Seltsame Dinge geschehen in der scheinbar öden Mondlandschaft rund um den nimmermüden Vulkan Tavuvur auf der zum Südseestaat Papua-Neuguinea gehörenden Gazellen­halbinsel: Männer haben tiefe Löcher in den schwarzen Lavasand gegraben, bis zu vier Meter tief. Dort unten ist es so warm, dass die oben herrschenden 30 Grad wie ein frisches Lüftchen wirken.

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„Wir suchen Eier“, erklärt der 30-jährige William Pidik – und zeigt ein braunes Exemplar von der Größe einer Avocado, dreimal so schwer wie ein Hühnerei. Der sechs Jahre ältere Chris zerdrückt das offenbar zerbrechliche Ei in der Hand und lässt den gelben Dotter genüsslich in seinen Mund laufen, der vom ständigen Genuss der National­droge Betelnuss eine blutrote Farbe hat.

Diese großen Eier stammen von einem der seltsamsten Vögel des Tierreichs, der sich im Verlauf der Evolution ausgerechnet in diesem lebens­feindlichen Raum sein Überleben gesichert hat. Das Tier könnte der Stoff für die Eine-Million-Euro-Frage einer Quizshow sein: Welcher Vogel hat ein schwarzes Gefieder, eine rote Gesichts­partie und einen gelben Schnabel, nutzt zum Brüten die Geothermik des vulkanischen Bodens und trägt überflüssigerweise auch noch den Namen eines deutschen Kanzlers? Richtige Antwort: das Bismarck­huhn.

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Das zur Familie der Großfußhühner gehörende Federvieh lässt, um seine körpereigenen Ressourcen zu schonen, seine Eier durch vulkanische Wärme ausbrüten, nutzt also „regenerative Energie“ und kann sich in dieser Zeit anderen wichtigen Dingen widmen: dem Nichtstun zum Beispiel. Eine sehr fortschrittliche, allerdings auch riskante Strategie, weil tierische und menschliche Eierdiebe das als Einladung verstehen müssen. Mit seinem Schnabel misst das Huhn die Temperatur des Bodens und legt das Ei genau in der Tiefe ab, wo 33 Grad vorherrschen. Weswegen der Vogel auch Thermometer­huhn genannt wird.

Quelle eines bescheidenen Wohlstands

Das kann nahe der Oberfläche sein, aber auch vier Meter unter der Erde. Die Brutpflege überlässt das Huhn, das die hier lebenden Menschen vom Volk der Tolai Ngiok nennen, der Behaglichkeit des vulkanischen Bodens. Für die professionellen Eiersucher aus dem Dorf Matupi ist das Bismarck­huhn Quelle eines bescheidenen Wohlstands. Nur Leute aus dem Dorf dürfen mit dem Segen der Provinz­regierung von East New Britain Eier suchen – und das seit mehreren Generationen. Jeder hat sein kleines Revier, das er mit Stöckchen für den nächsten Tag markiert. Ungefährlich ist die Suche jedoch nicht, mitunter stürzen die tief ins lockere Erdreich gegrabenen Löcher ein und verschütten die Sucher. Immer wieder kam es zu Todesfällen. Deshalb sitzt stets jemand am Kraterrand und passt auf.

Nachdem die Hühner morgens ihre Eier im Lavasand vergraben haben, beginnt die Arbeit der Männer. Es gibt sehr fleißige Hühner, die legen bis zu dreimal am Tag ein Ei, die meisten aber nur eins. Die trägen Hühner, zu keinen wirklichen Flugkünsten fähig, sitzen inzwischen im Unterholz, schauen mit bangen Blicken den Männern aus der Ferne bei ihrem Tun zu – und hoffen vermutlich, es bleiben genug Eier unentdeckt.

Die Eier sind kurz nach der Ablage sehr zerbrechlich. Weswegen die Männer nach dem Abtragen der oberen Bodenschicht sehr vorsichtig vorgehen, je tiefer sie graben, beinahe wie Archäologen. Erst in der Sonne wird die Schale des Eis hart. Aus nicht gefundenen Eiern schlüpfen nach mehreren Wochen dann Junge, die umgehend auf ihren eigenen zwei Beinen stehen und leben müssen. „Wir versuchen, nur frisch gelegte Eier zu entnehmen und ältere in der Erde zu belassen, damit die Population nicht ausstirbt“, sagt William, „sonst haben wir irgendwann kein Einkommen mehr.“ Die in Cambridge ansässige internationale Organisation Bird Life International geht auf ihrer Website zwar von einem rückläufigen Bestand der Bismarck­hühner aus, hält die Situation auf Neubritannien aber für „wenig bedenklich“.

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Auf der Insel geht man von einer an verschiedenen Nistgebieten lebenden Population von „mehreren Zehntausend“ Vögeln aus, wie das Standardwerk „Birds of Melanesia: Bismarcks, Solomons, Vanuatu and New Caledonia“ von Guy Dutson beschreibt. Bedroht sind verwandte Arten der Großfußhühner vor allem im Nachbarland Indonesien, weil dort ein Raubbau an der Natur stattfindet.

Ein Huhn benannt nach einem Kanzler

Die Population auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Gazellen­halbinsel kämpft seit Urzeiten mit einer immer wiederkehrenden, ganz anderen Bedrohung – und wehrt sich dagegen, indem sie sich auf das Eierlegen im Akkord spezialisiert hat. In Zeiten sich häufender Eruptionen der zahlreichen Vulkane – der Tavuvur brach nach 1994 auch 2006 und 2011 aus – verschwindet stets auch das Unterholz, was die Population vorübergehend reduziert, wie zuletzt 2011. Seit dem ist viel Buschwerk nachgewachsen, die Population an Bismack­hühnern hat entsprechend stark zugenommen.

Insgesamt 22 verschiedene Arten von Großfuß­hühnern gibt es im gesamten ostasiatischen und pazifischen Raum. Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Flugfähigkeit überwiegend verloren haben und ihre Eier nicht selbst ausbrüten – eine gewisse Bequemlichkeit ist ihnen zu eigen.

Die englische Bezeichnung des 34 Zentimeter großen Wildhuhns ist  „Melanesian Megapode“ oder „Melanesian Scrubfowl“.

Die englische Bezeichnung des 34 Zentimeter großen Wildhuhns ist „Melanesian Megapode“ oder „Melanesian Scrubfowl“.

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Neben dem Bismarck­huhn, welches der aus Bremen stammende Arzt und Ornithologe Gustav Hartlaub erstmals 1867 beschrieb, nutzen aber nur drei Unterarten vulkanische Wärme als Bruthelfer. Andere Spezies haben sich auf die Nutzung der Sonnenwärme und sogar die Wärme faulender Baumwurzeln spezialisiert.

Den deutschen Namen erhielt das schwarz-braune, etwa 34 Zentimeter große Huhn, das auf Englisch „Melanesian Megapode“ oder „Melanesian Scrubfowl“ genannt wird, während der deutschen Kolonialzeit von 1884 bis 1918, als der ehemalige deutsche Reichs­kanzler Otto von Bismarck als Namens­patron nicht nur für Inseln und Meeresteile herhalten musste – sondern auch für flugunfähige Vögel.

„Eierzeit“ beginnt im März

William, Chris und ihre Freunde graben dort, wo sie im schwarzen Sand Spuren der Bismarck­hühner finden. Zwischen zehn und 20 Eier bringt jeder der Sucher am Abend mit nach Hause. „Ein Ei bringt auf dem Markt von Rabaul 3 Kina“, sagt William, das sind etwa 75 Cent. Seine Frau hat auf dem Markt einen Stand, zwei kleine Kinder müssen ernährt werden. Bis zu 1200 Kina lassen sich so im Monat verdienen, umgerechnet etwa 300 Euro. In Papua-Neuguinea ist das ein sehr guter Verdienst.

Doch „Eierzeit“ ist nur von März bis November, beginnt also jetzt um die Osterzeit. Wenn im November der zuvor aus Südost kommende Wind in Richtung Nordwest dreht und die Regenzeit einleitet, ist die Zeit des Eiablage vorbei. Früher, da haben die Männer vom Volk der Tolai, die auf Neubritannien im Bismarck-Archipel leben, auch die Hühner gejagt. Doch die sind heute geschützt. Wer dennoch beim Jagen erwischt wird, muss 50 Kina Strafe zahlen – 13 Euro, was hier in Papua-Neuguinea eine Menge Geld ist. „Doch manchmal“, so verrät William, „stürzt das Loch ein, das sich ein Huhn selbst gegraben hat. Wenn ich es dann kurze Zeit später finde, freuen sich meine Frau und meine beiden Kinder zu Hause über ‚Ngiok chicken wings‘.“

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Eine Delikatesse in der Provinzhauptstadt

Szenenwechsel: An der Maluguna Road im nördlichen Teil Rabauls ist Markt. Unter bunten Sonnenschirmen haben überwiegend Frauen ihre Produkte ausgestellt – Bananen, Kokosnüsse, die National­droge Betelnuss, aber auch kunstvoll aufgeschichtete Pyramiden mit den Eiern der Bismarck­hühner. Hier steht die 38-jährige Coollen Darby aus Matupit. Viele Eier des Bismarck­huhns hat die Frau im dem bunten Kleid heute nicht verkauft. „Für die Menschen von hier sind die Eier etwas teuer. Die kauft man nicht jeden Tag“, sagte sie. „Aber manchmal fahren Leute aus andere Teilen Neubritanniens extra wegen der Eier hierher.“

In der Provinz­hauptstadt Kokopo gelten sie als Delikatesse. Die Ersten bauen ihre Stände schon ab. „Was ich nicht verkaufe, essen wir zu Hause“, sagt Coollen, denn die Haltbarkeit der Eier ist begrenzt.

Sehr viel Dotter, wenig Eiweiß

Die Eiersuche der Männer drüben am Fuße des Tavuvur ist ebenfalls vorbei. William und Chris waschen sich im Meer Schweiß und den dunklen Vulkanstaub vom Körper. Bevor sie mit ihrem Dugout, ihrem Kanu, quer über die Bucht nach Matupi rudern, halten sie an an einer der heißen Quellen, die sich, bevor sie sich brodelnd in die Bucht ergießt, an einer Stelle ein kleines natürliches Bassin bildet. Sie bauen aus Ästen und Pflanzen­fasern ein kleines Körbchen, in welches sie mehrere Eier legen und mit einem langen Stab in die kochend heiße Quelle hängen.

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Nach 15 Minuten Wartezeit sind die Eier gekocht. Vulkanwanderer aus anderen Regionen Neubritanniens schätzen diesen Snack für umgerechnet etwa einen Euro nach einer anstrengenden Tour. Ausländer schauen eher skeptisch zu – trauen sich nicht so recht, davon zu probieren. Und versäumen so ein kulinarisches Highlight, das kein Sterne-Restaurant der Welt in seiner Speisekarte führt: in vulkanischem Quellwasser hart gekochte Eier vom Bismarck­huhn. Sehr viel Dotter, wenig Eiweiß, ein intensiver Geschmack nach Ei mit einer feinen mineralischen Note.



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