Das unerwartet klare Ja des US-Repräsentantenhauses zu den Ukraine-Hilfen kam wie eine kalte Dusche über Donald Trump. Jetzt steht der 77 Jahre alte Präsidentschaftsbewerber der Republikaner da wie ein begossener Pudel: Alle Welt sieht die Grenzen seiner Macht – und die Grenzen seines politischen Talents.
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Monatelang hat Trump alles getan, um das Votum zu verhindern. Jetzt wird deutlich, warum.
- Die Ukraine-Hilfe wurde am Samstagabend im Repräsentantenhaus unterstützt von insgesamt 311 Jastimmen. Es gab nur 112 Neinstimmen. Das heißt: Nur etwas mehr als ein Viertel der Abgeordneten sind in Wahrheit gegen die Ukraine-Hilfe.
- Bei den Demokraten gab es 210 Jastimmen und keine einzige Neinstimme.
- Die Republikaner dagegen sind in zwei fast gleich große Teile zerrissen: 101 stimmten mit Ja, 112 mit Nein.
1. Trumps Ukraine-Politik wurde zum Flop
Trumps rechtspopulistischer „America first“-Kurs war, wie nun bewiesen ist, unhaltbar. Dummerweise hat der Kandidat dies nicht kommen sehen. Selbstverliebt ergötzte sich Amerikas oberster Rechtspopulist lieber am reflexartigen Applaus nationalistischer Fans, wenn wenn er mal wieder tönte, man solle amerikanisches Geld nicht in Übersee verschleudern. Allzu lange ignorierte Trump die immer drängender werdenden Hinweise, dass die Blockade der Ukraine-Hilfe allen Ernstes dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nützt – und letztlich auch amerikanischen Interessen schadet.
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Ein Wendehals? Gewiss. Aber einer, der zumindest am Ende auf der Seite der Gewinner steht: Mike Johnson, Sprecher des US-Repräsentantenhauses.
Quelle: IMAGO/UPI Photo
Dies sieht und sah, wie sich jetzt zeigt, auch fast die Hälfte der republikanischen Abgeordneten so. Speaker Johnson behielt klugerweise für diese Stimmungen und Strömungen ein offenes Ohr – und gewann in den vergangenen Tagen überraschend an Statur. Erst ließ Johnson erkennen, dass er eine Abstimmung über das Thema nicht mehr lange verhindern werde. Am Ende äußerte sich Johnson so, als sei er immer schon der größte Befürworter von Ukraine-Hilfen gewesen. Ein Wendehals? Gewiss. Aber einer, der zumindest am Ende auf der Seite der Gewinner steht.
Zu den Verlierern geht die rechtsradikale und moskautreue Republikanerin Marjorie Taylor-Greene. Sie rast jetzt vor Wut. Am liebsten würde sie erneut die Entmachtung des Speakers betreiben, wie im Fall des unseligen Kevin McCarthy. Doch das hat man ihr offenbar ausgeredet. Taylor-Greenes tieferes Problem liegt darin, dass sie die Welt nicht mehr versteht. Denn auch ihr Idol Trump ging – wenn auch nur notgedrungen, als Getriebener – im letzten Moment in die Kurve und erklärte sich grummelnd einverstanden mit dem Ukraine-Paket. Da war es allerdings schon zu spät: Jetzt applaudiert ihm niemand mehr. Die Nationalisten verstehen nicht, warum er nun doch Geld ins Ausland überweisen will. Und die Internationalisten nehmen ihm übel, dass er das Paket so lange gebremst hat.
Einmal mehr wurde objektiv deutlich: Er hat keinen Kompass, er agiert ausschließlich stimmungsgetrieben und aus dem Augenblick heraus. Außenpolitik ist nicht sein Ding. Doch taktische innen- und parteipolitische Fehler kommen noch hinzu. Der Mann kann nicht führen, nur spalten.
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2. Der Boom lässt sich nicht mehr leugnen
Wo aber liegen seine Stärken? Noch immer fällt auf, dass Trump in Umfragen im Vergleich mit Joe Biden als der ökonomisch Kompetentere empfunden wird. Auch ist es dabei geblieben, dass die Meinungsforscher einen generellen Vorsprung für Trump in den meisten der sechs entscheidenden Swing States messen: Arizona, Nevada, Georgia, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin.
Würde jetzt alles sieben Monate lang so bleiben, könnte Trump gewinnen. Doch schon jetzt sei eine „Verschiebung der thematischen Landschaft“ in Gang gekommen, schreiben die Ipsos-Demoskopen Clifford Young und Chris Jackson in einer Analyse zur emotionalen Lage der Nation für das Magazin „Fortune“. Die Amerikanerinnen und Amerikaner zeigten eine neue Flexibilität bei der Frage, was sie als wichtigstes Thema ansehen.
Wirtschaftliche Sorgen waren in den Peak-Phasen der Inflation demoskopisch dominant. Jetzt scheinen sie allmählich in den Hintergrund zu treten.
Wieder einmal treibt die Techbranche die gesamte US‑Wirtschaft nach vorn. So ließ der KI‑Boom zum Beispiel den Umsatz des Chipherstellers Nvidia binnen Jahresfrist auf das Doppelte steigen.
Quelle: Jeff Chiu/AP
Trumps düstere Rhetorik zur Wirtschaftslage in den USA widerspricht immer mehr den Tatsachen: Die Auftragsbücher der Firmen sind voll. Die Aktienkurse klettern. Und vor allem der Boom am Arbeitsmarkt übertrifft die Erwartungen.
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- Schon seit 39 Monaten in Folge schaffen die Firmen in den Vereinigten Staaten immer neue Arbeitsplätze. Allein im März 2024 entstanden mal eben weitere 303.000 neue Stellen – 100.000 mehr, als von Experten vorhergesagt worden waren.
- Die Arbeitslosenquote von 3,8 Prozent liegt mittlerweile auf dem niedrigsten Stand seit mehr als 50 Jahren.
- Die Zuwächse bei durchschnittlichen Stundenlöhnen liegen höher als die Inflationsrate.
All dies bedeutet nicht, dass die Wählerinnen und Wähler diese Entwicklung Biden politisch gutschreiben. Der unbestreitbare Boom begünstigt aber, Pech für Trump, eine neue Offenheit der Bürgerinnen und Bürger für andere Themen. Wohin dies führt, kann derzeit noch niemand ausleuchten. Im für Trump ungünstigsten Fall könnte, wenn die Angst vieler Menschen vor dem eigenen ökonomischen Absturz nachlässt, womöglich sogar der Blick aufs Thema Zuwanderung wieder milder werden.
Bei Young und Jackson ist erst mal nur orakelhaft von „shifting sands“ die Rede, von Flugsand also und von Treibsand: Die „shifting sands“, seien „gut für Biden“.
3. Trump kommt beim Thema Abtreibung ins Schleudern
Religiöse Rechte feierten Trump eine Zeit lang als obersten Lebensschützer der Nation. Doch das war eine optische Täuschung. Inzwischen gefällt Trump das gesamte Thema Abtreibung nicht mehr. Dem Mann ging es ohnehin nie um Moral, immer nur um Macht. Konservative Christen waren für ihn nur nützliche Idioten in verschiedenen stark umkämpften Staaten.
Sie alle stieß Trump soeben vor den Kopf, in dem er per Video verkündete, er wolle kein bundesweites Abtreibungsverbot durchsetzen, sondern das Thema den 50 einzelnen Bundesstaaten überlassen. Der frühere Vizepräsident Mike Pence schäumt: „Trumps Rückzug vom Recht auf Leben ist ein Schlag ins Gesicht der Millionen von Lebensschützern, die ihn 2016 und 2020 gewählt haben.“
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Tucson, Arizona, 9. April 2024: Frauen demonstrieren gegen eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Arizona, die ein nahezu vollständiges Verbot von Abtreibungen im Bundesstaat Arizona vorsieht. Wiederbelebt wurden jetzt Vorschriften aus dem Jahr 1864.
Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Trump hat über Jahrzehnte hinweg seine Haltung zur Abtreibung immer wieder anders beschrieben. Auch bei der jüngsten Festlegung müsse man vorsichtig sein, denn „es ist erst Montag“, höhnte die „New York Times“. Trump bekommt jetzt das Kunststück hin, beide Seiten abzustoßen: Die Lebensschützer sind von ihm enttäuscht. Und liberale Frauen sehen in ihm den Urheber des rechtlichen Flickenteppichs, der gerade entsteht.
Der Oberste Gerichtshof der USA hatte im Juni 2022 das historische Urteil „Roe vs. Wade“ aus dem Jahr 1973 aufgehoben, wonach bundesweit in gewissen Fristen Abtreibungen zulässig waren. Jetzt sind Entscheidungen in den 50 einzelnen Bundesstaaten gefragt.
In Florida tritt in Kürze ein von den dort regierenden Republikanern konzipiertes sehr strenges Abtreibungsrecht in Kraft, das für erhebliche Unruhe sorgt. In Arizona könnte infolge einer Gerichtsentscheidung schon bald ein 160 Jahre altes Abtreibungsverbot mit extrem strengen Vorschriften wieder aufleben. In beiden Staaten macht die Biden/Harris-Kampagne derzeit mit speziellen Werbefeldzügen und Veranstaltungen mobil.