Mühsam quält sich die Pöstlingbergbahn vom Hauptplatz in Linz rauf auf die gleichnamige Erhebung, dort bietet sich ein fantastischer Ausblick auf die oberösterreichische Landeshauptstadt. Auch die moderne Fußball-Arena ist für die Besucher aus aller Welt von oben gut zu erkennen, in der die deutschen Fußballerinnen beim Auftakt in die EM-Qualifikation gegen Österreich (3:2) ähnlich viel Mühsal bewältigen mussten. So wie die historische Bahn für die idyllische Strecke eine schmale Spur benutzt, hatte der achtfache Europameister einen schmalen Grat gewählt, um die erste Pflichtaufgabe auf dem Weg zur Endrunde 2025 in der Schweiz zu erfüllen.

Weniger die erfolgreiche Aufholjagd, sondern die unterirdische Anfangsphase sollte Thema der Nachbetrachtung werden. Warum waren die Protagonisten mit ihren schicken neuen Nationaltrikots gegenüber dem ansehnlichen Entscheidungsspiel in der Olympia-Qualifikation gegen die Niederlande (2:0) nicht wiederzuerkennen? “Wir haben nicht dagegengehalten”, mäkelte Bundestrainer Horst Hrubesch, der am Spielfeldrand beinahe von seiner Stuhllehne zu kippen drohte. Man habe sich zeitweise sogar “abkochen lassen”.

Als Eileen Michelle Campbell vom SC Freiburg unter gütiger Mithilfe indisponierter deutscher Verteidigerinnen nach nur 16 Minuten zweimal getroffen hatte und 7500 Fans bereits ihre “Österreich”-Gesänge anstimmten, versammelte die neue Kapitänin Giulia Gwinn ihre Kolleginnen im Kreis, “um ein Zeichen zu setzen”.

In der ersten halben Stunde war das Team “nicht da”

Die eindringliche Ansprache fruchtete zwar, aber hernach rätselte die 24-Jährige, warum die Wankelmütigkeit aus diesem Ensemble einfach nicht weichen will. “Die ersten 30 Minuten waren wir nicht da!” Deutschlands Beste, Mittelfeldabräumerin Lena Oberdorf, konstatierte: “Wir müssen vom Kopf her einfach schneller sein.” Als Hrubesch hernach verlangte, es müssten endlich “fünf, sechs Spielerinnen Verantwortung übernehmen”, war deutlich herauszuhören, dass sich der bald 73-Jährige mehr “Oberdorf-Typen” wünscht, die sich gegen Widerstände auch mal wenig zimperlich wehren.

Das deutsche Team bot eine Vielfalt wie die Farben der historischen Gebäude auf dem Hauptplatz – von furchtbar scheußlich bis wunderbar bezaubernd war alles dabei. Schön, wie Klara Bühl mit ihren konsequenten Abschlüssen (39. und 49.) den Gleichstand herstellte, doch selbst die Doppeltorschützin vom FC Bayern bemerkte selbstkritisch: “Wir haben es uns heute echt selbst schwer gemacht. Die ersten 30 Minuten waren echt gar nix.”

Impulse zur Wende waren in guter Hrubesch-Manier zur Pause von der Bank gekommen. Das HSV-Idol scheut nicht davor zurück, konsequent durchzugreifen. Vorn sorgte Laura Freigang anstelle der wirkungslosen Sydney Lohmann “zwischen den Räumen” für einige Belebung, hinten legte Bibiane Schulze Solano für die schwächelnde Sara Doorsoun ein bemerkenswertes Debüt hin. Wie selbstsicher die in Bad Soden aufgewachsene, beim 1. FFC Frankfurt ausgebildete Deutsch-Spanierin verteidigte, bescherte der Novizin Komplimente von allen Seiten. “Von null auf hundert” sei Schulze Solano durchgestartet, sagte Hrubesch: “Alles, was sie macht, hat Hand und Fuß. Das ist schon eine Qualität.”

“Dass wir nicht das Gelbe vom Ei spielen, das wissen die Mädels auch”

Die auf dem Platz überaus kommunikative Debütantin war hinterher “megahappy”: “Ich habe versucht, Ruhe zu vermitteln.” Der Spielaufbau sei zwar ein bisschen anders gewesen als im Verein bei Athletic Bilbao, aber die Adaption habe aus ihrer Sicht funktioniert. Und niemand aus der Familie sei nun traurig, dass es nicht der spanische Verband geworden ist, der sie zweimal vergeblich eingeladen hatte. Ihre baskische Mutter Maravillas Solano habe gemeinsam mit Schwester Natalie auf der Tribüne gesessen, weil sie ihren Einstand in der oberösterreichischen Landeshauptstadt live erleben wollten, verriet die 25-Jährige: “Sie hat vor Freude geweint.”

Durch einen von Gwinn erneut nervenstark verwandelten Strafstoß (63.) konnte am Ende auch das deutsche Team verhalten jubeln. Dass Schiedsrichterin Tess Olofsson (Schweden) “den Elfmeter nicht geben muss”, gab Hrubesch freimütig zu – dafür war die freigespielte Freigang zu bewusst bei Torhüterin Manuela Zinsberger eingefädelt. Aber es gibt halt bei den Frauen auf diesem Pflichtspiellevel (noch) keinen VAR-Check.

Dass die Akteure an der Donau unter dem Strich mit Blickrichtung auf die Olympischen Spiele (24. Juli und 11. August) und der nicht einfachen Gruppe mit Australien, USA und Marokko oder Sambia wieder Rätsel aufgaben, störte Hrubesch immens: “Dass wir nicht das Gelbe vom Ei spielen, das wissen die Mädels auch. Wir müssen es besser, abgeklärter spielen.” Immerhin: Teamgeist und Charakter, Moral und Wille stimmten. Die latenten Schwankungen führte der Lehrmeister darauf zurück, dass die Mannschaft “nicht eingespielt” sei. Zudem habe er stets unter Erfolgsdruck gestanden: “In allen Spielen ging’s ums Gewinnen. Ich konnte nicht einmal testen.”

Was sich aber in den nächsten Wochen noch ändern könnte. Gelingt gegen Island in Aachen (Dienstag 18.10 Uhr/ZDF) in der EM-Qualifikation der nächste Sieg, könnte Hrubesch gegen den schwächsten Gruppengegner Polen (31. Mai und 4. Juni) erste Experimente einstreuen. Doch ob seine offenbar von der WM in Australien nachhaltig verunsicherte Nationalelf so schnell Konstanz reinbekommt? Da zweifelt auch Hrubesch, der in Richtung des künftigen Bundestrainers Christian Wück anmerkte: “Mein Nachfolger wird noch viel Spaß haben.” Der warnende Unterton an einen erfolgreichen Nachwuchscoach war in der Heimstätte des Linzer ASK kaum zu überhören.



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