Traunstein/Aschau – Es ist der letzte Tag des Oktoberfests nach der langen Corona-Pause. Doch das verlängerte Wochenende um den Tag der Deutschen Einheit, auf das sich viele Bayern gefreut hatten, regnet es nahezu durch. Die AZ berichtet, dass Alfons Schuhbeck wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis landen könnte. Die Energiepreise und wie Deutschland überhaupt durch den Winter kommt, beschäftigen die deutsche Politik.

Urteil im Hanna-Prozess: Der Eiskeller liegt um die Ecke

Hanna W. will an diesem Wochenende, das sie bei ihrer Familie und ihren Freunden in Aschau verbringt, vermutlich einfach nur feiern und Spaß haben. Die 23-Jährige studiert Medizin in Cluj in Rumänien. In den Eiskeller geht es, der praktischerweise fast um die Ecke bei ihren Eltern liegt. Sie ahnt an diesem Abend vor dem Tag der Deutschen Einheit 2022 nicht, dass sie ihn nicht überleben wird.

Leichenfund am Tag der Deutschen Einheit

Am Nachmittag des 3. Oktober wird ihre Leiche in der Prien von einem Spaziergänger gefunden. “Junge Frau nach Clubnacht umgebracht” – aus Hanna wird eine Schlagzeile, auch in der AZ. Es folgen Hunderte Befragungen der Polizei von Clubbesuchern, ein Aufruf bei Aktenzeichen XY. Bis zum 18. November, als Sebastian T., heute 22 Jahre alt, festgenommen wird. Seine Mutter hatte ihn als Zeugen bei der Polizei gemeldet, weil er in jener Nacht joggen war.

Vernehmung als Zeuge: Plötzlich wird Sebastian T. zum Verdächtigen im Hanna-Prozess

Bei seiner Vernehmung ist er zunächst unauffällig, auch die Polizei denkt sich nichts dabei. Dann wird routinemäßig sein Umfeld befragt. Seine platonische Freundin Verena R. bringt ihn in die Bredouille. Sie erzählt von einem Treffen am Spätnachmittag des 3. Oktober. T. soll aus Sicht der Staatsanwaltschaft Täterwissen verraten haben. Zumal Verena R. davon berichtet, dass sie von Sebastian T. schon mal mit einem Messer bedroht worden sei.

Je weiter die Polizei bohrt, desto mehr macht T. aus Sicht der Beamten verdächtig: Dass er sich nach dem 3. Oktober regelrecht im Haus der Familie R. versteckt hat und viel zum Alkohol gegriffen hat. Dass er dort sogar gesagt hat: “Ja mei, dann war ich’s halt.” Verena R., ihre Schwester Lea und die Mutter der beiden sagen das zwar aus.

Warum meldet Verena und Lea nichts? 

Aber während der Zeit, als der halbe Chiemgau bei der Suche nach dem Täter mitfiebert, kommen sie nicht auf die Idee, der Polizei Hinweise zu geben. Im Verlauf des Prozesses wird Verena R. die Aussage verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Davor verhakt sie sich in Widersprüche. Lea R. bleibt bei ihrer Version, spricht von einem Treffen am 3. Oktober – mit Täterwissen.

Urteil im Hanna-Prozess: Dorffunk oder Täterwissen? 

Oder hat T. in der Zwischenzeit auf anderem Weg erfahren, dass um 14.30 Uhr eine junge Frau in der Prien gefunden worden war? Zwar hatte die Polizei erst deutlich später veröffentlicht, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelte – aber wenn eine junge Frau ohne ihre Hose und mit Wunden angeschwemmt wird, kann man davon ausgehen, dass sich so etwas auch auf inoffiziellem Weg schnell herum spricht.

“Vielleicht mit einem Stein?”

T. selbst gibt als Zeuge an, er hätte wohl von seiner Mutter bereits am 3. Oktober von dem Sterbefall erfahren – nach einem Treffen mit Verena R. in Traunstein. Er sagt auch, dass jemand Hanna womöglich mit einem Stein geschlagen habe. Hanna hatte solche Kopfverletzungen, die zu einem Schlag mit einem Stein passen würden. Das ist aber zu dem Zeitpunkt noch nicht öffentlich. Auf der anderen Seite ist in den Medien schon von stumpfer Gewalt die Rede.

Keine DNA, keine Hose: Blutspuren nicht verwertbar

Bei einer Hausdurchsuchung wurden an seiner Kleidung Spuren gefunden, vermutlich Blut – später wird sich herausstellen, dass die DNA nicht verwertbar ist. Doch es ist strittig, welche Hose T. in der Nacht von Hannas Tod anhatte und ob er diese überhaupt noch hat.

Der Ermittlungsrichter erlässt Haftbefehl, T. wird auf der Inntalautobahn festgenommen. Die Beamten sind verblüfft, dass er nahezu regungslos darauf reagiert.

Ruhig und dennoch Redebedarf? Sebastian T. sitzt in der U-Haft

Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft in der JVA Traunstein. Ein kleines Gefängnis, das mitten in der Stadt liegt und absurderweise direkt an die Sparkasse grenzt. T. wird von der dort tätigen Psychologin als vorbildlicher Insasse beschrieben, der sich ruhig und ordentlich verhält.

Als jemand, der aber offenbar Redebedarf hat, beschreibt ihn seit Mithäftling Adrian M. kurz nach Prozessbeginn im Oktober 2023. Bei Spekulatius soll ihm T. offenbart haben, dass er Hanna habe vergewaltigen wollen. Dazu sei es nicht gekommen, ihren leblosen Körper habe er dann im Bärbach “entsorgt”.

Aber wie glaubwürdig ist dieser Zeuge? Er sitzt selbst wegen eines Sexualdelikts in U-Haft, hat jungen Mädchen vorgespielt, dass er eine tödliche Krankheit habe, um diese zu sexuellen Handlungen zu überreden. Lügt dieser Mann immer – vielleicht weil er sich einen Vorteil bei der Richterin erhofft für sein eigenes Verfahren? Warum wartet er fast ein Dreivierteljahr, um von dem Geständnis zu berichten?

“Man kann Erlebtes auch verdrängen oder vergessen”

Weitere Mithäftlinge sagen aus. Einer, eine Art väterlicher Freund, berichtet davon, dass T. ihm gesagt habe, “man kann Erlebtes auch verdrängen oder vergessen”. Nur zum Spaß habe T. bei der Party bei R. gesagt, dass er es gewesen sei, erzählt der Mithäftling. Das fand der 64-Jährige komisch.

Auch dass T. so viele Gewaltvideos auf seinem Handy angesehen hatte. T. habe ihm aber gesagt, dass er nicht der Täter war. T. hatte vor der Tat zu 97 Prozent Pornos auf seinem Handy aufgerufen. Wobei der psychiatrische Gutachter den Pornokonsum nicht so auffällig fand, wie er aussagte.

Einen Porno will das Gericht sogar ansehen, mit dem Titel: “Hübsches russisches Mädchen, erwürgt und gef…”. Da wird einem Mädchen aufgelauert und dann wird es erwürgt und vergewaltigt.

Keine Freundin und viel Frust: Was Sebastian T. im Hanna-Prozess belastet

Dass er bei Mädchen nicht landen konnte, hat T. belastet. Einmal schlägt er nach einem Gespräch darüber sogar so fest in die Wand der JVA Traunstein, dass er sich die Hand bricht. Aus Frust über das Erzählte? Oder aus Verzweiflung darüber, dass er als Unschuldiger in Untersuchungshaft sitzt?

T. schweigt, seit er Verdächtiger ist. Er darf das und viele Anwälte würden ihm vermutlich ebenfalls dazu raten. Das Gericht darf das nicht so werten, dass es ihn verdächtiger macht – auch wenn das für Laien schwer verständlich ist. Seine Eltern und der Rest seiner Familie schweigen ebenfalls.

War es wie in dem Porno? Ist Sebastian T. auf seiner nächtlichen Joggingrunde erst nach Hause gelaufen, dann aber noch einmal an den Bärbach zurückgekehrt und hat Hanna dort überfallen? Kameras zeigen, wie Hanna ihren Heimweg antritt – ohne zu schwanken, trotz ihrer über zwei Promille Alkohol im Blut. Dass sie schon was vertragen hat, dass es ihr gut gegangen sei, hatten ihre Freunde ausgesagt.

Handydaten geben Auskunft

Um 2.32 Uhr setzt Hanna einen Anruf ab an ihre Eltern, die als Notrufkontakt auf ihrem Handy eingespeichert sind. Der Anruf geht nicht durch, vermutlich, weil Hanna kein Guthaben mehr auf ihrem iPhone hatte. Kurz darauf sinkt die Temperatur des Handyakkus. Tatsächlich speichert Apple solche Daten. Kurz darauf werden die GPS-Daten ungenau. All das deutet darauf hin, dass das Handy im Wasser gelandet ist.

Ist Hanna beim Bieseln ins Wasser gefallen?

War es ein Unfall, bei dem Hanna, möglicherweise beim Urinieren, ins Wasser gefallen ist? Kann das sein – wer bieselt keinen Kilometer entfernt von seinem Haus mitten an der Hauptstraße neben einem Bach, der gerade Hochwasser hat? Auf der anderen Seite: Wer überfällt mitten im Dorf, in der Nähe eines viel besuchten Clubs eine junge Frau, die noch dazu 15 Zentimeter größer ist, als der mutmaßliche Täter?

Um 2.42 Uhr spielt jemand auf dem Handy von Sebastian T. “Clash of Clans”. Zuhause, über den heimischen Router. Spielte T. zum Runterkommen nach seiner Joggingrunde? Spielte jemand anders, denn am nächsten Tag wurde auf demselben Handy ein Strickvideo abgerufen. Eher unwahrscheinlich, dass T. dieses angeschaut hatte.

Wie kam die Hose vom Körper?

Oder spielte T., um sich nach der missglückten Vergewaltigung abzureagieren? Denn Hinweise auf sexuelle Handlungen an Hannas Leiche gibt es nicht. Auffällig ist jedoch, dass sie ihre Hose nicht mehr trug, ihre Schuhe hingegen schon. Ein Experte schließt aus, dass das Wasser allein ihr die Hose abgestreift haben könnte. Wobei die Hose schon einen Defekt hatte, an der Seitennaht eingerissen war, als Hanna noch im Eiskeller war.

Urteil im Hanna-Prozess: Am Dienstag im News-Ticker

Verschiedene Experten kommen auch zu dem Schluss, dass Hannas massive Verletzungen, etwa Riss-Quetsch-Wunden nach aller Wahrscheinlichkeit von einem Angriff kommen, nicht vom bloßen Treiben im Fluss. Ein beidseitig gebrochenes Schulterdach irritierte die Gerichtsmedizinerin sehr, weil die Verletzungen so symmetrisch waren. Erklärlich sei das eigentlich nur durch ein Daraufknien oder -springen.

Hannas Eltern hätten gerne erfahren, was in jener Nacht passiert ist. Eineinhalb Jahre nach dem Tod ihrer Tochter gibt es nur Indizien, keine Beweise. Sollte T. schuldig sein, hätte es das perfekte Verbrechen sein können. Hätte seine Mutter nicht die Polizei kontaktiert. Die Eltern von beiden, Opfer und Angeklagtem, werden am Dienstag um 12 Uhr das Urteil hören. Wir berichten im News-Ticker aus dem Gerichtssaal. 





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