Der Essayfilm „And the King Said, What a Fantastic Machine“ fragt nach der Wahrheit der Bilder – und ob sie heute überhaupt noch eine Rolle spielt.
Zerstörte Häuser füllen den Bildschirm aus, ein gelber Bagger steht auf grauen Trümmern, die Leiche eines Mädchens liegt auf dem Dach eines Gebäudes. Die Medienbilder vom Erdbeben in Haiti 2010 im Essayfilm „And the King Said, What a Fantastic Machine“ sind aus dem öffentlichen Raum – und zugleich intim.
Sie erzeugen das Gefühl, dem Geschehen nahe zu sein. Da sind nur die Zuschauer*in und der tote Mensch. Das nächste Bild zerstört den Eindruck: Direkt vor der Mädchenleiche – nun von der Seite zu sehen – knien fünf Fotografen. Ein Kameraschwenk bringt Kontexte zum Einsturz.
An dieser Stelle spitzt der Film der Regisseure Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck seine zentrale These zu: Bilder sind selten authentisch, oft inszeniert. Weshalb sich das Bild einer einzigen Leiche – wie die des Mädchens, oder die des geflüchteten Jungen Alan Kurdi an der Mittelmeerküste 2015 – besser eignet, Empathie zu erzeugen, als Bilder von Massengräbern. Bei der Katastrophe in Haiti starben 200.000 Menschen.
„Um Illusionen aufrechtzuerhalten, müssen manche Dinge verborgen werden“, sagt die Off-Stimme des Films, der ausschließlich aus Archivmaterial besteht. Zu sehen sind Sprecher einer Liveübertragung des ESC, im Hintergrund Bilder, die ihre Heimatländer repräsentieren.
Dinge hinzudichten
Nach einem Schnitt steht dieselbe Person vor einer grünen Leinwand, spricht unbekümmert weiter, und siehe da, die Zuschauer*in ist der Wirklichkeit suggerierenden Illusion beraubt. „Green Screens“ dienen als neutraler Hintergrund, um in der Postproduktion durch beliebige Bilder ersetzt zu werden.
Manchmal müssen Dinge hinzugedichtet werden, um Illusionen aufrechtzuerhalten. „Was für eine fantastische Maschine die Kamera doch ist“, rief König Edward VII. 1902 aus, als er einen Film über die eigene Krönung sah, die vor der eigentlichen gedreht wurde. Dem filmtitelgebenden Satz fügt er hinzu: „Sie hat sogar einen Weg gefunden, jene Teile der Zeremonie zu filmen, die gar nicht stattgefunden haben.“
Den Philosophen Roland Barthes störte genau das an Film. Der Zwang, alles aufzunehmen, negiere die Möglichkeit, nuanciert wahrzunehmen. Film entführe „die Vertrauenswürdigkeit der Photographie“, und missbrauche „sie zugunsten einer Illusion“.
Doch ob vertrauenswürdig oder verdächtig, Zuschauende sehen am Ende nur das, was da ist. Nicht das, was nicht da ist. Eine Collage von NSDAP-Aufmärschen oder Trump-Auftritten zeigt: Mit Blick auf Bilder, die Macht ausstrahlen sollen, ist das selten ungefährlich. Gesehenes wird oft als wahr empfunden – nicht überraschend in einer Kultur, die den Sehsinn als wichtigstes Mittel zur Wahrnehmung erklärt hat.
Es sind bekannte Themen, die hier manchmal auf quasi küchen-kulturwissenschaftliche Weise verhandelt werden, doch selten wurden sie so zeitgenössisch präsentiert: in schnellen Vignetten wie Tiktok-Reels. Mit der fließenden Form offenbaren sich neue Zusammenhänge.
Salvenartige Szenen
Rund 180 Jahre Foto-und-Film-Geschichte haben das Verhalten verändert. So geht es in einer Szene um einen Gamer, der seine Spiele via Twitch überträgt, aber kaum Follower*innen hat. Als er vor der Webcam einschläft und aufwacht, haben sich die Zuschauenden vervielfacht. Der schlafende Mensch ist interessanter als der wache. Vielleicht gibt es heute eine derartige Sättigung inszenierter Bilder, dass die „echten“ beliebter werden?
Gegen Ende bekommt die Zuschauer*in salvenartig „found footage“ aus dem Netz um die Ohren gehauen: grinsende Katzen, ein Paar, das ohne Sicherung auf einem Wolkenkratzer balanciert. Die Montage ist überfordernd – der Verstand kommt nicht nach, die Eindrücke zu verarbeiten, Affekt folgt Affekt.
So funktioniert heute vieles, auch politische Polemik, bei der eine Metapher der anderen folgt, ohne auf das Eigentliche zu kommen. Das Eigentliche im Sinne des Filmsujets wäre vielleicht das Abgebildete, nicht das Abbildende: die Mädchenleiche, nicht das, wofür sie steht (die Katastrophe).
Mit dem Bilderbombardement bedient sich „And the King Said …“ einer Methode, die er kritisiert. Das ist elegant. Er macht angesichts der stetig wachsenden Masse von Bildern bewusst, was wirklich wichtig ist: zu hinterfragen, was, aber auch wie etwas zu sehen ist.