Thomas Helmer weiß, wie man Europameister wird. 1996 gewann er mit der deutschen Nationalmannschaft in England den Titel und feierte seinen größten Erfolg im DFB-Trikot. Im Interview blickt der heute 59-Jährige auf die am Freitag beginnende Heim-EM, die er als Experte in der neuen Fußballshow „Das RTL EM-Studio“ (täglich 20.15 Uhr) begleiten wird, voraus. Dabei verrät er vor dem Eröffnungsspiel zwischen der DFB-Auswahl und Schottland, was ihm bei der Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann gefällt und wo er noch Steigerungspotenzial sieht. Zudem erklärt Helmer, worauf es bei einem langen Turnier neben sportlicher Qualität noch ankommt.

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Herr Helmer, Sie begleiten die am Freitag beginnende Europameisterschaft als TV-Experte. Werden Sie die deutsche Nationalmannschaft mehr loben können oder mehr kritisieren müssen?

Thomas Helmer (59): „Ich glaube, dass ich mehr loben darf. Ich habe ein gutes Gefühl. Die Stimmung wird natürlich sehr davon abhängen, ob das erste Spiel am Freitag gegen Schottland gewonnen wird. Aber generell halte ich den deutschen Kader für gut zusammengestellt. Gerade in der Offensive haben wir tolle Fußballer dabei. Ich denke an Jamal Musiala, Leroy Sané oder Florian Wirtz. Die wirbeln zu sehen, kann schon richtig cool werden.“

So wie es derzeit aussieht, muss aber ein Spieler dieses Trios zunächst auf die Bank…

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„Ich würde alle drei spielen lassen.“

Und Kapitän Ilkay Gündogan zunächst draußen lassen?

„Das wäre die Konsequenz. Zumal Toni Kroos den kampfstarken Robert Andrich als Nebenmann braucht.“

Ihre Einschätzung zeigt, wie groß das Positionsgerangel ist. Ist die deutsche Offensive ein echtes Prunkstück?

„Ja, zumal wir dort insgesamt sehr variabel sind. Das hat man auch in den letzten Spielen gesehen, als Spieler wie Chris Führich, Deniz Undav oder Maximilian Beier eingewechselt wurden. Die können ja auch nochmal richtig Dampf machen.“

Etwas weiter hinten war es hingegen besonders bei Kontern des Gegners zuletzt etwas wackelig…

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„Ich teile diese Einschätzung. Jonathan Tah und Antonio Rüdiger haben im Verein eine sehr gute Saison gespielt, aber jetzt müssen sie zu einer Einheit werden – zusammen mit Robert Andrich, Pascal Groß oder wer auch immer die Rolle im zentralen defensiven Mittelfeld übernimmt.“

Wie beurteilen Sie nach den Formschwankungen von Manuel Neuer die Situation im Tor?

„Bei einem Torwart wiegt es nun einmal doppelt schwer, wenn er einen Fehler macht. Über das Tor gegen Griechenland müssen wir ja nicht reden. Aber eine Torwartdiskussion hielte ich für falsch. Die Vorderleute und Manu sind eingespielt. Ich selbst fand es immer sehr wichtig zu wissen, was mein Torwart macht und wie er tickt. Zudem hat Neuer eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft: Er spielt sehr gut mit. Ich weiß, dass es gegen die Ukraine diese eine schwierige Szene gab, sage aber auch: Welcher Torhüter ahnt diesen zu kurzen Rückpass voraus und steht dann da? Das sollte man nicht vergessen.“

Vor dem Hintergrund dieser Kaderanalyse: Was trauen Sie der deutschen Mannschaft in den kommenden Wochen zu?

„Wir wissen nicht so richtig, wo wir stehen – auch wenn die Qualität der einzelnen Spieler unbestritten ist. Die Frage wird sein, wie diese Stärken zusammenwirken. Super ist natürlich, dass das Turnier in Deutschland stattfindet. Ich würde das immer als einen Riesenvorteil sehen. Nur wenn die Spieler das als Druck empfinden, wird es schwierig.“

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Sie wissen, was es neben einem starken Kader braucht, um Europameister zu werden. Warum war das DFB-Team beim Triumph 1996 nicht zu schlagen und was kann sich die aktuelle Mannschaft vielleicht abschauen?

„Zu so einem Erfolg gehören neben einer defensiven Stabilität auch gewisse Schlüsselspiele. Ich denke da an unser 2:1 im Viertelfinale gegen Kroatien. Die waren klar besser. Dann fliegt Igor Stimac vom Platz und wir wissen: Okay, wir können sie doch schlagen. Man braucht dieses Gefühl, dass man in jeder Situation noch einen draufsetzen kann. So etwas entwickelt sich aber erst im Laufe eines Turniers. Bei uns hat sich 1996 der besondere Teamspirit auch durch die vielen Verletzungen ergeben – das wünsche ich der deutschen Mannschaft dieses Mal natürlich nicht.“

Blicken wir zum Abschluss kurz auf die anderen Teams. Wer ist ihr EM-Favorit?

„Es gibt keinen Top-Favoriten. Wenn ich mir aber die Franzosen anschaue, nötigt mir das schon Respekt ab. Da könnte man die zweite Elf aufstellen – die wäre nicht viel schlechter als das Stammpersonal. Aber auch hier wird das entscheidende Thema sein: Funktionieren sie als Mannschaft? Können sie ihre Egos zurückstellen? Viele haben auch England auf dem Zettel, wobei mir da die Defensive ein bisschen Sorgen macht. Wen man nennen muss, ist meiner Meinung nach Portugal. Auf die sollten man auf jeden Fall achten.“



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