Seit seiner Kindheit liebt unser Autor Eier. Aus diesen lassen sich raffinierte Kreationen zubereiten, welche auch die Partnerin zum Erzählen anregen.

2 aufgeschlagene Eier mit tiefgelbem Eidotter

Eine geniale Idee der Evolution, dieses Ei Foto: Ray via imago

Am Anfang war das Ei. Oder war es die Henne? Oder war es die hungrige Teresa, die schlecht gelaunt vom Schichtdienst kam? Das weiß ich alles nicht. Aber wenn man hungrig ist, sollte man etwas essen. ­Zumindest da sind wir uns einig. Unsere Meinungsverschiedenheiten betreffen eine grundsätzliche Einstellung. Isst man lieber das Huhn, oder lieber das Ei? Und: Wer steht am Herd?

Weil Teresa Vegetarierin ist, bestimmt sie, was auf dem Speiseplan steht. Und weil sie gerade von der Arbeit kommt, stehe ich am Herd. Ich kann das sowieso besser. Dabei lautet unser Küchengrundsatz: Wer kocht, bestimmt wie es schmeckt. Als Nichtkoch hat man kein Recht, über die Zubereitung, fehlendes Salz, zu viel oder zu wenig Säure, fehlenden Majoran oder zu viel Knoblauch zu meckern.

Diesmal also Ei. Jedoch kein gewöhnliches Spiegel- oder Rührei. Nicht falsch verstehen! Beide Gerichte sind seitenlange Abhandlungen wert. Ich könnte stundenlang von Spiegelei schwärmen, das man in Butter gebraten hat, sodass es eine leicht braune Kruste bekommt. Dann ist es der perfekte Ersatz für Kassler, wenn man Lust hat auf Sauerkraut und Kartoffelbrei. Oder von Rührei mit nichts als Butter und einer Prise Salz in der Pfanne bei niedriger Hitze gestockt, sodass die Butter in das Ei eingebacken wird, mit Brot oder Brötchen. Ich finde das herrlich. Und auch Teresa findet das nicht schlecht. Aber nicht schlecht ist nun mal noch nicht gut. Also gibt es heute einen französischen Eiklassiker.

Ich lege los. Schneide Zwiebeln und Knoblauch und dünste sie mit Olivenöl in der Pfanne an. Dann kommen feine Paprikastreifen, auch Juliennes genannt, dazu. Wenn auch die ein bisschen Konsistenz verloren haben, lösche ich alles mit einem Schuss Wein ab und gebe Dosentomaten, einen Spritzer Zitrone und zwei Teelöffel Paprikapulver dran. Schließlich würze ich mit Salz und Pfeffer und bedenke natürlich auch die alte Hausfrauenweisheit: An alles Süße ein Spur Salz, an alles Deftige eine Spur Zucker. Das rundet das Essen ab.

In einer Pfanne lasse ich alles bei niedriger bis mittlerer Hitze etwa 30 Minuten reduzieren. Und dann Eier drauf, bis sie gestockt sind. Außerdem Baguette in Olivenöl, Butter und Knoblauch anrösten, bis es goldbraun ist und duftet.

Als Teresa den ersten Bissen nimmt, ist mit ihr noch nicht viel anzufangen. Da spricht noch die pure magenleere Garstigkeit aus ihr, oder wie man es heute nennt: Sie ist „hangry“. Und das ist nicht böse gemeint. Ich werde auch so, wenn ich zu lange hungrig bin. Das zehrt nicht nur an den Hüften, sondern auch am Gemüt.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Aber schon bald ist die Stufe „gut“ erreicht. „Ist das Shakshuka?“, fragt sie mich. „Nein“, sage ich, „das französische Pendant, Oeufs Piperade.“ Das schmeckt genauso und wird im Grunde auch gleich zubereitet, hat aber den schöneren Namen.

„Wie war die Arbeit? Leben noch alle Kinder?“, frage ich.

„Haha.“

Teresa ist Hebamme und eine großartige Erzählerin. Sie berichtet von Blut, Schweiß und Tränen. Vierfüßlerstand hier, das Bindungshormon Oxytocin da, – und dann ist da so ein kleiner Babybuddha der kräht und sabbert und schreit und alle sind glücklich. Ich spüre es so langsam wieder, die Liebe als Quelle ihrer Worte ist zurückgekehrt, das ist schön anzusehen. Und deshalb verliere ich mich kurz in Gedanken, obwohl sie immer noch am Erzählen ist.

Der erste Hunger war vorüber und Teresa begann, Geschichten aus dem Kreiß­saal zu erzählen. Es ging um den Geburtsprozess

Seitdem ich ein kleines Kind war, bin ich großer Fan von Eiern. Wenn es Samstagmorgens unser großes Frühstück gab, habe ich mich häufig um die Frühstückseier gekümmert. Und dabei habe ich es immer einzurichten gewusst, mir ein „Ersatzei“ zuzubereiten, falls irgendwas mit dem Ersten nicht stimmen würde. Und so ist es bis heute geblieben. Ich liebe Eier, wenn sie pochiert sind, um meinen Kaiserschmarrn fluffig zu machen oder Spargelsoße zu verfeinern, ich liebe sie hartgekocht in der „Grie Soß“ oder auch als Eiersalat, mit sehr feingeschnittenen Zwiebeln, ganz wenig Essig und Öl, Salz und Pfeffer, oder aber mit gekochten Artischocken und einer selbst gemachten Mayonnaise, die auch wieder mit Eiern gemacht wird.

Diese Vielfalt! Aus Eiern schlüpfen Küken. Und das ist nicht die einzige schöpferische Kraft dieser genialen Idee der Evolution. Eier wurden jahrhundertelang in der Malerei benutzt, um Pigmente zu binden. Boticellis „Geburt der Venus“? Pigmente mit Eigelb und Öl auf Holz! Und auch andere alte Meister wie Leonardo da Vinci und Rembrandt van Rijn haben Eier für ihre Bilder benutzt.

Und weil ich dafür gerade wieder meine Begeisterung entdeckt hatte, habe ich mich Anfang Januar recht häufig an Eierspeisen versucht. An einem dieser Abende saßen Teresa, mein Bruder Til und ich am Esstisch und aßen Oeufs Cocotte. Dafür werden Zwiebeln und Knoblauch in Butter gedünstet, bis sie etwas Farbe bekommen, ablöschen mit Weißwein und noch ein wenig reduzieren. Salz, Pfeffer, eine Prise Zucker vielleicht und ein bisschen Sahne dran, sodass sie „schlotzig“ werden, wie Til sagt. Die Zwiebeln werden in einer Tasse oder im Ramekin portioniert, zwei Eier, ein bisschen Sahne und Frischkäse drauf. Ich benutze am liebsten den der Marke „Boursin“. Die Tasse mit einem Unterteller abdecken und in ein Wasserbad stellen, bis die gewünscht Konsistenz erreicht ist. Ich mag es gerne noch ein bisschen glibberig, so wie Franzosen ihr Frühstücksei essen, andere mögen das nicht. Zum Schluss mit ein wenig Schnittlauch garnieren und, wie das Oeuf Piperade, mit angeröstetem Baguette essen.

Geschichten aus dem Kreißsaal

Der erste Hunger war vorüber und Teresa begann, Geschichten aus dem Kreißsaal zu erzählen. Diesmal ging es um den Geburtsprozess. „Alles hilft, was Oxytocin ausschüttet.“ Die einen wollen mit ihrem Partner kuscheln oder sich den Nacken kraulen lassen, andere masturbieren. Das ist kein Witz.

Teresas trockener Humor, in Kombination mit einem vollen Bauch und Alkohol ist eine Oase in der Wüste der Unwissenheit. Mit ihren Erzählungen weiht sie uns ein in die große Welt der Geburtshilfe. Und was hat das mit den Eiern zu tun? Nichts, aber vielleicht helfen Hebammen einem ja dabei herauszufinden, ob die Henne oder das Ei zuerst dagewesen ist. Teresa ist überzeugt, dass es das Ei sein muss. Ihre Version der Geschichte: Ein Huhn war ursprünglich mal ein T-Rex. T-Rexe haben Eier gelegt. Die Evolution hat den Rest getan. Irgendwann ist das erste Huhn geschlüpft. End of story.

Und weil sie sich mit Eierstöcken, Geburten und so weiter auskennt, glaube ich ihr. Und zum Oxytocin gibt es auch noch eine Geschichte: Wir haben Anfang Januar und draußen minus zehn Grad und unsere Heizung ist ausgefallen. Ich sitze ziemlich dick eingepackt im Homeoffice und warte zum vierten Mal diese Woche auf den Techniker. Wer zittert, kann nicht gut denken, geschweige denn schreiben. Ich sehe meinen Atem und Teresa hat keine Lust, am Abend in ein arschkaltes Haus zu kommen. Deshalb geht’s in die Küche und ich koche, was das Zeug hält. Vier Gasherdfelder und ein Ofen liefern eine Menge Watt.

Dafür gibt es ein Omelette Arnold Bennett mit pochiertem Lachs. Nur weil Fisch nicht als sonderlich intelligent gilt, halte ich es zwar für falsch, ihn zum Gemüse zu erklären – aber da ich Fleisch esse, halte ich lieber meine Klappe. Denn bei Fisch macht Teresa gelegentlich eine Ausnahme mit ihrem Vegetarismus. Den Fisch pochiere ich in heißer Milch, mit Knoblauch, einer geviertelten Schalotte und Thymian etwa 6 bis 7 ­Minuten. ­Danach siebe ich die Milch ab und füge sie langsam einer Mehlschwitze hinzu, die ich mit etwas Butter und Mehl ansetze.

Wenn alles glattgerührt ist, kommt eine gute Handvoll Gruyère dran. Ich schmecke die Soße mit einem Eigelb, einer Prise Salz, Zucker und Pfeffer ab und wärme den Ofen vor. 180 Grad Umluft. In einer Schüssel verquirle ich ein paar Eier mit ein bisschen Salz und zerlassener Butter zum Rührei. Wenn es in der Pfanne gerade zu stocken beginnt, wird das Ganze in eine Auflaufform gefüllt, darauf kommen Schnittlauch, der Fisch und nochmal eine gute Hand Gruyère, sowie die Mehlschwitze. Dann lässt man es so lange im Ofen, bis es goldgelb gebacken wurde.

Nach dem Essen können wir in der Küche wieder ohne Jacke sitzen. Ich kann wieder denken und wir haben einen Plan für die Nacht: alle Körnerkissen in die Mikrowelle, Wärmflaschen auffüllen und ins Bett legen. Dann kriechen wir dazu und wärmen uns aneinander. Das Bett ist ein Ofen. Und so, wie wir da liegen, spüre ich Oxytocin in uns und die schlechte Laune schmilzt dahin wie Eiswürfel. Zufrieden schlafen wir ein.

Am Tag darauf kam ein neuer Techniker. Er fand das Problem: In der Heizung lag ein toter Vogel. Wir hoffen, er hatte gerade nicht gebrütet.



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