Als Frau hatte man lange Zeit zwei Optionen: Entweder man wurde Ehefrau oder Hure. Das allerdings machte, der Philosophin Silvia Federici zufolge, keinen großen Unterschied, schließlich tauschte man in beiden Fällen Sex gegen finanzielle Sicherheit. Die weibliche Sexualität war historisch also nie autonom, eine Idee von Einvernehmlichkeit brauchte es entsprechend nicht. Sex war in erster Linie Dienstleistung.
So markierte es einen grundlegenden Umbruch, als im Zuge der sexuellen Revolution in den 1970er Jahren erstmals Begriffe wie »sexueller Konsens« auftauchen, die einen entscheidenden Akt implizierten: Sex erfordert Zustimmung.
Eine Weile schien der Begriff im feministischen Diskurs als ultimative Formel für gleichberechtigten Sex etabliert. »Consent is sexy« las man in linken Kneipen gestickert, dann irgendwann machte das öffentlich-rechtliche Jugendnetzwerk »Funk« auf Instagram Vorschläge, wie man vor dem Sex auf kreative Weise nach Einvernehmlichkeit fragen kann. Wie schön, dachte man sich, denn natürlich hätte man das alles auch gern viel früher gelernt.
Dann aber der Zweifel: Birgt der Begriff der Zustimmung wirklich das emanzipatorische Potenzial, das er zu haben vorgibt? Müssen wir einfach nur lernen, nach Konsens zu fragen und die Sexualität der Frau ist endgültig befreit? Ganz so einfach ist es nicht, entgegnet die französische Philosophin Manon Garcia, die als Junior-Professorin an der Freien Universität Berlin lehrt.
In ihrem Buch »Das Gespräch der Geschlechter. Eine Philosophie der Zustimmung«, fragt sie nicht nur, was Zustimmung eigentlich ist, sondern auch, was der Begriff nützt. Eine ameliorative Analyse nennt sie das, konkret fragt sie: Handelt es sich bei der Zustimmung um ein effektives Instrument zur Erfüllung des feministischen Anliegens gleichberechtigter Liebes- und Sexualbeziehungen? Es kommt, so Garcia, ganz darauf an, auf welche Weise wir sie gebrauchen.
Lange Zeit diente uns die sexuelle Zustimmung, um zwischen Sex und Vergewaltigung zu unterscheiden. So weit, so uneindeutig, denn spätestens »MeToo« machte deutlich, dass es praktisch natürlich viel komplizierter ist. Was genau bedeutet es, Sex zuzustimmen? Lehne ich nur nicht ab, oder entscheide ich mich aktiv dazu, etwas zu tun? Und macht es andersherum nicht einen Unterschied, ob ich nur keine große Lust habe oder radikal dagegen bin? Wie ist das, wenn jemand fälschlicherweise romantische Absichten suggeriert und man unter dieser Bedingung mit ihm schläft? Ist die Zustimmung unter falschen Voraussetzungen gefällt und damit ungültig? Und ist es Zustimmung, wenn potenziell der Job davon abhängt?
Zwischenmenschliche Details machen es nicht leichter. Man stelle sich nur einmal folgende Situation vor: Eine Frau möchte keinen Sex haben, ihr Mann schon. Sie weiß, dass er ansonsten schlecht gelaunt sein wird, der Haussegen danach schiefhängt. Also schläft sie mit ihm. Formal hat sie Zustimmung gegeben. Moralisch würden wir die Situation aber dennoch als falsch bewerten. In der Realität erschöpft sich das Konzept schnell.
Doch nicht nur praktisch ist die Zustimmung schwer zu greifen, auch rechtlich und philosophisch ist der Begriff längst nicht eindeutig, das rollt Manon Garcia über mehrere Kapitel aus. Anschaulich verdeutlicht sie, dass zwischen rechtlich Erlaubtem und moralisch Richtigem oft ein großer Unterschied liegt und überlegt: Wenn die Moral nicht weniger wichtig ist als das Recht, ist es dann folgerichtig nicht sinnvoller, positiv zu definieren, was moralisch guter Sex ist, anstatt negativ zu definieren, was »keine Vergewaltigung« ist?
Dies würde bedeuten, und mit diesem Vorschlag schließt das Buch, die Legitimität einer sexuellen Handlung anhand seiner Umstände und Details zu bewerten. Garcia schlägt vor, Sex als ein »erotisches Gespräch« zu verstehen, in dem die Gleichheit statt die Herrschaft erotisiert wird. Konsens ist dann kein passives Akzeptieren, sondern ein aktiver Prozess der Entscheidungsfindung. Denn dann, und nur dann, wenn die sexuelle Autonomie aller Beteiligten jederzeit gewahrt werden kann, wenn Sex von Herrschaft befreit wird, ist das Konzept der sexuellen Zustimmung produktiv für das feministische Anliegen, so Garcia.
Dass Sex politisch ist, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Das Buch aber zeigt, wie wir besseren Sex haben können. Und fordert nebenher zum Nachdenken über (weibliche) Autonomie auf.
Die Dringlichkeit der Fragen, mit denen sich Manon Garcia in ihrem Buch beschäftigt, stellte eine Meldung vergangenen Donnerstag wieder unter Beweis: Die Verurteilung des amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein im US-Bundesstaat New York zu 23 Jahren Gefängnis wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung wurde wegen Verfahrensfehlern aufgehoben. Zwar hatte man Weinstein 2022 in einem folgenden Prozess in Los Angeles zu weiteren 16 Jahren Haft verurteilt, trotzdem ist die Entscheidung des New Yorker Gerichts ein herber Schlag für die #MeToo-Bewegung, die durch seinen Fall maßgeblich mitausgelöst wurde.
Manon Garcia: Das Gespräch der Geschlechter. Eine Philosophie der Zustimmung. Aus dem Französischen von Andrea Hemminger. Suhrkamp, 332 Seiten, geb., 30 €.
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