Gia Dschaparidse ist nur noch wenige Meter von der Tür seines Apartmentblocks in Georgiens Hauptstadt Tiflis entfernt, als der Schlägertrupp ihn am vergangenen Mittwochabend überfällt. Mit Baseballschlägern verprügeln ihn die Männer, wie der Politik-Professor und Ex-Diplomat sagt. Als er auf dem Boden liegt, treten sie auf ihn ein. Der 50-Jährige erleidet eine Gehirnerschütterung und wird zwei Tage im Krankenhaus behandelt, am Kopf muss er genäht werden. Sein Rücken ist auch am Wochenende noch blau und grün, sein Gesicht von verkrusteten Wunden gezeichnet. Der Arzt hat ihm Bettruhe verordnet, doch selbst im Liegen hat er Schmerzen.

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Dschaparidse ist eines von mehreren Opfern brutaler Angriffe auf Regierungskritiker in den vergangenen Tagen. Er hat keine Zweifel, wer hinter der Gewalt steht: Die Regierungspartei Georgischer Traum und ihr Gründer, Bidsina Iwanischwili. Der Milliardär und Oligarch ist in Russland reich geworden. Von 2012 bis 2013 war er georgischer Ministerpräsident. Heute ist er offiziell nur Ehrenvorsitzender seiner Partei. Tatsächlich ist der 68-Jährige der wahre Machthaber in Georgien.

Nicht nur Schlägertrupps sind neuerdings in dem Land unterwegs, das seit Dezember EU-Beitrittskandidat ist. Oppositionelle und Vertreter der Zivilgesellschaft sind Telefonterror ausgesetzt, der sich auch gegen ihre Angehörigen richtet. An ihren Büros und Wohnhäusern hängen plötzlich Plakate mit ihren Fotos und mit Beschimpfungen wie „Verräter“ und „Agent“.

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Ein Gesetz, das für Schweigen sorgen soll?

In der Ex-Sowjetrepublik spielt sich in diesen Tagen ein Machtkampf ab, der über die Zukunft des Landes entscheiden dürfte: Darüber, ob Georgien ein demokratisches Mitglied der EU oder ein autokratischer Staat unter dem Einfluss Russlands sein wird. Kern des Konflikts ist ein Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen – nach dem Vorbild des russischen „Agentengesetzes“. Kremlchef Wladimir Putin hat es dazu genutzt, Regierungsgegner mundtot zu machen. Kritiker in Georgien befürchten, dass Iwanischwili genau dasselbe Ziel verfolgt.

Das geplante Gesetz zielt auf Nichtregierungsorganisation (NGO) ab, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten. Sie müssten sich künftig registrieren lassen: Als „Organisationen, die Interessen einer ausländischen Macht vertreten“. Weder Abgeordnete noch Parteivertreter des Georgischen Traumes sind bereit, mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über das Gesetzesvorhaben zu reden. Iwanischwili argumentiert, das Gesetz würde Transparenz schaffen. Ausländische Mächte – gemeint ist der Westen – würden über NGO nach der Macht in Georgien greifen. Er sieht dahinter eine ominöse „globale Kriegspartei“ mit großem Einfluss auf die EU.

#1 interview, Gia Japaridze, , photo David Grigoryan (2)

Der Ex-Diplomat Gia Dschaparidse ist nur noch wenige Meter von der Tür seines Apartmentblocks entfernt, als der Schlägertrupp ihn überfällt.

„Es geht in dem Gesetz nicht um Transparenz“, sagt dagegen Stephan Malerius, Direktor des Regionalprogramms Politischer Dialog im Südkaukasus bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. „Iwanischwili kontrolliert bereits die Justiz, die Wirtschaft, einen Großteil der Medien und die regionalen Verwaltungen. Was er noch nicht unter Kontrolle hat, ist die Zivilgesellschaft. Die ist weiterhin lautstark und unabhängig, und die will er mit dem Gesetz unter Kontrolle bringen.“ Malerius ist überzeugt: „Wir stehen vor einer finalen Konfrontation. Die Regierung will das Gesetz durchziehen, komme, was wolle. Die Opposition will das Gesetz aufhalten, komme, was wolle.“

Die Chancen für Letzteres stehen allerdings schlecht. Noch in dieser Woche will das Parlament das Gesetz in dritter Lesung verabschieden, eine Zustimmung gilt als sicher. Die unabhängige Staatspräsidentin Salome Surabischwili hat zwar angekündigt, ihr Veto einzulegen, das kann vom Parlament aber überstimmt werden. Sollte das Gesetz in Kraft treten, dürfte der Traum von der EU-Mitgliedschaft ausgeträumt sein. „Mit dem sogenannten Agentengesetz kann Georgien nicht Teil der EU werden“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), kürzlich dem RND. „In Georgien steht die Demokratie auf dem Spiel.“

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Proteste gegen pro-russischen Regierungskurs

Präsidentin Surabischwili hat den Georgischen Traum kürzlich einen „russischen Traum“ genannt. Sie hat versprochen: „Sowohl heute als auch morgen werde ich mich vehement gegen alle Versuche wehren, in die sowjetische und russische Vergangenheit zurückzukehren und europäische Chancen zu sabotieren.“

Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.

Dagegen wehren sich am Samstagabend in Tiflis auch wieder Zehntausende Demonstranten. Etliche von ihnen haben sich in die georgische oder in die EU-Flagge gehüllt. „Nein zum russischen Gesetz“, skandieren die Menschen. „Wir werden nie zurückkehren in die UdSSR“, heißt es auf einem Plakat. Eine bunte Mischung an Georgiern ist gekommen, um gegen den pro-russischen Kurs der Regierung zu protestieren. Die verschiedenen Demonstrationszüge treffen sich auf dem Europaplatz in der georgischen Hauptstadt, Musik wird gespielt, die Stimmung ist ausgelassen.

Giorgi Bakradse (39) hat eine Atemschutzmaske um den Hals hängen und eine Schutzbrille auf der Stirn, einige andere Demonstranten sind ähnlich ausgerüstet. Die Polizei hat zuletzt auch friedliche Proteste mit Tränengas und Plastikgeschossen aufgelöst. Am Europaplatz ist sie an diesem Abend kaum zu sehen, Zusammenstöße gibt es nicht. Dass die Proteste das umstrittene Gesetzesvorhaben noch stoppen können, glaubt Bakradse nicht. „Es geht aber auch längst nicht mehr um das russische Gesetz“, sagt er. „Es geht darum, dass wir keine russische Regierung bekommen.“

People at the protest, photo David Grigoryan (3)

Demonstrant Giorgi Bakradse: „Es geht längst nicht mehr um das russische Gesetz. Es geht darum, dass wir keine russische Regierung bekommen.“

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Bakradse zündet sich eine Zigarette an und geht, dann dreht er sich nach ein paar Metern nochmal um und kehrt zurück. „Wir werden siegen“, ruft er. „Das verspreche ich dir.“ Auch die Demonstranten skandieren: „Sieg für Georgien“. Jüngere Teilnehmer tragen ein Transparent vor sich her, auf dem steht: „Die Generation Z will nach Europa“.

Tamar Chidascheli ist Direktorin der Menschenrechts-NGO Democracy Research Institute (DRI), für die das Gesetz das Aus bedeuten könnte. „Niemand plant, sich als Agenten-Organisation zu registrieren“, sagt sie mit Blick auch auf andere NGO. Die dann drohenden Geldstrafen könnten DRI und viele andere Organisationen aber nicht stemmen. „Im Endeffekt müssten wir unsere Arbeit einstellen.“

Ob es dann nicht das geringere Übel wäre, sich doch zu registrieren? In Russland habe man gesehen, dass jene Organisation, die diesen Weg gewählt haben, am Ende das Land hätten verlassen müssen oder aufgelöst worden seien, sagt Chidascheli. Das würde in Georgien ähnlich laufen. „Das Ziel ist, uns zum Schweigen zu bringen.“ Wenn das Gesetz einmal in Kraft getreten sei, sei es zudem ein Leichtes, es zu ergänzen – um dann nicht nur NGO, sondern auch Medien oder andere Institutionen ins Visier zu nehmen.

Mehrheit der Georgier für EU-Beitritt

Chidascheli arbeitet seit dem Jahr 2000 im NGO-Bereich. „Eine Situation wie diese habe ich aber noch nie erlebt“, sagt sie. Kürzlich ist ein Poster mit ihrem Foto und dem eines Kollegen aufgetaucht, sie holt es aus ihrem Büro und zeigt es vor. „In Georgien ist kein Platz für Agenten“, steht darauf.

Die Überfälle auf Oppositionelle und Vertreter der Zivilgesellschaft würden von der Polizei nicht verfolgt, beklagt sie. Das gleiche gelte für die Poster und die anonymen Anrufe, in denen Regierungskritiker und ihre Angehörigen beschimpft und bedroht würden. Chidascheli berichtet von einem Freund, dessen Sohn am Telefon angedroht wurde, dass seine Knochen gebrochen würden, falls der Vater noch einmal auf eine Demonstration gehen würde. Wer ihrer Ansicht nach hinter den massiven Einschüchterungen steckt? „Der Georgische Traum und der Staatsapparat.“ Niemand sonst habe diese Ressourcen.

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#2 interview, Tamar Khidasheli, photo David Grigoryan (2)

Tamar Chidascheli ist Direktorin der Menschenrechts-NGO Democracy Research Institute (DRI), für die das Gesetz das Aus bedeuten könnte.

Chidascheli wertet die Kampagnen als Zeichen dafür, „dass die Regierung panisch ist“. Sie habe immer noch Hoffnung – vor allem angesichts der vielen Menschen, die auf den Straßen protestierten. „Junge Georgier haben Europa gesehen. Sie wissen, dass der Platz Georgiens dort ist und nicht in Russland.“ Chidascheli baut darauf, dass das „russische Gesetz“ und der Moskau-freundliche Kurs Iwanischwilis den Georgischen Traum bei der Parlamentswahl im Oktober die Macht kosten wird.

Tatsächlich ist in Umfragen regelmäßig eine überwältigende Mehrheit der Georgier für einen EU-Beitritt (und in etwas geringerem Maße für eine Nato-Mitgliedschaft). Iwanischwilis Ausrichtung nach Moskau scheint da eigentlich keine gute Strategie zu sein. Er selbst argumentierte Ende vergangenen Monats, durch den Konflikt über das Gesetz zwinge man die Opposition, ihre Energie schon vor den Wahlen auf der Straße zu „verschwenden“. In der beängstigenden Rede drohte er der Opposition auch eine schonungslose Abrechnung nach der Wahl an.

Text on the  poster - do not sale our country for 100 rubles. People at the protest, photo David Grigoryan (7)

Eine Demonstrantin in Tiflis. Auf ihrem Plakat steht „Verkaufen Sie unser Land nicht für 100 Rubel”.

Sasa Bibilaschwili ist Gründer und Vorsitzender des Tschawtschawadse-Zentrums, einer NGO, die sich unter anderem für die Förderung westlicher Werte einsetzt. Er glaubt nicht daran, dass es auf die Wahl noch ankommt, wenn das umstrittene Gesetz durchkommt. „Wenn das Gesetz verabschiedet wird, wird es während der Wahlen keine internationalen Beobachter geben. Die Menschen werden aus dem Land fliehen müssen. Menschen werden ins Gefängnis gehen. Es wird keine Möglichkeit geben, die Ergebnisse objektiv zu überprüfen“, befürchtet er. Es stehe viel mehr auf dem Spiel als die EU-Mitgliedschaft. „Wir stehen vor einer existenziellen Bedrohung“, sagt er. „In diesen Tagen entscheidet sich, ob wir Teil der freien Welt bleiben oder Teil von Putins russischer Welt werden.“

In diesen Tagen entscheidet sich, ob wir Teil der freien Welt bleiben oder Teil von Putins russischer Welt werden.

Sasa Bibilaschwili,

Gründer und Vorsitzender des Tschawtschawadse-Zentrums

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Gia Dschaparidse, das Opfer des Schlägertrupps, ist Vorstandsmitglied im Tschawtschawadse-Zentrum, und er sieht das ganz ähnlich. Deshalb sei jetzt nicht die Zeit, Rücksicht auf die Gesundheit zu nehmen, sagt er, während er sich vor Schmerzen im Bett windet. „Dieser russische Mafia-Staat kann mich nicht stoppen“, sagt er. Am Abend steht Dschaparidse dann überraschend vor Tausenden Menschen auf dem Europaplatz auf der Bühne. „Wir haben keine Angst, wir sind nicht müde. Wir sind unzerbrechlich, wir sind stark“, ruft er unter dem Applaus der Zehntausenden Demonstranten. „Unsere Zukunft liegt in Europa.“



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