Aktie rast zu neuem Rekord: „Goldenes Jahrzehnt“ bei Rüstungsaktien? Was Experten raten
Die Ukraine braucht Munition, die USA wackeln als Schutzmacht, und die Bundeswehr muss Milliarden in neues Gerät stecken. Kein Wunder, dass die Rüstungsindustrie an der Börse boomt. Doch ist es schon zu spät, um noch einzusteigen? FOCUS online hat Experten gefragt.
Geht es nach Rheinmetall -Chef Armin Papperger, wird sein Konzern bald ganz Europa mit Munition versorgen. 700.000 Artilleriegeschosse will Rheinmetall jährlich produzieren, und das schon 2025. „Wir sind dabei, unsere Kapazitäten für Pulver, wie es unter anderem für die Treibladungen von Artilleriegeschossen benötigt wird, an einzelnen Standorten zu verdoppeln oder sogar zu verdreifachen“, sagte Papperger gegenüber dem „ Handelsblatt “.
Dafür soll auch das Werk im niedersächsischen Unterlüß ausgebaut werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius und auch Kanzler Olaf Scholz waren beim Spatenstich am Montag dabei. Das klare Signal: Europa rüstet auf. Nicht nur, um der Ukraine weiter beizustehen, sondern auch, weil die USA als Schutzmacht wegfallen könnten, sollte Donald Trump noch einmal Präsident werden.
Pappergers Worte und Scholz‘ Besuch gefielen auch den Anlegern. Die Rheinmetall-Aktie, unlängst in die erste Börsenliga Dax aufgestiegen, markierte jüngst erneut ein Rekordhoch. Steil bergauf ging es auch für Hensoldt, eine Airbus-Ausgliederung, die unter anderem Radare und Laserzielsysteme herstellt.
Durch ihren Höhenflug seit Beginn des Kriegs sind die Aktien – wie auch viele andere Titel der Rüstungsbranche – in zuvor ungekannte Höhen geschossen. Beispiel Rheinmetall: Über Jahre fristete die Aktie ein eher unauffälliges Dasein im MDax , Kriegsindustrie galt als verpönt. Anfang 2022 explodierte der Kurs jedoch förmlich. Von gut 85 Euro ging es zunächst auf über 200 Euro nach oben, nun scheinen sogar 400 Euro greifbar. Plus seit Beginn des Krieges: über 270 Prozent.
Der Dax erklomm kürzlich zwar auch ein Rekordhoch, hat im gleichen Zeitraum aber nur rund zwölf Prozent hinzugewonnen. Mancher Anleger fragt sich darum, ob der Boom der Rüstungs-Aktien noch weitergehen kann, und ob ein Einstieg überhaupt noch lohnt.
Die Ukraine braucht eigentlich Tausende Geschosse mehr – pro Tag
Fakt ist: Die von Rheinmetall anvisierten Kapazitäten sind wohl leider bitter nötig. In einem Bericht des EU-Parlaments im November hieß es, die Ukraine verschieße jeden Tag bis zu 7000 Artilleriegranaten. Gegenüber „ CNN “ verlautbarte eine ukrainische Parlamentarierin, dass die Streitkräfte des Landes eigentlich sogar 10.000 Geschosse pro Tag verschießen wolle.
Alles in allem bräuchten die Ukraine wohl 1,5 Millionen Geschosse im Jahr, sagte Rheinmetall-Chef Papperger damals. Kein Wunder demnach, dass Rheinmetall die Kapazitäten ans Maximum treiben will. Zwar ist der Konzern nicht der einzige Produzent solcher Geschosse. Doch wenn nicht nur die Ukraine versorgt, sondern auch Europa insgesamt aufgerüstet werden soll, scheinen sogar die anvisierten 700.000 Geschosse pro Jahr noch wenig.
Und hierbei geht es nur um die Munition. Auch in anderen Bereichen, beispielsweise beim Fuhrpark an Panzern, besteht großer Nachholbedarf, vor allem bei der Bundesrepublik. Für die weiteren Geschäftsaussichten ist Papperger deswegen zuversichtlich. „Die 100 Milliarden Sondervermögen müssen erst einmal in Projekte umgesetzt werden. Das läuft. Wenn die Summe aufgebraucht ist, wird es eine deutliche Erhöhung geben müssen“, so Papperger gegenüber dem „Handelsblatt“.
Entweder komme daher eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets, oder ein weiteres Sondervermögen, glaubt der Manager. Europaweit ist der Trend jedenfalls klar, wie eine Auswertung der European Defense Agency zeigt. 2022 stiegen die Rüstungsinvestitionen der EU-Länder um sechs Prozent auf einen Rekord von 240 Milliarden Euro – und damit bereits das achte Jahr in Folge. 20 der 27 EU-Mitglieder erhöhten ihre Verteidigungsbudgets, sechs davon sogar um mehr als zehn Prozent.
Insofern müssen sich Rheinmetall & Co. nicht darum sorgen, dass ihnen in den kommenden Jahren das Geschäft ausgeht. Anlageexperten sehen das Potenzial bei den Kursen noch nicht ausgeschöpft.
Ein „goldenes Jahrzehnt“ für Rüstungsaktien scheint möglich
„Aus der fundamentalanalytischen Überlegung heraus sind Rüstungstitel weiterhin interessant und nicht zu teuer“, schreibt etwa David Bienbeck, Vorstand der Albrech & Cie. Vermögensverwaltung, auf Anfrage von FOCUS online. Alexander Reich, Vermögensverwalter bei der PVV AG in Essen, sieht gar die Chance auf ein „goldenes Jahrzehnt“ bei Rüstungsaktien wie Rheinmetall.
Angesichts der vielen globalen Krisenherde dürfte das Sicherheitsbedürfnis hoch bleiben. Anleger sollten dabei aber nicht nur deutsche Titel erwägen. So seien bei einigen US-Rüstungsunternehmen, wie beispielsweise Lockheed Martin oder Northrop Grumman echte „Dauerläufer-Eigenschaften“ festzustellen, so Bienbeck.
Ähnlich sieht es Vermögensverwalter Herrmann Ecker von der Bayerischen Vermögen Management AG. „Der Rheinmetall-Kurs ist bereits gut gelaufen, sollte aber weiteres Potential besitzen. Für 2024 schätzt der Konsens 19,59 Euro Gewinn je Aktie, somit ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 18,3. Berücksichtigt man das für die kommenden Jahre erwartete Wachstum von durchschnittlich 22 Prozent per annum, erscheint der Kurs keinesfalls überteuert.“
Ecker erinnert zudem an den Faktor US-Präsidentschaftswahl: „Eine erneute Präsidentschaft Donald Trumps würde vermutlich zu mehr oder weniger panischen Rüstungsanstrengungen einiger europäischer NATO-Mitglieder führen.“ Davon dürften neben Rheinmetall weitere europäische Rüstungskonzerne wie Thales , Airbus , Dassault Aviation oder BAE Systems profitieren.
„Die europäische Verteidigungspolitik kann sich nicht dauerhaft auf die USA verlassen“
Zuletzt sieht auch Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege bei der Capitell AG, trotz der Rally noch Potenzial. „Ich bin davon überzeugt, dass das Rüstungsthema in den kommenden Jahren besondere Beachtung unter den Anlegern, aber auch in der Politik finden wird. Denn spätestens seit den Aussagen von Trump am Wochenende ist klar, dass sich die europäische Verteidigungspolitik neu orientieren muss und sich nicht dauerhaft auf den ‘großen Bruder’, die USA, verlassen kann.“
In den kommenden Jahren, so Schickentanz, werden dadurch Zusatzinvestitionen im dreistelligen Milliardenbereich losgetreten. Und gerade europäischen Rüstungskonzerne werden diese Gelder zugute kommen.
Allerdings: Bei zwei Punkten müssen Anleger sich entscheiden. Zum einen ist Rheinmetall kein „reinrassiger Profiteur“, wie Schickentanz anmerkt. Das Unternehmen habe einen großen Nicht-Rüstungsbereich, den Anleger nicht vergessen dürfen. Zum anderen, und diese Frage stellt sich bei Rüstungsaktien immer wieder, müssen sich Anleger gut überlegen, ob sie mit dem Geschäft mit dem Tod Geld verdienen wollen.
Nicht wenige der von FOCUS online befragten Börsenprofis wiesen trotz der neuen Salonfähigkeit der Branche auf diesen Aspekt hin. Markus Zschaber von der Vermögensverwaltung V.M.Z. sagte sogar ganz eindeutig: „Wir, als Vermögensverwalter mit 30 Jahren Erfahrung, haben uns ganz eindeutig gegen die Investition in dieses Segment entschieden.“
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