„Amsel im Brombeerstrauch“ ist ein Film mit eigenwilliger Hauptfigur. Regisseur*in Elene Naveriani spricht über Widerstand und neues georgisches Kino.
Ein abgelegenes Dorf in Georgien. Etero (Eka Chavleishvili) betreibt hier einen kleinen Laden. Mit ihrem einfachen, aber unabhängigen Leben ist sie zufrieden, auch wenn die alleinstehende Endvierzigerin von den anderen Frauen im Ort dafür immer wieder herablassend behandelt wird. Bis sie sich plötzlich in einen verheirateten Mann verliebt und herauszufinden beginnt, welche Bedürfnisse bei aller Freiheit noch in ihr schlummern. Elene Naveriani ist nonbinäre Regisseur*in, deren dritter Spielfilm „Amsel im Brombeerstrauch“ erzählt skurril und bedacht von einer selbstbestimmten Frau und ihrer Suche nach Glück in einer Gesellschaft, die das nicht duldet.
studierte Monumentalmalerei an der Staatlichen Kunstakademie Tiflis. Nach einem Master in Critical Curatorial Cybermedia an der HEAD Genf (Hochschule für Kunst und Design Genf) begann Elene ein Filmstudium. Ihr erster Spielfilm „I Am Truly a Drop of Sun on Earth“ (2017) feierte seine Premiere in Rotterdam. Elenes zweiter Spielfilm „Wet Sand“ hatte seine Weltpremiere 2021 in Locarno. „Amsel im Brombeerstrauch“ lief 2023 in Cannes in der Reihe „Quinzaine des cinéastes“.
wochentaz: Elene Naveriani, Sie sind 1985 in Georgien geboren, leben seit vielen Jahren in der Schweiz. Wie hat sich Ihr Blick auf die alte Heimat verändert?
Elene Naveriani: Ich bin vor mehr als 15 Jahren ausgewandert und verbringe mittlerweile die Hälfte des Jahres in der Schweiz, die andere Hälfte in Tbilisi. 2008 eskalierte in Georgien der Konflikt mit Russland zum sogenannten Kaukasuskrieg, ich wollte nur noch weg. Ich wurde an der Hochschule für Kunst und Design in Genf angenommen, habe zunächst Kritische Theorie studiert, dann Film und mir dort ein neues Leben aufgebaut. Die Situation mit Russland ist noch immer sehr angespannt, wir verfolgen alle mit großer Sorge, was in der Ukraine passiert. Die Jahre im Ausland haben eine gewisse Distanz geschaffen, und dadurch ändert sich auch meine Perspektive auf das Land. Dinge, die mir früher nie aufgefallen sind, sehe ich jetzt sehr viel klarer und weiter, weil ich nun nicht mehr selbst darin gefangen bin. Aber meine Wurzeln sind dort, wenn ich in Georgien bin, empfinde ich viel Liebe, aber auch Schmerz.
Ihre Filme handeln oft von Außenseitern, entziehen sich auch formal Konventionen. In Ihrer Bildsprache haben Sie ein starkes Augenmerk auf Details und Gesten, wie jemand geht, auf einem Stuhl sitzt oder eine Zigarette raucht. Es wirkt fast wie aus der Zeit gefallen.
Das hat viel mit den Filmen zu tun, die ich als Kind gesehen habe und die mich unbewusst geprägt haben. Später entdeckte ich das US-amerikanische Undergroundkino. Barbara Hammer war extrem wirkmächtig, auch Kenneth Anger. In ihrer Art Filme zu machen finde ich mich wieder, persönlich und politisch und queer. Auch der italienische Realismus der Nachkriegsjahre ist sehr wichtig für mich, ich sehe darin viel von dem Georgien, in dem ich in den 1990ern aufgewachsen in. Diese Geschichten, aber auch diese Formen des Kinos, hatten großen Einfluss.
Wie haben Sie Ihre unkonventionelle Protagonistin gefunden?
Der Film basiert auf Tamta Melashwilis Roman „Amsel Amsel Brombeerbusch“ aus dem Jahr 2021. Die Protagonistin darin, Etero, ist eine instinktive Feministin, sie ist der Punk des Dorfs, gegen alle Widerstände. Das hat mich gleich an ihr fasziniert. Aber der Roman besteht aus einem Monolog, ihrem inneren Konflikt, ihren Gedanken, über sich und andere. Die Figur und der Hintergrund der Geschichte existierten also bereits, aber waren in der Form filmisch schwer darstellbar. Wir wollten den sozialen Kontext und in ihren Alltag in eine Handlung einbetten, aber nicht auserzählen, und so minimal wie möglich darstellen. Mit der Hauptdarstellerin Eka Chavleishvili hatte ich bereits bei meinem Debütfilm „Wet Sands“ gearbeitet, wo sie einen kleinen Part hatte. Wir denken und fühlen sehr ähnlich. Ekas ganze Art hat mich inspiriert, ich hatte sie schon beim Schreiben im Kopf. Vor dem Dreh haben wir uns ein Jahr lang vorbereitet und vor allem darüber geredet, wie sie sich bewegt, was sie tut, warum sie in diesem Umfeld so selbstbewusst und stark sein muss. Und wie wir ihre komplexe Persönlichkeit und die Widersprüche ihres unabhängigen Lebens im Dorf darstellen.
Beide Filme zeugen in ihrer Haltung und ihrem formalen Fokus von einer großen Selbstsicherheit als Regisseurin. Woher kommt diese?
Mein politisches und mein persönliches Leben waren schon immer eng verbunden. In Georgien aufzuwachsen hat mir eine gewisse Widerstandskraft gegeben. Ich musste vieles hinterfragen und dekonstruieren, gegen vieles aufbegehren, weil ich für mich keinen Platz in dieser Gesellschaft sah. Ich musste mir ein Selbstbewusstsein aufbauen, um zu überleben. Das trifft auch auf das Filmemachen zu, es ist ein Akt der Selbstermächtigung. Das war lange nicht im Bereich des Möglichen, vor allem als Frau in Georgien, die Branche dort ist noch immer sehr männerdominiert. Also habe ich mit Malerei begonnen, aber das war mir schnell zu einsam. Ich tausche mich gerne aus, arbeite lieber mit anderen zusammen als allein. Für mich ist Filmemachen als Team die Möglichkeit, die ideale Gesellschaft im Kleinen zu erschaffen, in der ich selbst gerne leben würde, mit den Menschen und Geschichten, die mir etwas bedeuten.
Inwieweit hat die Malerei Sie als Filmemacherin beeinflusst?
Ganz sicherlich in der Art, wie ich Einstellungen komponiere. Aber im Kino interessieren mich vor allem Gesten, weil sie so viel ausdrücken. Jeder Körper trägt eine Vergangenheit mit sich. Ich will im Bild etwas festhalten, das mehr ist als nur eine Bewegung. Und das gelingt mir im Film besser als in einem Gemälde.