Überwältigungsästhetik trifft auf unbewältigte Geschichte: »Ulrike Maria Stuart«

Überwältigungsästhetik trifft auf unbewältigte Geschichte: »Ulrike Maria Stuart«

Foto: Eike Walkenhorst

Fast 20 Jahre ist es her, da hat Elfriede Jelinek, eine der wortmächtigsten Literatinnen des Gegenwartstheaters, ihre assoziationsreiche Auseinandersetzung mit der Roten Armee Fraktion verfasst. Ein »Königinnendrama« hat die Nobelpreisträgerin ihr Stück »Ulrike Maria Stuart« genannt, für das sie das Schiller’sche Opus als Hintergrund verwendet hat. Es ist ein Herrscherinnenstreit, von dem bei ihr erzählt wird. Ulrike Marie Meinhof gerät zu einer Stuart des 20. Jahrhunderts; Gudrun Ensslin wird zur machttrunkenen Afterkönigin Elisabeth I. Sie streiten um die Vorherrschaft in der Gruppe. Eingekerkert sind sie beide.

Dass das Deutsche Theater Berlin sich angesichts zahlloser Jelinek-Stücke ausgerechnet für jenes entschied, mag vielleicht verwundern. Umso erfreulicher, wenn Kunst und Realität einander auf Verfolgungsjagd begegnen. Einen Tag vor der Premiere wurde das frühere RAF-Mitglied Daniela Klette verhaftet. So schnell bricht die Gegenwart in die Probenrealität ein.

Aber – zu früh gefreut: In der Regieaneignung des Stoffs durch Pınar Karabulat ist ohnehin alles reine Gegenwart, bunter leerer Pop und zur hohlen Phrase degradierter Text, im immergleichen halbironischen Ton vorgetragen. An Geschichte und ihr Hineinwirken ins Heute scheint die junge Regisseurin, die gemeinsam mit Rafael Sanchez ab der übernächsten Spielzeit die Intendanz des Schauspielhauses Zürich übernehmen wird, wenig interessiert. Lieber treibt sie ein paar Einfälle über die Bühne; nur eine substanzielle Idee zur bundesrepublikanischen Geschichte oder zumindest zum Drama der Jelinek bleibt sie uns schuldig.

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Das textreiche Stück wurde zum 65-minütigen Parforceritt getrimmt. Angesiedelt in einer »Gothic-Kulissenwelt«, wie der Dramaturg Daniel Richter im Programmheft schreibt, zetern die Spielerinnen auf der Bühne. Die Meinhof irrt hier so sehr, wie es die Ensslin tut. Und überhaupt: Am Ende wird jeder revolutionäre Eifer doch nur zur terroristischen Untat. Das alles geht so über die Bühne – mit ironischer Distanz und der Ahnung der eigenen Überlegenheit –, als ginge es uns wirklich gar nichts an. Wie es so weit kommt, das hätte man als Zuschauer gerne noch erfahren. Dieses etwas verstockte Spektakel mit viel Knalleffekt liefert vieles, aber eben kein Drama, das heißt: Auseinandersetzung.

»Wir kennen keinen anderen als den bürgerlichen Umgang mit Geschichte«, heißt es von der Bühne. Und weiter: »Und wie das ausgegangen ist, wissen wir.« Allerdings. Das war, einmal mehr, deutlich zu sehen.

Nächste Vorstellungen: 8., 12. und 29. März

www.deutschestheater.de

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