„Die Passion“ bei RTL: Wenn Trash TV auf Osterfolklore trifft

Wer hätte gedacht, dass Helene Fischer einmal zur Bibelexegese herangezogen werden würde? „Du, bist ein Phänomen/Du, manchmal unbequem“, singt Maria (Nadja Benaissa, No Angels). Und Hannes Jaenicke übersetzt: Jesus sei unbequem gewesen, da seine Botschaft „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ für alle gelte – die Zöllner, „auch die Klimakleber und Protestwähler“. Das ist zugegebenermaßen kein schlechtes Thema für eine Predigt, im Übrigen von Erzähler Jaenicke auch im selben Duktus vorgetragen auf der Bühne von „Die Passion“.

Die RTL-Liveshow aus Kassel erzählte am Mittwochabend vor Gründonnerstag die christliche Passionsgeschichte als Musicalversion mit Anleihen bei der deutschen Popmusik von den Toten Hosen bis Marius Müller-Westernhagen. Jaenicke erwähnt auch die aktuellen Krisen und das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Das Zusammenkommen am Ofen und die Erinnerung an die „größte Geschichte aller Zeiten“ solle die Menschen wieder zueinander bringen. Doch kann das gelingen, indem man Dschungel-Sternchen Larissa Marolt zur Jüngerin macht? Trash-TV trifft Osterritus.

Eine Neuinterpretation der Passionsgeschichte, „braucht das jemand?“, fragte Thomas Gottschalk als damaliger Erzähler bei der Premiere von „Die Passion“ 2022. Eine Antwort ist nicht einfach. Die Bibelgeschichte sticht aus dem RTL-Programm heraus wie ein Fischauge aus den Köstlichkeiten beim Dschungelprüfungs-Dinner. Das Anknüpfen an eine lange Erzähltradition und die archaisch anmutende Prozession mit einem Kreuz durch die Stadt sind so ganz anders als Formate wie „Love Island“ oder „Bauer sucht Frau“ – im positiven Sinne.

Doch durch die übermäßige Verkitschung wirkt die Leidensgeschichte so pathetisch und gleichzeitig so saftlos wie Scripted Reality. Auch sind zumindest Zweifel angebracht, ob die ursprüngliche Botschaft bei Glitzerkreuz und Co. überhaupt noch ansatzweise übermittelt wird. „Die Passion“ bewegt sich irgendwo zwischen „theologisch niederschwellig“ und „esoterisch“. Zum Abendmahl gibt es „So soll es bleiben“ von Ich + Ich, salbungsvolle Worte und Frutti-di-Mare-Pizza.

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In einigen Punkten ist es durchaus gelungen, die Geschichte in die Jetztzeit zu übertragen: So reisen die Jünger auf E-Scootern durch die Stadt. Wirkte 2022 die Zwangsvermählung mit deutschen Popsongs noch unfreiwillig komisch, sind die Lieder diesmal passender ausgewählt. Das Falko-Duett „Out of the Dark“ von Judas und Jesus wird zum Gegenspiel von Licht und Dunkel, und als Maria sich mit Udo Jürgens von ihrem Kind verabschiedet und ihm „Liebe ohne Leiden“ wünscht, ist das ein Gänsehautmoment.

Doch die Schauspielszenen liegen unter Krippenspielniveau und laden zum Fremdschämen ein. 2022 hatte es hohe Einschaltquoten, aber auch viel Spott und Häme für „Die Passion“ gegeben.

Die Jünger reisen auf E-Scootern durch die Stadt: René Casselly, (l-r), Joey Heindle, Stefanie Hertel und Petrus (Timur Ülker).

Quelle: Stefan Gregorowius/RTL/dpa

Auch bei der Neuauflage arbeiten sich die sozialen Netzwerke an der Show ab. „Judas war nicht nur böse, er war auch ein schlechter Rapper“, schreibt ein Zuschauer bei X, ehemals Twitter. Dabei schlägt sich Jimi Blue Ochsenknecht als Oberbösewicht vor dem Herrn besser als erwartet (ganz im Gegensatz zum blassen Ben Blümel als Jesus, der von Timur Ülker als Petrus ausgestochen wird). Auf dem Herkules in Kassel, einst erbaut aus Größenwahn, macht er aus Christina Stürmers „Nie genug“ eine Rockversion. Eine beeindruckende Kulisse.

Ehemaliger No Angel: Nadja Benaissa als Maria.

Quelle: RTL+

Dann eine Schalte zu „Angela“, die Menschen interviewt und die ein riesiges Leuchtkreuz durch Kassel trägt. Ein Mann beichtet da vor laufender Kamera seine Untreue, seine Frau mit Baby in der Trage berichtet, wie Gott ihr bei der Vergebung geholfen habe. Eine andere Frau erzählt, dass ihr Gott während der Vollnarkose erschienen sei.

Viel Spott für „Die Passion“: „Eine Leidensgeschichte, sich das vor dem TV reinzuziehen“

Die Bibelgeschichte im modernen Gewand oder doch eher ein verstörendes Schauspiel? Diese Frage stellten sich am Abend wieder viele Nutzerinnen und Nutzer, die das RTL-Event „Die Passion“ in sozialen Medien kommentierten. Die Antwort fiel recht eindeutig aus.

Sind diese Bekenntnisse mit Kreuz auf der Schulter ein Querschnitt dessen, was Glauben in Deutschland im Jahr 2024 ausmacht? Das wäre allerdings bitter. Doch dann spricht ein Polizist von Nächstenliebe und davon, dass diese ihn bei konsequenter Umsetzung arbeitslos machen könnte. Und vielleicht kommt am Ende doch ein Teil der Botschaft an.