Herr Dr. Brennecke, das Netzwerk „Correctiv“ und einige Medien sehen das Hamburger Urteil als Sieg, da man in zwei von drei Punkten gewonnen habe. Sehen Sie das auch so?

Carsten Brennecke: Presserecht ist kein Fußball. Es gibt keine 2:1-Ergebnisse. „Correctiv“ nutzt diese falsche Analogie, um davon abzulenken, daß wir unsere Hauptziele erreicht haben: ein gerichtliches Verbot der Falschberichterstattung über das angebliche „Geheimtreffen in Potsdam“ und ein Zurückrudern von „Correctiv“ im Hinblick auf den Kernvorwurf der angeblich geplanten Deportationen von deutschen Staatsangehörigen nach rassistischen Kriterien. Dieser wird nun nicht mehr als Tatsachenbehauptung, sondern als bloße Meinungsäußerung von „Correctiv“ interpretiert.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, daß „Correctiv“ Zugriff auf Tonmitschnitte der Konferenz hat?

Brennecke: Es ist auch nach dem Gerichtsverfahren in Hamburg nicht zu erkennen, ob und welche Quellen „Correctiv“ für die Berichterstattung hat. Bemerkenswert ist, wie vage das war, was „Correctiv“ zu den angeblichen Inhalten des Treffens vorgetragen hat: Mit viel Tamtam wurden ja acht eidesstattliche Versicherungen von „Correctiv“-Mitarbeitern vorgelegt, die aber bei genauer Betrachtung inhaltsleer, nicht zum Beweis geeignet und damit plumpe PR sind: Kein „Correctiv“-Mitarbeiter ist in den vorgelegten Versicherungen in der Lage, auch nur eine seriöse Quelle zu benennen. Es wird weder benannt, welche Zeugen es gibt, noch wird behauptet, daß diese selbst auf dem Treffen waren oder die Inhalte gehört hätten. 

Also keine Tonaufnahmen?

Brennecke: Auch davon – derlei Aufzeichnungen wären natürlich rechtswidrig – ist keine Rede. So dünn wie „Correctiv“ zum angeblichen Inhalt des Treffens vorgetragen hat, glaube ich nicht, daß dort eine Tonaufnahme vorliegt. Ich habe eher die Vermutung, daß „Correctiv“ kaum etwas zu Details in der Hand hat. Das könnte auch erklären, daß der Bericht mehr aus inszenierten Wertungen bestand als aus harten Fakten.

„Eine Diskussion über schmutzigen publizistischen Trick angestoßen“

Sie sind also zufrieden?

Brennecke: Wir haben eine Falschberichterstattung verbieten lassen. Das ist schon mal ein schöner Erfolg. Vor allem aber ist es uns gelungen, eine breite Diskussion darüber anzustoßen, wie „Correctiv“ die Deportationslegende in die Welt setzen konnte. Hunderttausende sind auch deshalb auf die Straße gegangen, weil sie glaubten, in Potsdam sei diskutiert worden, wie man Menschen – deutsche Staatsangehörige – aufgrund rassistischer Kriterien deportiert. Klar ist inzwischen, daß es diese Diskussion nie gab. Selbst die Macher von „Correctiv“ mußten aufgrund unseres Drucks zurückrudern: Sie hätten nie die Behauptung aufgestellt, daß die Deportationsdiskussion tatsächlich stattgefunden habe. Sie hätten doch nur ihre subjektive Meinung geäußert, und das dürfe man ja wohl im Rahmen der Meinungsfreiheit. 

Nur daß „Tagesschau“ und Co. auch nach dem Urteil noch unterstellen, daß es derartige Pläne gegeben habe.

Brennecke: Eben! Weil es in der Öffentlichkeit so nicht angekommen ist. Dort nahm man an, „Correctiv“ habe wirklich über Fakten berichtet. Unseren Mandanten war es natürlich wichtig, diesem falschen Eindruck entgegenzutreten. Presserechtlich hat uns „Correctiv“ aber vor eine fast unlösbare Aufgabe gestellt: Was soll man gegen juristisch nicht angreifbare bloße Meinungsäußerungen tun, die trotzdem Schaden anrichten, weil sie in der Öffentlichkeit als Tatsachenbehauptungen mißverstanden werden? Über diesen etwas schmutzigen publizistischen Trick wird nun vor allem von Juristen und Journalisten diskutiert. 

Und deshalb hat ihr Mandant Ulrich Vosgerau mit sieben eidesstattlichen Erklärungen Tatsachen untermauert, die „Correctiv“ gar nicht anders behauptet hatte?

Brennecke: Durch die Wertungen verstanden die Leser den „Correctiv“-Artikel so, als ob die Abschiebung deutscher Staatsbürger nach Kriterien wie Hautfarbe geplant worden sei. Das hat den Leuten natürlich Angst gemacht. Viele dachten nun, es sei darum gegangen, den Betreiber der Pizzeria von nebenan auszuweisen. Dieser falschen Legende konnten Vosgerau und die anderen Teilnehmer nur dadurch wirksam und glaubhaft entgegentreten, daß sie auch vor Gericht eidesstattlich versichern, daß es solche Aussagen in Potsdam nicht gab.

Den Mandant vor Gericht und der Öffentlichkeit verteidigen

Sie reden von Mißverständnissen. Als Anwalt müssen Sie sich doch um die Rechte und nicht das Ansehen Ihrer Mandanten kümmern. Machen Sie auch PR?

Brennecke: Das, was ich mache, ist das, was Rechtsanwälte bei öffentlichkeitswirksamen Verfahren schon immer gemacht haben: eine verfahrensbegleitende Kommunikation, in der der Rechtsanwalt das, was juristisch passiert, warum sich also der Mandant gegen welche Inhalte wehrt beziehungsweise warum er dies nicht macht, in die Öffentlichkeit verständlich übersetzt. Das einzig Neue ist, daß das Ganze heute auch über die neuen Medien, auch soziale Netzwerke, erfolgt.

Das heißt, die sogenante Litigation-PR ist gar nicht so neu, wie sie vielen erscheint?

Brennecke: Im Presserecht geht es heute nicht mehr ohne begleitende Kommunikation. Mandanten wehren sich gegen falsche Narrative, die durch unwahre, unvollständige oder irreführend inszenierte Berichterstattung in die Welt gesetzt werden. Die Narrative verbreiten sich in unseren heutigen Mediengesellschaft sehr schnell. Auch viele Medien unterliegen heute viel zu häufig dem Reflex, eine sensationelle Erstmeldung ohne vertiefte Prüfung sehr schnell zu multiplizieren. …

… wie die Berichte über das Potsdamer Treffen zeigen.

Brennecke: Mandanten, die sich im Kampf gegen Falschdarstellungen auf einen Anwalt verlassen, der nicht die sich schnell ausbreitenden falschen Narrative durch Erklärungen in den Medien und sozialen Netzwerken begleitet, haben den Kampf schon verloren, bevor sie ihn aufgenommen haben. Denn bis eine Aussage gerichtlich verboten wird, vergehen selbst in einem Eilverfahren häufig vier Wochen. In dieser Zeit kann der Ruf bereits unwiederbringlich ruiniert sein, wenn das juristische Vorgehen nicht öffentlich erklärt wird.

„Correctiv“ schuf eine manipulativ irreführende Inszenierung

Konnten Sie als Fachmann erkennen, daß es „Correctiv“ auch um wahrhaftige Berichterstattung ging und nicht nur darum, maximalen Schaden anzurichten? 

Brennecke: Ich sehe die Art, wie „Correctiv“ den Bericht durch eine manipulativ irreführende Inszenierung von Wertungen aufgebauscht hat, jedenfalls sehr kritisch. Früher galt die gute Regel: Seriöser Journalismus, der sich mit keiner Sache gemein macht und dadurch besonders vertrauenswürdig ist, berichtet sachlich, was ist, unterläßt Wertungen und überläßt das Denken dem Leser. 

Das beantwortet die Frage nicht wirklich. 

Brennecke: Das offengelegte „System Correctiv“ gibt dem Leser und „Correctiv“ selbst die Möglichkeit, diese Art der manipulativen Berichterstattung kritisch zu hinterfragen. 

Sie sind Grünen-Mitglied. Wie können Sie Ihre Arbeit für Herrn Vosgerau, selbst CDU-Mitglied, aber auch im AfD-Umfeld tätig, mit Ihrer Partei vereinbaren?

Brennecke: Weil ich in meiner Arbeit als Presserechtler dagegen vorgehe, daß ein Mensch durch die Presse in seinen Rechten verletzt wird. Im Rechtsstaat hat jeder einen Anspruch darauf, daß er ohne Ansehen seiner Person Rechtsschutz bekommt. Und den gibt es nur durch versierte Spezialisten.

Aber das müssen ja nicht unbedingt Sie sein…

Brennecke: Egal, wer vor mir steht, ob Papst oder Mörder, Politiker, Islamist oder Schlachthofbetreiber, ich identifiziere mich dabei nicht mit den politischen und/oder moralischen Interessen des Mandanten. Es gibt einen Unterschied dazwischen, die Haltung und innere Ansicht des Mandanten einzunehmen, und zwischen der Arbeit, die wir auf Betroffenenseite Seite leisten: nämlich der Öffentlichkeit zu erklären, welche falschen Eindrücke beanstandet werden.

Das Narrativ ist noch in der Welt. Wie geht es jetzt weiter?

Brennecke: Viele Medien haben die inszenierte Legende „Correctivs“, auf dem Potsdam-Treffen seien rassistische Ausweisungen Deutscher besprochen worden, sogar noch überspitzt. So wurden zweifelhafte Wertungen hinzugefügt, es sei im Sinne einer zweiten „Wannsee-Konferenz“ um „Deportation“ gegangen. Vieles davon sind Wertungen, die nicht justitiabel sind. Dennoch liegt hier der Ball im Feld der Medien, sich und ihre Berichterstattung mit Begriffen wie „Wannseekonferenz“ und „Deportationen“ noch einmal kritisch zu hinterfragen. Wir konzentrieren uns momentan aber zunächst darauf, gegen die Teilzurückweisung des Verbotsantrags vor dem Landgericht Hamburg Beschwerde einzulegen.

__________

Dr. Carsten Brennecke, Jahrgang 1975, ist Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Presse- und Medienrecht sowie Wettbewerbsrecht. Mit seinem Partner Ralf Höcker zusammen betreibt er eine Kanzlei in Köln.

Dieses Interview erscheint in der Ausgabe JF 11/24



Source link jungefreiheit.de