Drei Jahrzehnte lang hat Südafrikas noch immer junge Demokratie bewiesen, dass sie laufen kann. Doch kann sie das auch, während ihr ein Sturm entgegenbläst? Am 29. Mai wählt Afrikas einziger Industriestaat ein neues Parlament – zum siebten Mal seit dem Ende der Apartheid, der Rassentrennung 1994. Stets hat der African National Congress (ANC) – die einstige Partei der Befreiungsikone Nelson Mandela ist mit 112 Jahren die älteste politische Partei Afrikas – die absolute Mehrheit errungen. Sie war Garant für eine der liberalsten Verfassungen der Welt, für Presse- und Meinungsfreiheit, für Toleranz, Diversität und Frieden.

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Doch Südafrika leidet. Leidet an ausufernder Kriminalität, an wirtschaftlichem Stillstand, an der Dysfunktionalität staatlicher Versorger wie des Energiemonopolisten Eskom oder des Transportunternehmens Transnet. Leidet an täglichen Stromabschaltungen, gebietsweise ungenießbarem Trinkwasser, an Wassermangel ganz allgemein, an maroden Schulen und heruntergekommenen Krankenhäusern, an einer ausufernden Korruption vor allem Staatsbediensteter, an Massenarbeitslosigkeit, die sich kaum noch statistisch erfassen lässt.

Laut einem Bericht der Weltbank von 2022 ist die Ungleichheit weltweit nirgends größer als in Südafrika. Beim Korruptionsindex von Transparency International zeichnet das Land seit 2016 eine sanft, aber stetig verlaufende Abwärtskurve, aktuell liegt es weltweit auf Rang 83. Da mutet es für Beobachterinnen und Beobachter schon einigermaßen paradox an, dass ausgerechnet der Politiker, dem als Präsident „State Capture“ nachgewiesen wurde, die hemmungslose und systematische Ausplünderung staatlicher Institutionen, sich jetzt als Retter der Nation anbietet: Jacob Zuma, der sich in Anspielung an den US-Rapper Jay-Z „JZ“ nennt.

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Blick auf Kapstadt: Südafrika wird aufgrund der Bedrohungslage im Roten Meer nun öfter von den Aida-Schiffen angesteuert.

Blick auf Kapstadt: Südafrika schönste Seite.

Zuma und der Gupta-Clan

Anfang 2018 war Zuma von der eigenen Partei, damals noch ANC, zum Rücktritt gezwungen worden. Veröffentlichungen einer Investigativrecherche, der sogenannten Gupta-Leaks, legten nahe, dass der Präsident zusammen mit den drei aus Indien stammenden Geschäftsleuten Ajay, Atul und Rajesh Gupta die öffentlichen Kassen um rund 30 Milliarden Dollar erleichtert hatte. Nach Berechnungen der Zeitung „Daily Maverick“ gar um mehr als 100 Milliarden Dollar.

Eine kriminelle Größenordnung, die alles sprengt, was bislang aus Staaten der G20-Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer bekannt ist. 2021 war der Ex-Präsident wegen Missachtung gerichtlicher Anordnungen zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil er sich geweigert hatte, zur Vetternwirtschaft in seiner Amtszeit auszusagen. Er musste die Haft antreten, was allerdings 2021 vor allem in der Provinz KwaZulu-Natal schwere Unruhen auslöste, bei denen 300 Menschen starben.

Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes wurde ihm am 5. September 2021 unter Auflagen vorzeitig Haftverschonung gewährt. Am 11. August 2023 trat er erneut die Haft an, wurde jedoch nach weniger als zwei Stunden wieder entlassen. Begründet wurde dies mit einem allgemeinen Hafterlass für gewaltlose Straftäter, da Südafrikas Gefängnisse überfüllt seien.

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Mit seiner Ende 2023 gegründeten Partei Umkhonto We Sizwe (MK), zu Deutsch „Speer der Nation“, tritt er zur diesjährigen Parlamentswahl im Mai an. Allein der Name ist ein Schlag ins Gesicht des regierenden ANC. Denn „Umkhonto We Sizwe“ hieß einst der militärische Arm der heutigen Regierungspartei ANC im Kampf gegen das Apartheid-Regime. Zuma greift damit das historische Erbe der einstigen Befreiungsbewegung ANC an, der er unterstellt, die Revolution verraten zu haben. Er verspricht, der eigentliche Kampf um eine Umverteilung stehe dem Land noch bevor.

Ich bin mit meiner Arbeit als Staatschef noch nicht fertig. Wenn mich die Menschen wollen, dann kann mich keiner aufhalten.

Jacob Zuma,

Ex-Präsident und MK-Spitzenkandidat

Doch hat JZ, der ja bereits sechs Jahre lang wenig erfolgreich regiert hat, tatsächlich einen Plan für das Land? „Es ist ein Akt politischer Rache“, ist der Analyst Richard Calland im „Spiegel“ überzeugt. Zuma bestätigt das indirekt: „Ich bin mit meiner Arbeit als Staatschef noch nicht fertig“, rief er jüngst seinen Unterstützerinnen und Unterstützern zu. „Wenn mich die Menschen wollen, dann kann mich keiner aufhalten.“

Damit das so bleibt, setzt er zunehmend auf eine radikale Rhetorik. Er hetzt gegen die vielen Ausländerinnen und Ausländer im Land, fordert die Todesstrafe für Kriminelle. So behauptet er jüngst in einem Tiktok-Clip, es habe in Südafrika „keine Kriminalität“ gegeben, „bevor Ausländer kamen“. Eine Stimmung, die in dem Land, in dem jedes Jahr 25.000 Menschen einer der höchsten Mordraten weltweit zum Opfer fallen, auf fruchtbaren Boden fällt.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung Ende Januar vor Anhängern.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung Ende Januar vor Anhängern.

Zumas Kandidatur wird für den amtierenden Präsidenten Cyril Ramaphosa, Spitzname „Cupcake“, zusätzlich zur Gefahr. Denn plötzlich spielen wieder die verschiedenen Ethnien der „Rainbow Nation“, wie Friedensnobelpreisträger Erzbischof Desmond Tutu seine Heimat einst nannte, eine wichtige Rolle. Zuma gehört zum Volk der Zulu, der größten schwarzen Volksgruppe, die vor allem in der Provinz KwaZulu-Natal leben. Ramaphosa gehört zum kleinen Volk der Venda. Seine Partei ANC ist vor allem in der zweitgrößten schwarzen Volksgruppe der Xhosa stark. Schon einmal, kurz vor Ende der Apartheid-Herrschaft, kam es zum gewaltsamen Machtkampf zwischen Zulu und anderen ANC-nahen Volksgruppen.

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Die Zulus werden gegen die Xhosa, die Venda und Sotho kämpfen. Mit dem Aufstieg der MK-Partei von Jacob Zuma wird es noch offenkundiger.

Busisiwe Seabe,

Schriftstellerin

„Die Zulus werden gegen die Xhosa, die Venda und Sotho kämpfen“, sagt Busisiwe Seabe, Schriftstellerin und Aktivistin, in der „Financial Times“. „Mit dem Aufstieg der MK-Partei von Jacob Zuma wird es noch offenkundiger.“ Doch Zuma ist nicht der Einzige, der Gewalt predigt und eine Umverteilung fordert. Eine über zehn Jahre alte Abspaltung des ANC nennt sich Economic Freedom Fighters (EFF). Während Zumas Parteifreunde gern grüne Armeehosen und T-Shirts tragen, erkennt man die „Comrades“ (Genossen) der EFF am roten Barrett. Ihr Anführer ist der ehemalige ANC-Jugendchef Julius Malema. Malema, ein Scharfmacher, der vor allem gegen die weiße Minderheit im Land polemisiert, das sind etwa 7,3 Prozent der Bevölkerung. Viel unverhohlener als Zuma fordert er Enteignung und Vertreibung der Besitzenden.

Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.

Ihre Wahlkampfveranstaltungen beginnen sowohl Malema als auch Zuma oft mit dem Kampflied „Awuleth’ Umshini Wami“ (Bring mir das Maschinengewehr). In Anlehnung an den antikolonialen Befreiungskampf wirkt dieses Kampflied aber auf Minderheiten im Land bedrohlich.

In erster Linie für die Weißen im Land, die sich überwiegend aus Nachfahren der calvinistischen Buren und englischsprachigen Briten zusammensetzt. Aber auch die Bevölkerungsgruppe der Coloureds, die in der Provinz Western Cape sogar die Mehrheit stellen, landesweit ebenfalls etwa 9 Prozent der Bevölkerung bilden, fühlen sich von ANC, MK und EFF eher nicht vertreten. Sie wählen überwiegend die größte Oppositionspartei des Landes, die im Jahr 2000 gegründete Democratic Alliance (DA).

DA als „weiße Partei“ unwählbar?

Die Partei, die seit Jahren am Westkap die Provinzregierung (vergleichbar einem deutschen Bundesland) bildet, setzt auf ein antikorruptes, auf Effizienz und Haushaltskonsolidierung zielendes Programm, das sich an wirtschaftsliberalen europäischen Vorbildern orientiert, was gleichzeitig ihr größtes Manko ist: Denn die DA wird von der Mehrheit der Südafrikanerinnen und Südafrikaner als „weiße Partei“ wahrgenommen, als politische Erben der Apartheid.

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Das ist natürlich falsch, die deutschstämmige Ex-Parteichefin (und heutige „graue Eminenz“ der Partei) Helen Zille war einst als Investigativjournalistin eine bedeutende Apartheid-Kritikerin. Und der heutige Parteichef John Steenhuisen war am Ende der Apartheid gerade acht Jahre alt. Doch selbst in der großen Coloured-Community kann die auf Privatisierung zielende und Eigenverantwortung predigende Partei nur bedingt punkten, bei der letzten Parlamentswahl 2019 erreichte die DA knapp über 20 Prozent.

In außenpolitischen Fragen wie der Positionierung zu Russland oder im Nahostkonflikt steht die DA mit ihrer proukrainischen Solidarität und ihrer proisraelischen Haltung gegen eine überwältigend große Mehrheit.

Mitarbeitende des Fahrzeugherstellers VW montieren im südafrikanischen Werk Uitenhage einen Pkw.

Mitarbeitende des Fahrzeugherstellers VW montieren im südafrikanischen Werk Uitenhage einen Pkw.

Trotz seiner Rolle als regionale Ordnungsmacht, einer traditionellen engen Westbindung und seiner afrikaweiten Bedeutung als Standort vieler westlicher Unternehmen – BMW, Daimler und Volkswagen haben Werke im Land – sucht Südafrika unter Präsident Ramaphosa eine enge Anlehnung an Russland, verweisend auf die traditionelle Unterstützung des Kampfes gegen die Apartheid durch Moskau.

Südafrika trat sehr früh der antiwestlichen Staatengemeinschaft Brics (mit Russland und China) bei. Aufgrund seiner großen wirtschaftlichen Probleme ist die Regierung Ramaphosa im Tausch gegen Hilfe zu weitgehenden politischen Zugeständnissen an Peking und Moskau bereit.

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Allein das spricht eher dafür, dass sich der ANC nach dem möglichen Verlust der absoluten Mehrheit nach der Parlamentswahl wohl eher in Richtung Koalition mit EFF oder MK orientiert, jeder der beiden Kleinparteien werden bis zu 10 Prozent zugetraut, als zur wirtschaftsliberalen DA. Was auch gegen die DA spricht: Ihre Bedingung eines Eintritts in die Regierung wäre ein ambitioniertes Reformprogramm, welches den ANC zu zerbrechen droht und von seiner überwiegend schwarzen Stammwählerschaft noch weiter entfremden würde. Für die Klasse der „Fat Cats“ mit Parteibuch, der Bonzen, ein absolutes No-Go.

Mit dpa und AP



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