“Neunzig unterhaltsame Minuten” versprach das ZDF. Nein, es
ging nicht um “Böhmi brutzelt”, die Kochshow mit nach oben offenem Cringe-Faktor
bei ZDF Neo. Sondern um “Wie geht’s Europa? Der große Kandidatencheck”. Was wiederum
ein bisschen nach Stiftung Warentest klingt, aber egal. Eingeladen waren die Spitzenkandidaten
und -kandidatinnen – immerhin waren drei weiblich – der acht im Bundestag
vertretenen Parteien für die Wahl zum Europäischen Parlament: David Caspary für
die CDU, Manfred Weber für die CSU, Katarina Barley für die SPD, Terry Reintke
für die Grünen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann für die FDP, Martin Schirdewan für
die Linke, Fabio De Masi für das BSW und René Aust für die AfD, da Spitzenmann
Maximilian Krah skandalbedingt von seiner Partei ein Auftrittsverbot hat. 

Das Problem ist: Wer sich wirklich für einen “Check” der Positionen
verschiedener Parteien zu Europa interessiert, kann sich auf deren Homepages oder
beim “Wahl-O-Mat” rasch informieren. Wer sich nicht dafür interessiert, dürfte
sich von einer Sendung mit acht Talking-Heads plus der Moderatoren Dunja Hayali
und Mitri Sirin wenig Unterhaltung versprechen. Bei den Vorwahlen der beiden
großen Parteien in den USA konkurrieren alle um denselben Job, sodass die begleitenden
TV-Diskussionen auch mit vielen Teilnehmenden in guten Zeiten (also nicht
dieses Jahr) etwas von “Big Brother” oder dem Dschungelcamp haben: Wer fliegt
raus? Doch den acht Gästen von Hayali und Sirin geht’s gut, egal wie es Europa
geht: Sie haben schon sichere Plätze im Parlament. Niemand fliegt raus.   

Da Hayali und Sirin das alles wissen, haben sie alles getan,
um den Unterhaltungswert zu steigern: Fragen im Stakkato-Tempo in die Runde, launige
Einzelbefragungen der Kandidaten, auch im Eiltempo, zwei Minuten für jeden; am
Schluss Fortune Cookies mit Fragen, nach dem Zufallsprinzip verteilt.
Dazwischen Erklärfilmchen (Warum ist die Bauernlobby so stark? Weil Bauern
Traktoren haben und Straßen blockieren können), Umfrageergebnisse und
Stippvisiten im sehr, sehr braven Publikum.

Kleiner Erkenntnisgewinn

Dass bei allem Schnickschnack, der effektiv eine
Auseinandersetzung zwischen den Parteien effektiv verhindern sollte und – außer
in einem Punkt, dazu gleich mehr – verhindert hat, die 90 Minuten trotzdem
einen kleinen Erkenntnisgewinn brachten, lag an Terry Reintke. Die Grüne
agierte, als wollte sie das Hauptvorurteil gegen ihre Partei – dass sie moralisierend
und ideologisch starr sei – bestätigen. Ich sah mir die Show mit einer
Grünen-Wählerin an, die sich danach stark verunsichert zeigte.

Was wiederum nicht nur an Reintke, sondern an der starken
Performance von Strack-Zimmermann lag. Der taffen FDP-Frau, die von ihrer
undankbaren Partei nach Europa entsorgt wird, fliegen bestimmt nicht spontan
die Sympathien zu, aber die Antwort etwa auf die Frage, wie sie es findet, den
Kanzler mit autistischen Menschen verglichen zu haben, war entwaffnend. “Das
war doof.” Und zwar, weil es eine Beleidigung für Menschen auf dem Spektrum
gewesen sei.

Manfred Weber gab den routinierten Europäer, der er ist;
David Caspary verteidigte die europäischen Asylbeschlüsse; beide repräsentieren
die urbane Union aus der Ära der “asymmetrischen Demobilisierung” im Vor-Merz: Golden
Retriever, keine Schäferhunde. 



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