Eckernförde/Niebüll. Der philippinische Wachmann sieht sie zuerst. Es ist sechs Uhr früh, als sein Schrei die Stille im Indischen Ozean zerreißt: „Piraten!“ brüllt er, dann verliert er die Fassung, weil er weiß, was die Angreifer mit ihren Geiseln machen. Und weil er erkennt: Das deutsche Containerschiff steuert direkt auf einen Hinterhalt zu, und nur die Ex-Soldaten an Bord können es verteidigen. Drei Männer gegen 20 Boote.

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Clemens Clausen hat den Einsatz überlebt. Bevor der gebürtige Niebüller für eine Hamburger Reederei Frachtschiffe gegen Piraten verteidigte, war er sechs Jahre lang bei den Kampfschwimmern in Eckernförde. Dort hat er gelernt: Ertrinken ist keine Option. Das ist zum Leitmotiv seiner Vita geworden. Heute coacht der 53-jährige Mentalcoach Männer in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen in Überlebenstechniken, Resilienz und Selbstfindung.

Mentalcoach Clemens Clausen coacht Männer in Norddeutschland

Hinter seinen Workshops an den Ufern der Ostseeküste verbirgt sich allerdings etwas anderes, als man erwarten würde. Wenn Clausen von Survival spricht, meint er nicht nur Feuermachen und Wasserfinden, die perfekte Ausrüstung zu haben und einen trainierten Körper. Eigentlich geht es um etwas anderes: Darum, mental stark zu sein und herauszufinden, was dem eigenen Wesen entspricht. Erfahren hat er das in seiner Berufslaufbahn, die von extremen Situationen geprägt war.

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Acht Jahre lang hat der ehemalige Elitesoldat den maritimen Spezialkräften von GSG9, SEK und BKA beigebracht, wie man im Angesicht der Angst besonnen und kontrolliert bleibt und zum Beispiel aus einem sinkenden Hubschrauber entkommt, wenn das Wasser die Kapsel flutet und es kein oben und unten mehr gibt. Dann „braucht es den richtigen Umgang mit Stress und die richtige Einschätzung der Situationen binnen Sekunden.“

Überlebenstechnik an der Küste: Strategien gegen Angst und Stress

Ausgebildet wurde Clausen von den Spezialkräften der Marine – den Kampfschwimmern. Sechs Jahre lang blieb er bei der Eliteeinheit in Eckernförde. Er hat die Navy Seals in den USA besucht, wurde immensem körperlichen und psychischen Stress ausgesetzt. „Im Einsatz schwimmt man keine 30 Kilometer. Im Training wird das abverlangt, um die Leidensfähigkeit auf die Probe zu stellen“, sagt Clausen. „Wozu der Körper imstande ist, das kann man sich gar nicht vorstellen.“ Man bestehe nur, wenn man nie aufgebe. „Sobald der Kopf versagt, versagt auch der Körper.“

Clemens Clausen: Ein Kampfschwimmer ertrinkt nicht

Nie aufzugeben, das bedeutet vor allem: nicht durchzudrehen, wenn der Tod einen anspringt. Eines nachts musste Clausen durchs rabenschwarze Meer tauchen, kilometerweit. Kaum Licht, nur Stille, Kälte, Dunkelheit. Und dann rammte ihn etwas Großes mit voller Wucht. Er konnte nicht sehen, was es war oder ob es ihn verfolgte. Heute glaubt er, es war ein Schweinswal. Damals habe er nichts gedacht, nur: „Ertrinken ist keine Option.“

Und doch wär’ ihm genau das beinahe passiert, mit Anfang 20. Da sah er in der Eckernförder Bucht eine Boje schwimmen, 300 Meter entfernt im Wasser. Er fühlte sich gelockt, wie Odysseus von den Sirenen, zog sich aus und schwamm los. Das Wasser hatte drei Grad, die Luft fünf, doch er wollte es wissen. „Ich bin Kampfschwimmer“, dachte er, „ein Kampfschwimmer ertrinkt nicht.“

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Er kam bis zur Boje, doch auf dem Rückweg überspülten eiskalte Wellen seinen Kopf. Die Extremitäten wurden taub, die Kraft sickerte aus seinen Gliedern. Als er sich ans Ufer zog, so gerade eben, spürte er nichts mehr. Ihm war so kalt, dass der Körper nicht mehr zitterte. Das hat etwas verändert. Das – und später die Jahre an Bord der Frachter, wo er nachts stundenlang in den Himmel schaute und nachdachte. Manchmal sah er Sterne über sich leuchten. Da habe er zu sich selbst finden können.

Drei Bücher hat er verfasst, in denen er mentale Werkzeuge beschreibt, die dabei helfen sollen, mit schwierigen Ereignissen besser umgehen können, die erklären, „wie wir aus Lebensmustern aussteigen können, die unserem Wesen nicht entsprechen“ oder die nur dazu dienen, Erwartungen und Wünsche anderer zu erfüllen.

Coachings für Männer: Survivaltraining statt Retreat

Der 53-Jährige will Menschen dabei helfen, ihre Mitte zu finden und nicht nur im Außen zu leben. Erfüllter zu sein. Es klingt ein bisschen nach Achtsamkeits-Retreat, nur würde Clausen das nicht so nennen – obwohl er Yoga macht und sich mit Zen-Buddhismus beschäftigt. Denn er richtet sich an Männer, die nicht gern über Gefühle reden und die körperliche Beschwerden niemals auf Psychosomatik zurückführen würden.

In seine 1:1-Coachings kommen Geschäftsführer, „die in ihrem Berufsleben so viel Druck bekommen haben, dass sie unter Bluthochdruck leiden.“ Abteilungsleiter Mitte 50, „die Jahrzehnte lang alles im Job gegeben haben und die die Welt nicht mehr verstehen, weil an ihrem Stuhl plötzlich ein 20-Jähriger sägt.“ Männer, denen es nicht gut geht und die glauben, wenn der Hausarzt ihnen was gegen Schlafstörungen verschreibt, dann wird das schon.

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Wird es aber manchmal nicht, weiß Clausen, und dann kann die Dunkelheit hereinbrechen, obwohl es hell ist, und man fühlt sich ausgebrannt, depressiv, kriegt Migräne, Herzrasen oder Rückenschmerzen. Oder lebt ein Leben, das man eigentlich gar nicht leben will, ohne es zu merken. „Manche sind wie ihre eigene Drohne“ und haben die Verbindung zu sich selbst verloren. Resilienz und Achtsamkeit würden unter Männern oft belächelt, aber zu Unrecht. Man müsse seine Gefühle kennen und damit umgehen können, um im Notfall zu funktionieren.

Und um nicht in Extreme zu rutschen. Das meint der Ex-Elitesoldat auch politisch. „In meinen Feeds sehe ich viele junge Leute, die richtig Bock haben auf Waffen und Panzer. Denen ist überhaupt nicht klar, dass Krieg unermessliches Leid bedeutet“, sagt Clausen.

Seine Skills im Umgang mit Stress haben ihn oft gerettet. Auch damals, als die 20 Boote nähertobten vor der somalischen Küste. Wie das ausging? Nun, sagt er, „ich habe eine Atemtechnik angewandt“, sagt Clausen. Er hat gezählt: Einundzwanzig, zweiundzwanzig. Sieben Sekunden einatmen, acht Sekunden aus, acht Sekunden Pause. „So zeigt man dem Körper, dass man die Kontrolle behält.“ Sie behielten einen kühlen Kopf, und so spulten die drei Ex-Soldaten ihre Eskalationsspirale ab. Die Angreifer vertrieben sie letztlich mit Warnschüssen. „Die hatten Kalaschnikows und wir Heckler&Koch. Die schießen weiter.“

Es brauche keine Extremsituationen, um seine Mitte zu finden. Im Gegenteil, sagt Clausen. Was helfe: „Am Abend an der Küste am Feuer sitzen, sich über das Leben unterhalten und aufs Wasser schauen. Das sind bereichernde Momente. Einige der wenigen, die wir heute noch einfangen können.“ Und das macht Clausen in seinen Workshops. Nur das Nötigste mitnehmen, mit dem taktischen Kayak übers Meer gleiten, Feuer machen, reden. Keine Ablenkung.

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Nein, das ersetze keine Therapie. Aber es helfe dabei, Fokus und Gleichgewicht zu halten und sich nicht mehr so schnell umwerfen zu lassen. Denn was es auch sein mag: Nachrichten von Krieg und Klima, Piraten oder wütende Chefs, ob der Blutdruck steigt oder die Lebensfreude sinkt, ob man im Meer schwimmt oder in der Dunkelheit der Welt: Ertrinken ist keine Option.

KN



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