Das Bild vom stotternden deutsch-französischen Motor ist so abgegriffen, dass man diesen Karren am besten gleich in der Garage lässt. Das Verhältnis der beiden Länder ist ohnehin viel mehr als ein Vehikel. Es ist ein Wunder von so langer Dauer, dass die eingekehrte Selbstverständlichkeit zur Gefahr geworden ist. Freundschaften müssen gepflegt werden. Erst recht die zweier Länder, die sich nach einem verheerenden Krieg zu Aussöhnung und Frieden verpflichtet haben. Deshalb wurde es höchste Zeit, dass mit Emmanuel Macron nach 24 Jahren wieder ein französischer Präsident zum Staatsbesuch nach Deutschland gekommen ist. Drei Tage Vergewisserung der historischen Bedeutung der gemeinsamen Beziehungen. Und doch erscheint diese Staaten-Freundschaft macht- und kraftlos.

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Das liegt an Macron und Scholz – zwei Männer, die sich mehr als Konkurrenten denn als Partner begegnen. Sie könnten aus ihrer Verschiedenheit Kapital schlagen. In Paris der forsche, emotionale Kämpfer für Europa, in Berlin der fast 20 Jahre ältere Jongleur der internationalen Kompromisse. Das deutsch-französische Verhältnis könnte strotzen vor Energie. In Zeiten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und eines drohenden Rechtsrucks bei der Europawahl in knapp zwei Wochen könnte es ein Fels in der Brandung sein. Macron und Scholz müssten dafür nicht einmal Freunde werden. Aber sie müssten sich vertrauen. Und das scheint nicht der Fall zu sein.

2022 passierte der größte Fehler von Scholz und Macron

Macron testete gleich nach dem Ausscheiden von Angela Merkel, ob er Scholz den deutschen Platz als Europas einflussreichste politische Macht streitig machen könnte. Bis heute prescht er allein mit Ideen vor. Scholz hat sich von Anfang an auf Joe Biden konzentriert, den Präsidenten der USA, von denen wiederum Macron Europa unabhängiger machen will.

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Der größte Fehler von Scholz und Macron war aber wohl, dass sie im Februar 2022 getrennt nach Moskau flogen, um Wladimir Putin vom Überfall auf die Ukraine abzuhalten. Jeder bekam sein eigenes Bild mit ihm an dem langen weißen Tisch im Kreml. Aber beim ersten und für lange Zeit wichtigsten Test für die deutsch-französische Stabilität nach 16 Jahren Merkel waren Macron und Scholz durchgefallen. Sehr zur Freude Putins. Auch seither haben sie nicht so zusammengefunden, wie Europa es braucht.

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Macrons Rede vor der Dresdner Frauenkirche waren hohe Erwartungen vorausgegangen. Er hat sie leider nicht erfüllt. Es war eine gute Wahlkampfrede, obendrein phasenweise in charmantem Deutsch, mit allen wichtigen Themen von Putins Krieg über die Gefahr für Frieden und Demokratie in Europa bis hin zum Klimaschutz. Er hat an seine jüngste Sorbonne-Rede angeknüpft und wiederholt, dass Europa sterben könne, wenn es jetzt die falschen Entscheidungen treffe.

Macron hat die Chance nicht genutzt

Aber er hat die Chance als erster französischer Präsident in Ostdeutschland nicht genutzt, den tausenden jungen Zuhörerinnen und Zuhörern mehr als altbekannte Formeln des deutsch-französischen und europäischen Zusammenhalts zuzurufen. Er hat ihnen gesagt, dass sie die neue Generation sind, aber das wissen sie selbst. Er hätte ihnen erklären sollen, warum er auf sie zählt, welches Potenzial sie mitbringen und dass sie seine Hoffnung sind, weil sie freier, vernetzter und internationaler aufgewachsen sind als alle anderen zuvor. Und dass sie genau das verteidigen müssen.

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Aber in einer Rede 2018 im Bundestag hatte Macron gesagt: „Wenn Sie die Worte aus Frankreich nicht verstehen, denken Sie daran, dass Frankreich Sie liebt“. Denken wir also daran und stellen uns vor, Scholz würde der französischen Bevölkerung in ihrem Parlament eine deutsche Liebeserklärung machen. Viel mehr muss man dann gar nicht verstehen.



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