Eben noch haben die Angehörigen des Volks der Osage ein totes Baby in die Erde ihres Reservats gebettet. In einem Klagelied trauern sie, dass ihre Kultur und ihre Sprache dem Untergang geweiht sind. Da sprudelt auch schon Öl aus dem Boden. Die jungen Männer des Stammes tanzen drumherum wie die Israeliten in der Bibel ums Goldene Kalb.

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Ein wahrhaftiger Götzendienst in der Prärie von Oklahoma, dem Reservat des Osage-Stamms, das bis eben noch als ein wertloses Stück Land galt. Sonst hätte es die US-Regierung den Osage nicht zugestanden. Jetzt schwimmen sie im Geld. Dieser Tanz, gefilmt in brillanter Zeitlupe, bei der man das fette Öl niederregnen zu spüren meint, kann nicht gut enden.

Damit ist schon in den ersten Szenen viel angerissen in Martin Scorseses Epos „Killers of the Flower Moon“. Das eigentliche Verbrechen am Volk der Osage beginnt aber erst jetzt. Dutzende von ihnen werden in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts in ihrem Reservat wegen des schwarzen Goldes getötet. Hinter den Morden stehen Weiße. In die Historie eingegangen ist der Fall als „The Osage Indian Murders“.

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Knapp dreieinhalb Stunden lässt sich US-Altmeister Scorsese Zeit für seine Geschichte. Das ist viel, aber nicht zu viel. Denn erstens ist diese Story unglaublich, und zweitens ist sie wahr. Vorlage ist das Sachbuch von Autor David Grann. Diese Verbrechen manifestieren das Unrecht an den Indigenen, das sich durch die amerikanische Geschichte zieht.

Der Alltag im Reservat erscheint wie eine verkehrte Welt: Indigene fahren die teuersten Autos und lassen sich von Weißen chauffieren. Die Ureinwohnerinnen tragen Perlen am Busen, Pelze um den Hals und Juwelen an den Händen. Die Osage, so heißt es, waren nach dem Pro-Kopf-Einkommen das reichste Volk der Erde.

Aber etwas stimmt nicht. Nicht nur, dass die Bewohnerinnen und Bewohner schon in jungen Jahren an eingeschleppten Krankheiten sterben oder auch an Diabetes, weil sie die Nahrung der Weißen nicht vertragen. Es häufen sich Morde, manchmal abgetan als Suizid, sogar dann, wenn die Kugel von hinten in einen Schädel eingedrungen ist. Eine ganze Familie wird in ihrem Haus mit Dynamit in die Luft gesprengt.

Die Angst geht um unter den Indigenen, aber da ist die von Weißen errichtete Schweigemauer. Einmal heißt es hier: „Wer einen Hund umbringt, riskiert mehr, als wenn er einen Indianer tötet.“

Diabolischer Einflüsterer

Und damit kommt William Hale (Robert De Niro) ins Spiel, von allen „King“ gerufen. Er residiert auf seiner Rinderfarm am Randes des Reservats und gefällt sich in seiner Rolle als Wohltäter und Freund der Osage. Hale spricht fließend deren Sprache. Einmal entschuldigt er sich mit sanfter Stimme „für alles, was wir euch angetan haben“.

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Hinter der Unschuldsmaske versteckt sich einer der skrupellosesten Gangster, die De Niro je gespielt hat. Scorsese holt seinen wichtigsten Mitstreiter aus der Ära des New Hollywood („Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“, „GoodFellas“) aus der Rentnerkomfortzone, in der sich De Niro mit Krawallkomödien eingerichtet hat.

Ähnliches gelang Scorsese schon 2019 beim Mafiathriller „The Irishman“. Aber dieser Film hier ist wichtiger. Finanziert wurde er nicht nur vom Studio Paramount, sondern auch vom Streamingdienst Apple. Anders hätte Scorsese kaum die 200 Millionen Dollar Produktionskosten zusammenbekommen.

Hale ist der Strippenzieher hinter den Morden, ein diabolischer Einflüsterer. Sein Plan ist perfide: Weiße heiraten sich in die Familien der Ureinwohner ein und erben bei deren unverhofftem Ableben. „Das Geld muss in die richtige Richtung fließen“, sagt der King. Überall hat er Handlanger, die für ihn die schmutzige Arbeit übernehmen.

Sein wichtigstes Werkzeug ist sein tumber Neffe, gespielt von Leonardo DiCaprio mit ewig heruntergezogenen Mundwinkeln, fettigem Haar und aufgequollenem Säufergesicht. Dieser Ernest Burkhart ist ein Kriegsveteran mit geplatztem Darm, kein schlechter Mensch, aber ein manipulierbarer. Als Taxifahrer lernt er die Indigene Mollie (Lily Gladstone) kennen – und lieben.

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Das ist der eigentliche Clou: Trotz seiner Gefühle macht sich Ernest im Auftrag des Onkels daran, Mollie mit vergiftetem Insulin langsam umzubringen. Erst injiziert er ihr die krankmachende Ladung, dann kämmt er ihr zärtlich das Haar. Die innere Zerrissenheit rettet die Figur davor, ins Lächerliche abzugleiten.

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Gier und Verbrechen in Scorseses Kino

Man kann das so freimütig erzählen, weil es auch Scorsese zusammen mit seinem erfahrenen Drehbuchautor Eric Roth („Forrest Gump“, „A Star Is Born“) tut. Es geht hier nicht darum, die Verbrecher zu entlarven. Deren Boshaftigkeit ist offenkundig.

In der letzten Kinostunde übernimmt ein aus Washington entsandter FBI-Mann (Jesse Plemons) die Aufgabe, die Täter hinter Gitter zu bringen. Jedenfalls für ein paar Jahre. Dann wurden sie begnadigt. Hale starb friedlich im Altersheim. Mollie krepierte im Alter von 50 Jahren an Diabetes, wie hier der Regisseur persönlich in einem Cameo-Auftritt verkündet. Nichts ist gut in Amerika.

Von Gier und Verbrechen in der brutalen US-Geschichte hat Scorsese oft erzählt. Hier holt der Meisterregisseur zu einer wuchtigen Abrechnung mit der rassistischen US-Vergangenheit aus, wie man sie von einem 80-Jährigen nicht unbedingt erwartet hätte.

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„Killers of the Flower Moon“, Regie: Martin Scorsese, mit Robert De Niro, Leonardo DiCaprio, Lily Gladstone, 212 Minuten, FSK 12

Wir haben diesen Artikel am 10. März 2024 neu veröffentlicht.



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