In dem Hochgeschwindigkeitssport Formel 1 kann immer etwas passieren, so ganz sicher konnte sich Carlos Sainz selbst auf den letzten Runden also nicht sein. Als noch drei der insgesamt 58 Durchgänge beim Großen Preis von Australien zu fahren waren, meldete der Spanier sich im Boxenfunk tatsächlich mit Reifenproblemen. Was für ein Drama würde jetzt folgen? Nach einem bis dahin so grandiosen Rennen für ihn? Nachdem der sonst dominierende amtierende Weltmeister Max Verstappen überraschend früh ausgeschieden war? Der Ferrari von Sainz schnurrte weiter über den Albert Park Circuit von Melbourne. Aber große Aufregung gab es dennoch.

Es fehlte nicht mehr viel bis zum Rennende, als George Russell die Kontrolle über seinen Mercedes verlor. Der Engländer kam vor Kurve 6 zu nah an den Aston Martin von Fernando Alonso, dadurch riss der Anpressdruck ab, Russell steuerte auf einen Reifenstapel zu, landete im Kiesbett und stellte sich, zurück auf der Strecke, quer. Der Crash sah spektakulär aus und demolierte das Auto ordentlich – Russell blieb nach ersten Informationen glücklicherweise unverletzt. Doch das Rennen konnte trotz virtueller Safety-Car-Phase beendet werden.

Und dann, tatsächlich, konnte sich Sainz sicher sein: Nach Großbritannien 2022 und Singapur 2023 holte er in Melbourne 2024 den dritten Sieg seiner Formel-1-Karriere. Und das 15 Tage nach einer Blinddarm-Operation. “Das Leben kann eine Achterbahn sein”, jubelte er noch im Auto. Das beschrieb seinen Start in dieses Jahr ganz gut. Erst wurde bekannt, dass er kommende Saison bei der Scuderia vom siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton abgelöst wird und sich also ein neues Cockpit suchen muss. Dann fuhr er beim Saisonstart in Bahrain auf Platz drei, fiel in Saudi-Arabien wegen der OP aus, verbrachte viel Zeit im Krankenhaus – und nun dieser Sieg, der noch dazu ein Doppelerfolg war. Der erste für Ferrari seit Bahrain 2022.

Denn Zweiter wurde sein Teamkollege Charles Leclerc vor Lando Norris im McLaren. Nico Hülkenberg, einziger deutscher Stammpilot, wurde im Haas Neunter. “Der Doppelsieg zeigt, dass die harte Arbeit sich auszahlt”, sagte Sainz vor der Siegerehrung. “Das Leben ins manchmal verrückt.” Die Gesamtwertung führt Verstappen mit 51 Punkten nach wie vor an, doch Leclerc holt mit 47 Zählern auf. Dritter ist Sergio Perez (46).

Statt seinen saisonübergreifend zehnten Sieg zu feiern, fällt Verstappen erstmals seit zwei Jahren wieder aus

In der Qualifikation hatte es zunächst danach ausgesehen, als könnten die vordersten Parkbuchten diesmal beide von Rot belegt werden. Ferrari fuhr schneller und konstanter. Aber im dritten, entscheidenden Durchgang drehte Red Bull richtig auf – und Verstappen ergatterte die 35. Pole Position seiner Formel-1-Karriere. Sein Teamkollege Sergio Perez absolvierte die Runde als Drittschnellster, wurde jedoch auf Startplatz sechs strafversetzt. Ferrari blieb durch Sainz’ gelungene Fahrt in der ersten Reihe. Erstaunlicherweise, muss man sagen, angesichts der Blinddarm-OP. Leclerc rückte durch die Perez-Strafe auf Startplatz vier vor. “Die dachten, die schlagen uns”, sagte Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko bei Sky. “Dann ist die Ernüchterung umso größer.”

Für das dritte Saisonrennen waren also alle gewarnt vor einer Fortsetzung der Verstappenschen Siegesserie – und schon auf den ersten Metern deutete sich an, dass es so weit kommen könnte. Sainz versuchte, auf dem 39 Grad erwärmten Asphalt gleich beim Start am Red Bull vorbeizukommen. Aber der Weltmeister war zu schnell und rauschte gewohnt abgebrüht davon. Üblicherweise hätte der 26-Jährige jetzt Runde um Runde den Abstand vergrößert. Aber schon in der zweiten Umdrehung konnte Sainz plötzlich doch überholen. Hoppla!

Formel 1 in Australien: Da war nichts mehr zu machen: Max Verstappen muss seinen qualmenden Red Bull vorzeitig an der Garage abstellen.

Da war nichts mehr zu machen: Max Verstappen muss seinen qualmenden Red Bull vorzeitig an der Garage abstellen.

(Foto: Scott Barbour/Reuters)

Aber der Schub des Ferraris lag nicht allein am abgeklappten Heckflügel dank sogenanntem DRS-Modus zur Reduzierung des Luftwiderstands. “Ich habe das Auto gerade verloren, wirklich seltsam”, funkte Verstappen an seine Ingenieure und gab weitere Probleme durch, bevor in der vierten Runde klar war: Die Angelegenheit ist ernst. “Es raucht, Feuer! Feuer!”, meldete der Niederländer. Hinten rechts qualmte es aus seiner Aufhängung heraus und schon bald zog er eine richtige Wolke hinter sich her, der RB20 wurde langsamer und langsamer, ein Konkurrent nach dem anderen kam in den seltenen Genuss, vorbeizufahren am sonst so überlegenen Auto. Der Qualm wurde dichter.

Als Verstappen im Schneckentempo in die Boxengasse abgebogen war, gab es eine Mini-Explosion inklusive Flamme. Vor seiner Garage dann stürzten sich die Mechaniker direkt mit Feuerlöschern auf dem Brand. Statt seinen saisonübergreifend zehnten Sieg zu feiern, stieg Verstappen aus. Letztmals war er vor zwei Jahren ausgefallen – im April 2022 ebenfalls in Melbourne. Damals stoppte ihn ein Benzinleck, nun war es die Bremse. Dieses Rennen war für den Titelverteidiger vorbei, bevor es wirklich begonnen hatte. Und Verstappen war sauer. Im Austausch mit einem Ingenieur zeigte er mit seinem Zeigefinger den Vogel und man musste nicht professionell Lippenlesen, um Verstappens Zwischenfazit zu verstehen: “Dumm!”

Auch der siebenmalige Weltmeister Hamilton fällt aus

Seiner Konkurrenz ermöglichte dies seltene Erfolgsaussichten. Der Dominator war raus – wer würde für einen Tag seinen Platz einnehmen? Die Reihenfolge lautete nun: Sainz, Norris, Leclerc, Piastri. Und der Führende machte Ferrari Hoffnung: “Lasst uns die Lücke jetzt öffnen, das Auto fühlt sich wirklich gut an.” Die ersten wechselten die Reifen – und dann gab es den nächsten Ausfall, ohne, dass es krachte. Wieder war ein Weltmeister involviert.

Der Mercedes von Lewis Hamilton wurde langsamer und langsamer, bis der Fahrer in der 17. Runde rechts ran tuckerte, um sein Auto an einer ungefährlichen Stelle auf dem Rasenstreifen abzustellen. Der Engländer gab seinem Team einen Motorschaden als Ursache durch. Schon das ganze Wochenende hatte bei den Silberpfeilen Unzufriedenheit geherrscht. “Diese Unbeständigkeit im Auto bringt einen ganz durcheinander”, hatte der siebenmalige Weltmeister offenbart, für den lediglich Startplatz elf drin gewesen war.

Hamiltons Ausfall löste ein virtuelles Safety Car aus. Sprich: Für alle Fahrer wurde eine bestimmte Rundenzeit vorgegeben, der Abstand zwischen ihnen blieb also weitgehend gleich, es durfte nicht überholt werden. Das nutzte der ein oder andere zum Boxenstopp. An der Spitze fuhr Sainz unbeirrt weiter, nach 28 von insgesamt 58 Runden hatte er sich fünf Sekunden Vorsprung vor Leclerc herausgefahren. Dieser verlor zwischendurch beim Reifenwechsel Positionen, die er jedoch auf frischen Pneus wiedergutmachte – und auch Sainz gefährdete seine Führung durch einen kurzen Zwischenstopp nicht. Sein Vorsprung betrug mehr als sieben Sekunden, als der Madrilene zurückkam. Und der beste Red Bull an diesem Tag, gelenkt von Sergio Perez, hatte mit all dem nichts zu tun – er wurde Fünfter.



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