Die Europäische Zentralbank zögert noch mit Zinssenkungen. In der Sitzung am Donnerstag ließ der EZB-Rat die Leitzinsen erneut unverändert, obwohl die Teuerung bereits deutlich nachgelassen hat. Man sei sich noch nicht sicher genug, dass die Inflation wirklich im Griff sei, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die mehr Klarheit von neuen Daten im Juni erwartet.

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In der Euro-Zone ist die Teuerung nach Spitzenwerten von rund 10 Prozent inzwischen auf 2,4 Prozent gesunken. Angestrebt werden 2 Prozent. „Ich will noch nichts feiern, aber wir sehen einen fortschreitenden Rückgang der Inflation“, sagte Lagarde. Entgegen manchen Erwartungen legte sie sich aber nicht auf konkrete Zinsschritte oder einen Zeitplan fest. „Ich werde mich nicht festlegen, bis wir die nötigen Daten haben.“

Die meisten Volkswirte rechnen jedoch weiter damit, dass die Wende bald kommen wird: „Es ist jetzt fast sicher, dass die EZB im Juni mit der Zinssenkung beginnt“, sagte ZEW-Experte Friedrich Heinemann. „Die Tür für Zinssenkungen im Juni hat sich weiter geöffnet“, schreibt Alexander Busch vom Asset Manager Bantleon in einer Analyse.

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Die EZB hat ebenso wie ihr amerikanisches Gegenstück Fed die Zinsen extrem schnell erhöht, um die starke Inflation in den Griff zu bekommen. Nach zehn Erhöhungen nahezu im Monatstakt steht der wichtigste Leitzins seit vergangenem September bei 4,5 Prozent. Das ist der sogenannte Refinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld bei der EZB leihen können. Zum Einlagensatz von aktuell 4 Prozent können sie Geld bei der Zentralbank anlegen.

So funktioniert Inflationsbekämpfung mit Geldpolitik: Steigen die Zinsen, wird mehr Geld geparkt und weniger Kredit vergeben – die Nachfrage nach Gütern wird gebremst und damit auch der Preisanstieg.

Seit Wochen wird spekuliert

Seit Wochen wird über Zinssenkungen spekuliert, weil die Inflation dem Zwei-Prozent-Ziel der EZB schon recht nahe gekommen ist. Außerdem kommt die Konjunktur in Europa nur mühsam in Gang und könnte etwas Anschub durch niedrigere Zinsen brauchen. Doch Lagarde verwies am Donnerstag auch auf die Risiken: Vor allem die Preise für Dienstleistungen stiegen immer noch stark, nicht zuletzt durch die Lohnerhöhungen der vergangenen Monate. Außerdem ist Öl wieder deutlich teurer geworden und könnte die Preise treiben.

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Die USA machen es komplizierter

Hinzu kommen die USA als neuer Unsicherheitsfaktor. Auch dort war bisher fest mit einer ersten Zinssenkung im Juni und weiteren in der zweiten Jahreshälfte gerechnet worden. Es mehren sich jedoch die Zweifel, weil die Inflation jüngst sogar gestiegen und die US-Konjunktur weiter sehr robust ist. Inzwischen wird sogar spekuliert, ob die Fed die Zinsen in diesem Jahr überhaupt noch senken wird. An den Börsen hat das zuletzt für einige Unruhe gesorgt. Die EZB orientiere sich zwar nicht an Entscheidungen der Fed, sagte Lagarde, wohl aber an den US-Inflationsdaten: „Das findet alles seinen Weg in die Projektion.“

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Dennoch scheint der Pfad für die nächsten Monate in Europa klar zu sein: Zwei bis drei Zinssenkungen werden am Kapitalmarkt für die zweite Jahreshälfte erwartet, die Leitzinsen würden dann zum Jahresende 0,5 bis einen Prozentpunkt niedriger liegen als heute. Diese Prognose hat sich bereits bei vielen Bankprodukten niedergeschlagen: Sowohl Hypotheken- als auch Sparzinsen haben ihren Höhepunkt vorerst wohl hinter sich.

Tagesgeldzinsen sind schon gesunken

Besonders direkt reagiert Tagesgeld auf die Leitzinsen, das jederzeit kündbar ist. Die Banken ihrerseits parken das Geld ihrer Kunden zum Einlagensatz bei der EZB, bekommen dafür also aktuell 4 Prozent. Im vergangenen Jahr gaben das manche Banken in Aktionsangeboten noch direkt an ihre Kunden weiter.

Doch in Deutschland seien die Tagesgeldzinsen für Privatanleger im Februar bereits wieder gesunken, hat Peter Barkow, Chef der Beratungsfirma Barkow Consulting, festgestellt. „Dies stellt eine vorzeitige Anpassung an mögliche Zinssenkungen der Notenbank dar, die so erst in einigen Monaten zu erwarten gewesen wäre“, sagt Barkow.

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Laut dem Vergleichsportal Finanztip liegen die besten Aktionsangebote für Neukunden aktuell bei 3,75 bis 3,9 Prozent, befristet auf drei bis sechs Monate. Bestandskunden können teilweise gut 3 Prozent bekommen – in der Regel aber von ausländischen Banken, vermittelt über Plattformen wie Weltsparen.

Es sei auffällig, dass vor allem die Banken in Deutschland schon wieder zurückruderten, sagt Barkow. In anderen Euro-Ländern sei das noch nicht zu beobachten. Manche schwimmen allerdings bewusst gegen den Strom, um Kunden zu sammeln: Kaum hatte die EZB ihren Zinsbeschluss verkündet, meldete C24, die Bank des Vermittlerportals Check24, die Erhöhung der Tagesgeldzinsen von 2,5 auf 3 Prozent.

Hypotheken bleiben stabil

Noch deutlicher ist der Trend, wenn Geld länger festgelegt werden soll. So brachte Festgeld mit zwei Jahren Laufzeit im vergangenen Dezember noch rund 3,5 Prozent Zins. Jetzt sind es nach Daten der Vergleichsplattform Verivox noch 2,9 Prozent. „Eine durchschnittliche Verzinsung oberhalb der 3-Prozent-Marke bieten nur noch kurzfristige Termingelder mit einem Jahr Laufzeit“, heißt es bei Verivox. Auch das zeigt, dass die Banken sinkende Zinsen erwarten: Je länger die Laufzeit, desto weniger bieten sie den Sparern.

Für Kreditnehmer dagegen wird das Leben langsam wieder leichter. Kosteten Immobilienfinanzierungen im vergangenen Jahr noch rund 4 Prozent bei zehnjähriger Laufzeit, sind es nach Angaben des Kreditvermittlers Dr. Klein in Deutschland aktuell rund 3 Prozent. Das bilde allerdings die erwarteten Zinssenkungen bereits ab, meint Michael Neumann, Zinsexperte bei Dr. Klein. Er rechnet deshalb mindestens für die erste Jahreshälfte mit stabilen Hypothekenkonditionen.



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