Zhang Yongzhen hat als erster Wissenschaftler die Genomsequenz des Coronavirus entschlüsselt – und damit den weltweiten Weg für eine Covid-Impfung geebnet. Doch nun, über vier Jahre später, sitzt der Virologe vorm Eingang seines Forschungslabors auf einem Stück Pappmaché im Shanghaier Nieselregen.

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Was nach einem verspäteten Aprilscherz klingt, ist seit dem Wochenende bittere Realität: Einer der mutigsten Wissenschaftler der Volksrepublik China wurde aus seinen eigenen Arbeitsräumlichkeiten verwiesen. „Ich werde nicht aufgeben, ich verfolge die Wissenschaft und die Wahrheit!“, schrieb der 59-Jährige auf seinem persönlichen Weibo-Account am Montag, ehe das Posting von den Zensoren gelöscht wurde.

Der Einparteienstaat kontrolliert seine Akademiker

Was genau vorgefallen ist, lässt sich bislang nicht unabhängig überprüfen. Denn nicht nur online haben die chinesischen Behörden eine strikte Informationssperre verhängt, sondern auch das entsprechende Forschungslabor des „Shanghai Public Health Clinical Center“ von Sicherheitskräften umkreist. Als ein Reporter der US-Nachrichtenagentur AP Professor Zahng Yongzhen treffen wollte, wurde ihm der Weg versperrt. Nur am Telefon teilte er in kryptischen Worten mit, dass er derzeit schlecht reden könne, da die Leitung abgehört werde.

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Laut seinem Arbeitgeber handelt es sich alles um ein großes Missverständnis: Dem Virologen sei bereits ein alternativer Arbeitsplatz angeboten worden, die alten Labore müssten wegen Renovierungsarbeiten geschlossen werden. Zhang selbst hat diese Darstellung entschieden widersprochen.

Sein aktueller Sitzprotest ist nicht nur der jüngste Beleg dafür, wie rigide der Einparteienstaat seine Akademiker kontrolliert; sondern zeigt auch, wie sensibel er weiterhin sämtliche Vorgänge rund um den Ursprung des Coronavirus behandelt. Denn Zhang hatte bereits im Januar 2020, als er die Genomsequenz des neuartigen Erregers eigenhändig publizierte, Besuch vom Sicherheitsapparat erhalten. Ob es damals darum ging, dass die Behörden Beweise vernichten oder zumindest unter Verschluss halten wollten, lässt sich zwar nicht endgültig beweisen. Die Indizien legen jedoch genau dies nahe.

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Er erhielt internationale Preise

Denn das chinesische Magazin Caixin hatte damals von einer Order der Nationalen Gesundheitskommission vom 3. Januar 2020 berichtet, dernach sämtliche Labore dazu angehalten worden, keine Information über die „Wuhan-Krankheit“ zu publizieren. Sämtliche Proben sollten auf staatliche Anweisung entweder vernichtet oder an bestimmte Testinstitute weitergeleitet werden. Eine solch investigative Berichterstattung chinesischer Medien war während der Wirren des Corona-Ausbruchs für einige wenige Wochen möglich. Dann jedoch schritten die Zensoren erneut ein, und künftige Leaks zum Ursprung des Coronavirus stammten von ausländsichen Korrespondentenbüros.

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Es waren auch ausländische Forscher, die schließlich in Erfahrung bringen konnten, dass Virologe Zhang die Coronavirus-Sequenz bereits am 5. Januar entdeckt hatte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er zu diesem Zeitpunkt mit seiner Erkenntnis nicht der einzige chinesische Wissenschaftler. Doch umgehend führten die Sicherheitsbehörden Razzien durch und verhängten ein kategorisches Publikationsverbot. Erst als der öffentliche Druck aus dem Ausland stieg und niemand anderes die Sequenz veröffentlichte, tat Zhang dies auf eigene Gefahr – und ohne Erlaubnis der Regierung.

Doch während der chinesische Virologe internationale Preise erhielt, wurde er im eigenen Land weiter schikaniert. Ein vertrauter Forscher, Edward Holmes von der Universität von Sydney, schilderte, dass Zhang Yongzhen von seinem Posten im chinesischen Zentrum für Seuchenkontrole und -prävention abberufen wurde. „Seit er sich den Behörden widersetzt hat, indem er die Genomsequenz des Virus, das COVID-19 verursacht, veröffentlicht hat, gibt es eine Kampagne gegen ihn“, sagte Holmes: „Er ist an diesem Prozess zerbrochen“.



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