Tag 9: Ein neonbunter Schicksalsort in Karim Aïnouz’ Spielfilm „Motel Destino“ und Besuch aus dem Iran. Das Festival von Cannes auf der Zielgerade.
Eine gute Nachricht von den Filmfestspielen: Zur Premiere seines Wettbewerbsfilms, „The Seed of the Sacred Fig“, wird der Regisseur Mohammad Rasoulof in Cannes erwartet. Rasoulof, der im Iran zu acht Jahren Haft und Peitschenhieben verurteilt ist, war die heimliche Flucht nach Deutschland gelungen.
Inzwischen bestätigte das Festival seine Reise nach Frankreich. An Rasoulofs Film knüpfen sich einige Erwartungen. Iranische Behörden hatten den Regisseur unter Druck gesetzt, seinen Beitrag aus dem Wettbewerb zurückzuziehen.
Im Vergleich zu den bisher vorgestellten Kandidaten für die Goldene Palme dürfte Rasoulof sogar realistische Chancen bei den Preisen haben. Ein unumstrittener Gewinner ist bisher jedenfalls nicht in Sicht. Dafür gibt es dieses Jahr viel Eigensinn, der mitunter verzaubern kann.
Härte und Magie
Bei Andrea Arnolds „Bird“ ist es die Kombination von realistischem Sinn für soziale Härte und freizügigem Einsatz von Magie, Jia Zhangke kombiniert in „Caught by the Tides“ sein Material aus 25 Jahren zu einer poetisch rätselhaften Erzählung, und Sean Baker lässt in „Anora“ den bedingt glamourösen Alltag seiner als Sexarbeitern tätigen Titelhelden mit ebenso viel Tempo wie Energie hemmungslos auf Klischees über den verschwenderischen Lebensstil von russischen Oligarchen prallen.
In ein ähnliches Milieu führt einen der brasilianische Regisseur Karim Aïnouz mit „Motel Destino“, dessen Charakterisierung als Erotikthriller dem Film nur in Teilen gerecht wird. Sein Protagonist Heraldo (Iago Xavier) arbeitet für die Drogenhändlerin Bambina in Ceará, einem Bundesstaat im Nordosten Brasiliens – im wirklichen Leben zugleich die Gegend, in der Aïnouz geboren ist.
Heraldo hat Schulden bei Bambina, die obendrein Kredithai ist, und soll mit seinem Bruder Jorge für sie Geld eintreiben. In der Nacht zuvor macht Heraldo die Bekanntschaft einer Frau, die ihn in ein Stundenhotel mitschleppt, das so heißt wie der Film. Viel Neonlicht draußen und drinnen, überhaupt recht grelle Farben, mit denen Aïnouz sehr kunstvoll hantiert.
Ausschweifende Nacht
Die Nacht ist ausschweifend, am nächsten Morgen wacht Heraldo allein auf, mit der offenen Rechnung für das Zimmer. Als er schließlich gegen Pfand das Motel verlassen und zu seinem Auftrag aufbrechen kann, kommt er zu spät: Sein Bruder ist tot, und Heraldo hat fortan die Bande von Bambina im Nacken, die mit ihm abrechnen will. In seiner Not kehrt er zurück zum Motel, um dort unterzutauchen.
Aïnouz interessiert sich in der folgenden Erzählung jedoch weniger für eine klassische Fluchtgeschichte. Er konzentriert sich vielmehr darauf, Heraldo in seinem Versteck sowohl mit seiner Zuneigung für Dayana (Nataly Rocha), die Frau des Hotelbesitzers, als auch mit der Gefahr, die von ihrem unberechenbaren Mann Elias (Fábio Assunção) ausgeht, zu konfrontieren.
Aïnouz feiert dabei die ungleiche Amour-fou-Konstellation, mit einem ständig schwitzenden Heraldo, der wild entschlossenen Dayana und dem impulsiv-cholerischen Elias. Allein schon für die Bildgestaltung müsste es einen Preis geben.