Großbritanniens Regierungschef hat nicht aufgegeben und sich am Ende durchgesetzt: In beiden Kammern des britischen Parlaments gibt es jetzt endgültig grünes Licht für den Plan von Premier Rishi Sunak, Asylbewerber nach Ruanda auszufliegen. Die dortige Regierung hatte sich dazu ausdrücklich bereiterklärt, erwartet aber auch Zahlungen aus London. Der erste Flug soll offenbar im Juni abheben.

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Was ist das? Eine Schnapsidee? Ein zynischer Deal? Gar eine Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln?

Als „dunklen Tag für den Flüchtlingsschutz“ bezeichnet die deutsche Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl den 23. April 2024. „Die britische Regierung treibt den Deal mit Ruanda auf Teufel komm raus voran, obwohl Abschiebungen in das Land eindeutig rechtswidrig sind, die Zusammenarbeit extrem teuer ist und der Deal in der Praxis absehbar nicht funktionieren wird.“

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Vorsicht mit Vorurteilen

Doch was die Umsetzung des britischen Plans für die Betroffenen konkret bedeutet, hängt von zahlreichen Detailfragen ab, die bislang niemand vollständig zu klären vermochte. Wie und wo werden die Asylbewerber untergebracht? Sind sie in Ruanda in Sicherheit? Und können sie dort auch ökonomisch ein neues Leben anfangen?

Blick auf Ruandas Hauptstadt Kigali aus dem Hotel Rouge by Desir.

Blick auf Ruandas Hauptstadt Kigali aus dem Hotel Rouge by Desir.

Erkundungen westlicher Fernsehteams in Ruanda führten zu drei verwirrenden Eindrücken, die es zumindest nahe legen, sich mit Vorurteilen zurückzuhalten.

  • Als Unterkünfte werden in Ruanda nicht genutzte Hotelkapazitäten bereitgehalten. Ein Team der BBC wurde beispielsweise durch das Hotel Rouge by Desir geführt, ein sechsstöckiges in die Jahre gekommenes Gebäude, dessen Farbanstrich zwar verblasst ist, das aber landschaftlich hübsch gelegen ist, in den Bergen nahe der Hauptstadt Kigali, und sogar über einen Pool verfügt. Der US-Sender CNN inspizierte das renovierte Hope Hostel im Stadtteil Kagugu und kam zu dem Schluss, es sei zwar kein kein 5-Sterne-Hotel – aber auf die Migranten warteten saubere Bettwäsche, renovierte Gemeinschaftsbäder auf jeder Etage und kostenloses WLAN.
  • Ruanda scheint den Migranten ein hohes Maß an persönlicher Sicherheit bieten zu wollen und zu können. Vor der Rezeption im Hope Hostel etwa gibt es einen Sicherheitscheck im Stil eines Flughafens, einschließlich eines Gepäckscanners und Wachpersonals mit Metalldetektoren. Generell ist Ruanda kein demokratisches Musterland, es hat sich aber innerhalb Afrikas zumindest in Fragen von Sicherheit und Stabilität nach vorn gearbeitet. Kigali gilt inzwischen als eine der sichersten und saubersten Hauptstädte in Afrika.
  • Anders als andere afrikanische Staaten bietet Ruanda Einwanderern Zugang zum Arbeitsmarkt. Schon jetzt leben fast 135.000 Flüchtlinge in Ruanda, die meisten von ihnen kommen aus den Nachbarländern Burundi und der Demokratischen Republik Kongo. „In Ruanda müssen sie anders als in vielen anderen Ländern nicht in Camps wohnen“, berichtet die Deutsche Welle. Sie könnten sich „frei bewegen und dürfen arbeiten, Besitz haben, Unternehmen anmelden oder Bankkonten eröffnen“.

Wofür bezahlt London – und wie lange?

Wer eine Kooperation europäischer Staaten mit Ruanda rundheraus als unmenschlich verwirft, urteilt nicht nur voreilig. Jeder sollte sich auch fragen, ob da nicht auch rassistische Untertöne mitschwingen. Wieso sollte nicht auch ein afrikanisches Land Flüchtenden Sicherheit und Schutz bieten?

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Frisch renoviert für die Migranten: Das Hope Hostel in Kigali.

Frisch renoviert für die Migranten: Das Hope Hostel in Kigali.

Natürlich sieht Ruandas Präsident Paul Kagame seine Flüchtlingspolitik als eine Art Geschäftsidee. Doch was spricht prinzipiell dagegen? Niemandem dürfte es, wenn alles rund läuft, unterm Strich schlechter gehen als vorher.

Die Frage ist allerdings: Wofür genau bezahlt London – und wie lange? Unterkunft und Verpflegung sind halbwegs berechenbare Kosten. Wie aber geht es weiter, wenn jemand wegen einer schweren Krankheit aufwendig behandelt werden muss? Und was gilt für Menschen, die erwerbsunfähig werden?

London hat für den Ruanda-Plan angeblich 145 Millionen US-Dollar für fünf Jahre eingeplant. Ob das reicht, weiß niemand. Hier stößt man auf eine der vielen offenen Fragen.

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Ein gesamteuropäischer Plan wäre besser

Trotz aller Unwägbarkeiten sieht innerhalb der EU unter anderem Dänemark im Londoner Deal ein Vorbild. Auch der CDU-Politiker Jens Spahn zeigt sich interessiert.

Trotz vieler Fragezeichen gibt es einen Deal: Ruandas Premier Paul Kagame (links) bei einem Treffen Anfang April mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak in London.

Trotz vieler Fragezeichen gibt es einen Deal: Ruandas Premier Paul Kagame (links) bei einem Treffen Anfang April mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak in London.

Vor immer neuen einzelstaatlichen Aktivitäten dieser Art aber kann man nur warnen. Besser wäre es, gesamteuropäische Lösungen anzustreben. Die EU und Großbritannien könnten gemeinsam viel bewegen, um innerhalb Afrikas neue, sichere Fluchtalternativen für Menschen in Not zu schaffen – ohne dass sie den Umweg eines gescheiterten Anlaufs nach Norden nehmen müssen, der ja immer mit Gefahren verbunden ist.

Die schönste Vision von allen ist und bleibt ein Afrika, aus dem die Menschen nicht fliehen müssen – und nicht fliehen wollen.



Source link www.ostsee-zeitung.de