll.
Der notorische Wegfahrer
Er konnte sich dabei auf die Fassungslosigkeit seiner Rivalen verlassen. Die schienen es anfangs nicht für möglich zu halten, dass Pogacar tatsächlich mehr als 80 Kilometer als Solist verbringen will. Dann aber fehlte ihnen die Kraft, um die kleine Lücke von zehn, fünfzehn Sekunden zu schließen. „Ich wusste, wenn ich einmal vorne weg bin, muss ich das auch bis zum Schluss durchziehen“, gestand Pogacar. Die ersten Minuten seiner Attacke waren die entscheidenden.
Über viele Kilometer danach bewegten sich er und seine Verfolger eher im Gleichschritt. Pogacar konnte sich in dieser Phase darauf verlassen, dass sein Teamkollege Tim Wellens Tempoverschärfungen im Verfolgerfeld zu neutralisieren wusste. Es leuchtete der Stern von Pogacar, gewiss. Nicht unwichtig waren aber auch die kleineren Lichter im Team.
Pogacar wurde nun schon zum zweiten Mal Strade-Bianche-Sieger. 2022 reichte ihm ein Solo von knapp 50 Kilometern. Jetzt trat er an derselben Stelle an, der Kurs war aber 30 km länger. Kein Schocker für den talentiertesten Fahrer seiner Generation.
Zum bereits zweiten Mal hintereinander gewann er auch gleich bei seinem allerersten Renntag in der Saison. Das freute ihn noch zusätzlich. „Nach einer langen Trainingsphase weiß man nicht so genau, wie gut man im Vergleich zu den anderen ist, welche Wettkampfhärte man schon hat“, gestand er ein wenig Unsicherheit ein. Die dürfte aber schnell verflogen sein. Locker hielt er seine Kontrahenten in Schach.
Für Jonas Vingegaard, seinen Rivalen bei der Tour de France, war das eine Ansage. Allerdings ist auch der Däne gut gewappnet. Er holte an seinem zweiten Renntag der Saison auf Mallorca seinen ersten Sieg und gewann auch die beiden folgenden Etappen von O Gran Camino. Beide befinden sich in einem spannenden Fernduell. Ungewiss ist, ob sie vor der Tour überhaupt aufeinandertreffen. Denn Pogacar hat seine erste Saisonhälfte auf den Giro d’Italia abgestimmt. Das ist sein erstes großes Ziel. „Ich habe mich lange darauf gefreut. Jetzt ist es an der Zeit“, sagte er.
Die Tour de France danach will er trotzdem fahren. Den letzten Doublesieg holte 1998 Marco Pantani, den letzten ernsthaften Doubleversuch startete 2015 Alberto Contador mit Giro-Sieg und Platz 5 in Frankreich. Der Slowene will in dieser Saison an solchen Marken rütteln. Der Einstieg war fabelhaft. Und natürlich löst seine Überlegenheit wieder die Frage aus: Wie macht er das bloß?