Gibt es neue Bewegung in der Kurdenfrage? Seit die militante PKK 1984 den bewaffneten Kampf für einen eigenen Kurdenstaat aufnahm, sind in der Türkei über 40 000 Menschen ums Leben gekommen. „Das kann nicht noch einmal 40 Jahre so weitergehen“, sagte Präsident Erdogan diese Woche in der Kurdenmetropole Diyarbakir. „Wenn etwas getan werden kann für den Frieden von 85 Millionen Menschen (die in der Türkei leben, d Red.), dann sollte es jetzt getan werden“, so der Präsident.
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Seit fast neun Jahren herrscht Funkstille im Kurdenkonflikt. Die Anfang 2015 aufgenommenen Friedensverhandlungen, an denen indirekt auch der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan beteiligt war, brachen schon fünf Monate später zusammen. Es kam zu einer Welle der Gewalt. In Diyarbakir machte die türkische Armee fast die ganze Altstadt dem Erdboden gleich. Tausende Kurdenpolitiker im ganzen Land wurden verhaftet.
Erdogan signalisiert Gesprächsbereitschaft
Jetzt erklärt Erdogan plötzlich seine Bereitschaft zu neuen Gesprächen: Er sei bereit, sich mit jedem an den Verhandlungstisch zusetzen, „der sich vom Terrorismus distanziert“, so Erdogan in Diyarbakir. Man könne „mit jedermann über alles reden, aber unsere Tür ist geschlossen für Terroristen und jene, die Politik unter der Kontrolle der Terrororganisation machen“ – eine Anspielung auf die militante kurdische Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei und der EU als Terrorgruppe verboten ist, und die pro-kurdische Partei DEM. Die Regierung sieht in ihr den politischen Arm der PKK. Erdogan brandmarkt deshalb Politiker der Kurdenpartei immer wieder als „Terroristen“.
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Führende kurdische Politiker haben in jüngster Zeit zu einer Wiederaufnahme des Friedensprozesses aufgerufen. Dabei geht es um lokale Selbstverwaltung und mehr kulturelle Rechte wie den Gebrauch ihrer Muttersprache für die Kurden. Sie machen etwa 15 bis 20 Prozent der 85 Millionen türkischen Staatsbürger aus.
Sterben für Deutschland? Das sagt ein Soldat, der schon mehrmals in Lebensgefahr schwebte
Experten halten eine deutsche Beteiligung an einem Krieg schon bald für denkbar. Oberfeldwebel Thomas P. weiß um die Gefahr: Bei Auslandseinsätzen geriet er schon mehrmals in lebensbedrohliche Situationen. Dass man im Krieg fallen könne, damit müsse man sich immer auseinandersetzen.
Türkische Kommunalwahlen am Sonntag
Dass Erdogan gerade jetzt Gespräche anbietet, dürfte kein Zufall sein. Am Sonntag finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Sie sind ein wichtiges politisches Kräftemessen für Regierung und Opposition. Erdogan und seine islamisch-konservative AKP wollen einige Großstädte, die sie 2019 an die Opposition verloren, zurückerobern – darunter Ankara, Adana, Antalya und Mersin, vor allem aber die Bosporusmetropole Istanbul. Hier gewann vor fünf Jahren Ekrem Imamoglu das Rathaus, Kandidat der bürgerlich-sozialdemokratischen CHP. Seinen Wahlsieg verdankte er nicht zuletzt den kurdischen Wählern, die in Istanbul etwa zehn Prozent der Wahlberechtigten stellen.
Sie könnten auch diesmal den Ausschlag geben. Während die Kurdenpartei 2019 Imamoglu offen unterstützte, tritt sie diesmal in Istanbul mit einer eigenen Kandidatin an, Meral Danis Bestas. Das dürfte Imamoglu schwächen. Erdogan rechnet sich offenbar Chancen aus, mit dem Verhandlungsangebot kurdische Stimmen für den AKP-Bewerber Murat Kurum zu mobilisieren. Gewinnt Kurum die Kommunalwahl in der Wirtschafts- und Finanzmetropole Istanbul, könnte Erdogan das als Mandat für eine Verfassungsänderung interpretieren. Sie würde es ihm ermöglichen, 2028 für eine vierte Amtszeit als Präsident zu kandidieren – oder sogar lebenslang im Amt zu bleiben. Geling es hingegen Imamoglu, das Istanbuler Rathaus verteidigen, könnte er bei der nächsten Präsidentenwahl antreten.
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Krisen-Radar
RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.
Medien mit einseitiger Berichterstattung
Um das zu verhindern, zog Erdogan im Wahlkampf alle Register. Die meisten Medien weiß er auf seiner Seite, sie werden zu 90 Prozent von Erdogan-nahen Unternehmern kontrolliert. Das staatliche Fernsehen TRT widmete Erdogan und seiner AKP in den ersten 40 Tagen des Wahlkampfs 32 Stunden Sendezeit. Die Opposition bekam nur 25 Minuten.
Wer in Istanbul gewinnt, ist ungewiss. Umfragen zeigen, dass auch diesmal etwa die Hälfte der kurdischen Wähler für Imamoglu stimmen will und nicht für die Kandidatin der pro-kurdischen DEM. In einer am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des Instituts Metropoll kommt Imamoglu auf 39,2 Prozent und Kurum auf 30,4 Prozent. Aber schon bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen im vergangenen Jahr zeigte sich, dass die Meinungsumfragen in der Türkei nicht besonders zuverlässig sind.