Nora Abdel-Maksouds Stück “Jeeps” über das Erben war und ist ein voller Erfolg an den Münchner Kammerspielen: witzig, klug, relevant. Jetzt hat sie ein neues Stück für das Theater geschrieben. “Doping” dreht sich um die FDP und das Thema Sorge-Arbeit und ist – wie nicht anders zu erwarten – voll überraschender Drehs und Wendungen. Vincent Redetzki spielt einen aufstrebenden FDP-Politiker, der den eigenen Ansprüchen mehr schlecht als recht genügen kann.

AZ: Herr Redetzki, Sie spielen die Hauptrolle, Lütje Wesel, einen nicht wirklich sympathischen FDP-Politiker. Wie nähern Sie sich so einer Rolle?

Vincent Redetzki: Erstmal bin ich extrem dankbar, wenn es auf der Bühne Figuren und Situationen gibt. Ich liebe es, Figuren ausfüllen und mich intensiv in sie hineinzudenken. Ich gehe da eher technisch vor, will mich nicht in diesen Menschen verwandeln. Mich interessiert das Verhältnis von der Figur zu mir und der Graubereich dazwischen, in dem wir uns treffen oder auch ganz weit auseinander stehen. Und der ist natürlich am interessantesten, je weiter die Figur von mir selbst entfernt ist.

Weil es dann mehr Reibung gibt?

Ja. Dieser Lütje Wesel ist ehrgeizig und will an die Macht kommen. Gleichzeitig hat er eine chronische Krankheit und ist deswegen menschlich und nahbar.

Was er aber gar nicht sein will…

… und komplett ablehnt. Er will keine Schwäche zeigen. Das ist für mich als Schauspieler ein totales Geschenk. Über diese vermeintliche Schwäche kann ich mich einer Figur total gut nähern, weil ich da empathisch und gedanklich andocken kann. In der Netflix-Serie “Kleo”, in der ich einen DDR-Killer spiele, war es zum Beispiel auf den ersten Blick schwieriger. Hier hat mir dann aber auch die Unbeholfenheit der Figur in ihren sozialen Kontakten den Zugang ermöglicht, also auch ihre “Schwäche”.

Diese Verletzlichkeit passt überhaupt nicht zu dem, wofür dieser Politiker und seine Partei stehen. Er glaubt an den Leistungsgedanken, will diesen verkörpern. Also kämpft er gegen seine Krankheit an, was ein paar sehr komische Szenen zur Folge hat.

Stücke von Nora Abdel-Maksoud sind natürlich erstmal immer ein Gag-Inferno. Lütje Wesel ist der Meinung, als Privatpatient stehe er über den Dingen und das normale Gesundheitssystem habe nichts mit ihm zu tun. Aber dann wird ihm klar, dass sich dieses kaputtgesparte Gesundheitssystem an ihm rächt. Da geht es nur noch um Wirtschaftlichkeit und Gewinne. Eine Krankheit, bei der niemand weiß, was es ist und wie es behandelt werden kann, passt nicht in so ein Konzept. Dafür ist keine Zeit. Er hat schon 20 verschiedene Behandlungsansätze ausprobiert und nichts funktioniert. Und daran verzweifelt er.

Haben Sie Studien an lebenden FDP-Politikern betrieben?

Auf jeden Fall. Da war Christian Lindner auf jeden Fall der Hauptkandidat. Die Figur ist an den jungen Lindner angelehnt, als der vielleicht Ende 20 war. Ein Politiker im Kreisverband, der ganz viel vorhat und bewegen will. Er steht kurz davor, die Wahl zu gewinnen nach dieser großen Abschlusskundgebung, auf die das Stück hinzielt und für die er fit gemacht werden muss.

Fit um jeden Preis.

Es gibt einen Doktor und einen älteren FDP-Kollegen, die sich an ihm abarbeiten. Der Doktor rät ihm, die Schwäche als Teil von sich selbst zu akzeptieren. Sein Mentor aber sagt, er müsse auf jeden Fall dagegen ankämpfen, das sei sicher etwas Psychosomatisches. Mit dem richtigen “Mindset” kriege man das weg. Das sind zwei völlig unterschiedliche Ansätze, die sich in diesen Figuren manifestieren.

Die FDP neigt ja dazu, merkwürdige Männergestalten an ihrer Spitze zu haben: Jürgen Möllemann, Guido Westerwelle, jetzt Christian Lindner. Das sind Typen, bei denen man das Gefühl hat, dass da im Verborgenen noch etwas schlummert, das die Öffentlichkeit nicht sehen soll.

Wann immer ich in die Nachrichten schaue, hat die FDP in der Ampel wieder irgendwas verhindert. Und das sind meist Dinge, die ich im Ansatz für richtig halte wie zum Beispiel die Bemühungen um das Verbrenner-Aus oder auf europäischer Ebene das Lieferkettengesetz, wo sich die FDP querstellt. Das macht es für mich extrem schwer, einen menschlichen Zugang zu diesen Politikern zu finden. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie man so entscheiden kann.

Was regt Sie da besonders auf?

Da geht es ganz oft extrem gegen Menschen mit weniger Geld und andere vulnerable Gruppen in der Gesellschaft – und beim Verbrenner-Aus um nicht weniger als das Fortbestehen dieser einen Erde. Und dann stellen sich da diese Männer hin und sagen “Veto”. Wie kann man hinter so einer Agenda stehen? Ganz ernsthaft. Das ist für mich extrem schwer nachzuvollziehen und hinterlässt in mir eigentlich nur Unverständnis und Wut.

Macht dieser Lütje Wesel, den Sie spielen, eine Entwicklung durch?

Er selbst hält es zwischendurch immer wieder für möglich, seine Krankheit zu akzeptieren, wird aber immer wieder von seinem Mentor gedrängt zu funktionieren. Insofern kommt er irgendwie nicht weiter. Und Geld ist definitiv bis zum Schluss am wichtigsten für ihn. Ich glaube auch, man darf es so einem FDP-Politiker nicht gönnen, dass er geläutert da raus geht. Ich finde es richtig, dass er an seinen Prinzipien festhält und versucht, sich um jeden Preis da durch zu manövrieren und politisch einigermaßen unbeschadet davon zu kommen.

Darin liegt auch die Komik: Wie er auf einem Selbstbild beharrt, das mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat.

Ab der Hälfte des Stücks wird infolge dessen noch ein anderes Thema wichtig, nämlich die Care-Arbeit, auf die er zunehmend angewiesen ist. Er rutscht im Weltbild der FDP auf die andere Seite: von denen, die funktionieren und etwas erwirtschaften, zu denen, die nichts leisten können und irgendwie “Ballast” sind. Das ist ein ganz düsteres, schreckliches und menschenverachtendes Menschenbild der FDP, dem er da selbst zum Opfer fällt.

Die Stücke von Nora-Abdel Maksoud sind sehr lustig und überdreht, erfordern aber ein unglaublich präzises Timing. Wieviel Arbeit steckt hinter der Leichtigkeit, mit der die Schlagabtausche zum Beispiel in “Jeeps” über die Bühne gingen?

Das kann manchmal ganz schön mühsam sein, diesen Rhythmus und den Slapstick zu trainieren, ja. Diese schnellen Dialoge muss man wahnsinnig oft wiederholen, um sich damit wohlzufühlen. Zwischendurch kann das auch ein bisschen an einem knabbern, wenn es nicht funktioniert und man vielleicht auch selbst das Problem ist. In “Doping” stehen fünf Menschen auf der Bühne, die im Grunde ununterbrochen reden. Da muss alles sitzen und das funktioniert nur in der Gruppe. Mir hilft es sehr, dass ich bei “Jeeps” erlebt habe, wie es am Ende aussehen kann und wie das Publikum dann reagiert. Wenn es gut läuft, werden wir auf der Bühne zu einem Körper mit mehreren Organen. Ich liebe diese Kraft, die da im gemeinsamen Spiel entsteht. Dafür mache ich diesen Beruf.

Ein Ein-Mann-Stück wäre nicht so Ihr Ding?

Es wäre zumindest eine große Herausforderung. Ich habe Joachim Meyerhoff diesen Text von Thomas Melle spielen sehen, “Die Welt im Rücken”. Ich fand es unglaublich, wie es ihm gelingt, alleine die Bühne zu füllen. Da habe ich den größten Respekt davor. Ich lebe eigentlich immer von meinen Spielpartnerinnen und -partnern.

Wieviel Spaß bringt es Ihnen, so einen humorvollen Abend zu spielen?

Sehr viel. Das liegt an der Gruppe, vor allem aber daran, dass Nora Abdel-Maksoud so eine empathische, offene, professionelle und unglaublich genau guckende Person und Regisseurin ist. Und natürlich an ihrem Humor. Sie ist da ein unglaublich gutes Barometer dafür, ob etwas funktioniert.

Premiere, Freitag, 5. April, 20 Uhr (eventuell Restkarten an der Abendkasse, wieder am 8. April)





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