Brüssel. Die anhaltenden Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich sind laut einer juristischen Prüfung eindeutig rechtswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten im Auftrag des EU-Abgeordneten Erik Marquardt (Grüne), das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) exklusiv vorliegt. „Die von Deutschland seit 2015 kontinuierlich verlängerten Binnengrenzkontrollen, insbesondere an der deutsch-österreichischen Grenze, verstoßen eindeutig gegen Unionsrecht“, heißt es in dem Gutachten des Europarechtlers Stefan Salomon von der Universität Amsterdam und zwei seiner Kollegen. Für die Kontrollen an der Grenze zu Österreich, die zuletzt offiziell wegen Terrorgefahr und Flüchtlingen verlängert worden war, bestehe keine Rechtsgrundlage. Sie seien somit rechtswidrig.

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Das EU-Recht räumt den Mitgliedsstaaten zwar sechsmonatige Grenzkontrollen in Gefahrenlagen ein. Allerdings müssen die Kontrollen das letzte Mittel sein. Das Gutachten sieht beide Kriterien nicht erfüllt. Die Bundesregierung berufe sich „auf zunehmend abstrakte Risikolagen“ statt einer echten Gefahr. Die Kontrollen an den Grenzen scheinen den Gutachtern zudem unverhältnismäßig zu sein und lediglich dazu zu dienen, eine „gesellschaftspolitisch motivierte Symbolwirkung“ zu schaffen. Zudem seien Kontrollen an den Binnengrenzen aus wissenschaftlicher Perspektive ungeeignet zur Gefahrenabwehr. Selbst die EU-Kommission verweise auf deren fragwürdige Effektivität zur Terrorabwehr. Als „geradezu abstrus“ bezeichnen die Juristen einige der Zwecke, mit denen die Grenzkontrollen begründet werden. „Sollten sich beispielsweise russische Saboteure nicht ohnehin bereits in der Bundesrepublik aufhalten, dürften sie wohl kaum die einzige zu diesem Zeitpunkt kontrollierte Binnengrenze zur Einreise wählen.“

Grünen-Europapolitiker Marquardt sagte dem RND: „Es ist Aufgabe der EU-Kommission, die Mitgliedsstaaten endlich wieder zur Einhaltung des Rechts zu drängen.“ Die Bundesregierung sollte Außengrenzstaaten dazu drängen, dass sie das Chaos und Leid an den Außengrenzen beenden und Menschen endlich ordentlich registrieren, forderte er. Stationäre Grenzkontrollen hält er jedoch bei Großereignissen wie der Fußballeuropameisterschaft für hilfreich.

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Problematisch sehen die Juristen im Gutachten auch die Dauer der Grenzkontrollen. Die Höchstdauer von sechs Monaten könne nur bei einer neuen Bedrohung verlängert werden – die habe es aber nie gegeben. Zudem zweifeln sie an der Verhältnismäßigkeit. Mildere Maßnahmen wie die Schleierfahndung würde die Regierung einfach ablehnen.

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Die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen könnte nach Einschätzung der Juristen auch zu mehr illegalen Pushbacks führen. Sie verweisen auf aktuelle Zahlen zur Zurückweisungspraxis der Bundespolizei an deutschen Grenzen. Demnach operiere die Bundespolizei in einer rechtlichen Grauzone, die sie proaktiv nutze. „So scheint die Bundespolizei etwa nicht nachzufragen, ob ein Asylantrag gestellt werden möchte“, heißt es im Gutachten. Hinzu kämen auch kommunikative Barrieren. Bereits im vergangenen Jahr hatte es Vorwürfe gegeben, dass rechtswidrige Pushbacks systematische Praxis an der Grenze zu Österreich seien. Die Bundespolizei hatte dies dementiert.

Die EU-Kommission duldet heute die Wiedereinführung der Grenzkontrollen weitgehend. Das war nicht immer so: Als Frankreich 1995 aufgrund der liberalen Drogenpolitik der Niederlande die Kontrollen an seinen Binnengrenzen zu Belgien und Luxemburg aufrechterhielt, übte Brüssel scharfe Kritik an der französischen Praxis. Die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist dagegen ausgesprochen schweigsam.



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