Die Ohren sind die Augen des Gedächtnisses. Und, bei Gott, was sind das für geräuschvolle Erinnerungen, wenn wir uns in der Zeit fallen lassen, zurück ins Jahr 2006. Dieser Fußballsommer, der uns glauben ließ, er würde niemals enden. Wir waren für immer, vier volle Wochen lang. Nur mit den Details ist es manchmal kompliziert. Wer hat noch gleich die Tore geschossen beim 2:0 für Deutschland gegen Schweden? Wer war das noch, der den dritten Elfmeter gegen die Argentinier versenkte?

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Also, versuchen wir es mit den Ohren. Hören Sie das auch? Eine unaufdringliche Fanfare, sanft anschwellender Kurvengesang, von der Trommel auf Kurs gehalten, und dann, bitte schön, Abfahrt: Lu-Lu-Lu-Lukas Podolski / Lu-Lu-Lu-Lukas Podolski / Lu-Lu-Lu-Lukas Podolski / Lu-Lu-Lu-Lukas Podolski.

So herrlich banal war das, dass es zwangsläufig zum Ohrwurm wurde. Einer unter vielen in diesem Sommer 2006, der letztgültig den Beweis antrat: Fußball ohne Musik ist möglich, aber sinnlos. Während man vieles, was diese WM auf und neben dem Platz umflirrte, irgendwann verdrängt hat, sind diese Lieder geblieben. Natürlich Sportfreunde Stillers „’54, ’74, ’90, 2006″, aber auch Peter Wackels „Ladioo“ oder eben „Der Lu-Lu-Lukas-Song“ von Ex-Container-Bewohner Jürgen Milski und Libero 5. Es war das Jahr, das das Genre des turnierbezogenen Fußballlieds final etablierte. Seitdem hat sich die Musikindustrie einem festen Rhythmus unterworfen: Alle zwei Jahre flutet sie den Äther mit dem, was sie für WM- oder EM-tauglich hält.

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Und damit ab ins Jahr 2024, zur Heim-Europameisterschaft in Deutschland. Oberflächliche Bestandsaufnahme kurz vor dem Start: Auf den ersten Hinhörer herrscht noch kreative Dürre. Der große Anwärter auf den Fußballhit des Sommers ist 42 Jahre alt, trägt den Namen „Major Tom“ und stammt aus der Feder von Peter Schilling, 68, der vom Hype um seinen Klassiker überrascht wurde. Und der offizielle EM-Song, die traditionell von der Uefa in Auftrag gegebene Komposition zum Turnier, „Fire“ heißt sie, ist eine mit buttrigem Pop bestrichene Teflonnummer, von der man annehmen darf, dass sie im kollektiven Hörgedächtnis nach der Vorrunde ausscheidet.

Matze Knop und Olaf der Flipper versuchen es mit „Danke schön“ 2.0

Interessanter ist aber ohnehin das, was ohne Verbandsstempel daherkommt. Das, was der freie Markt so produziert, um die Playlists auf Grillpartys und Fanfesten zu füttern und das – nicht unwichtig – dann meistens auch irgendwie am Ballermann funktionieren muss. Das war schon bei „Lu-Lu-Lukas“ so, das war bei Mickie Krauses „Oh wie ist das schön“ so, und das ist auch heute so. Wer auf Mallorca durchfällt, hat in der Heimat selten eine Chance, altes Stimmungsnaturgesetz.

Also, ein Anruf bei zweien, die auf der härtesten Bühne der Welt regelmäßig bestehen. Und die zur EM nun gemeinsame Sache machen: Matze Knop, Comedian mit reichem Fundus an Fußballliedgut, und Olaf Malolepski, bekannt als Olaf der Flipper, früheres Mitglied der Schlager-Kultband Die Flippers, deren 2009 zum 40. Geburtstag veröffentlichtes Lied „Wir sagen danke schön“ durch einen Remix vor zwei Jahren plötzlich durch die Decke ging und ihm, dem 78 Jahre alten Malolepski, seither Auftritte im Megapark beschert. Der Song zündet selbst in den Fußballarenen, im April machten sich Fans des MSV Duisburg mit einer Parodie („Wir sagen danke schön, ab Juli fahr’n wir nach Bocholt“) den Abstieg in die Regionalliga erträglicher. Nun liefert er die Grundlage für eine „Stadionversion“, die Knop und Malolepski zusammen eingesungen haben.

„Ich finde, der Song ist überragend“, sagt Knop wenig überraschend. „Und wenn wir uns jetzt schon im Vorfeld dafür bedanken, dass wir Europameister werden, dann ist das doch eine selbsterfüllende Prophezeiung. Im Grunde ist es das beste Lied, das man machen kann.“ Die berühmte Zeile „Wir sagen danke schön, 40 Jahre Die Flippers haben sie abgeändert zu „Wir sagen danke schön, komm, wir feiern die Mannschaft“. Ein bisschen Knop-Witz dazu, ein paar Stadionchöre, damit hoffen sie auf ihren ganz eigenen Turniererfolg.

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Beide haben eine klare Vorstellung davon, was ein Lied mitbringen muss, um beim Fußball abzuräumen. „Es geht darum“, sagt Malolepski, „auf den Punkt zu kommen. Der Ball, der muss ins Tor, so einfach ist das.“ Knop ist begeistert: „Das hat er sehr schön gesagt. Das Ding muss oben rein in den Winkel. Und wir können ja schon mal verraten: Egal, ob die Mannschaft den Titel holt – Olaf und ich haben das Brandenburger Tor einfach mal gemietet für den Montag nach dem Finale. Zur Not treten wir dann da alleine auf.“

Das EM-Song-Geheimrezept: Zielstrebigkeit und Lockerheit

Sie hätten jedenfalls Material für ein abendfüllendes Fußballset beisammen. Vor allem Knop hat sich hierbei in den vergangenen 20 Jahren im Wortsinne als Titelhamster betätigt: 2006 brachte er den „Klinsmann-Song“ unters Volk, mit genialem Schwachsinn in den Lyrics („Klinsis Mutter und sein Vater / und der frisch kastrierte Kater / mögen Bierhoff mehr als Jogi Löw / denn der Löw, der guckt so dööf“). Es folgten Lieder wie „Pokal Again“ oder „Jogipalöw“ mit Andreas Gabalier. Und, natürlich, „Numero Uno“ eine Ode auf den damaligen Bayern-Stürmer Luca Toni, die textlich dem Unsinnsprinzip des Originals von 1983 folgt, „Zuppa Romana“ von Schrott nach 8, in dem die Gerichte typischer italienischer Speisekarten aneinandergereiht werden. Bei Knop geht das dann unter anderem so: „Cannelloni, Luca Toni, peperoni“.

Also, auf den Punkt kommen, eine Prise Humor, sich selbst und den Fußball nicht so bierernst nehmen – damit kommt man weit, diese Zutaten haben auch die Sportfreunde Stiller behutsam in ihrer WM-Nummer von 2006 verkocht, das hat Stefan Raab schon 1994 zur WM in den USA mit „Böörti Böörti Vogts“ auf die Spitze getrieben, und es hat beim bislang letzten deutschen EM-Titel, 1996 in England, den europaweiten Siegeszug von „Three Lions“ begünstigt. Nicht zuletzt, weil mit David Baddiel und Frank Skinner zwei Komiker an dem Lied beteiligt waren.

Übrigens alles Lieder, die auch inhaltlich vom Fußball handeln. Es geht aber auch ohne, „Auf uns“ von Andreas Bourani, das nach dem Finalsieg 2014 sogar durch das Maracanã in Rio hallte, kommt ohne ein einziges Wort zum Fußball aus. In „Zusammen“ von Fanta 4 und Clueso, dem ARD-Song zur WM 2018, fällt eher beiläufig einmal die „Mannschaft“. „Dieser Weg“ vom später falsch abgebogenen Xavier Naidoo hat rein gar nichts mit Sport zu tun – es wurde trotzdem zu einer der WM-Hymnen 2006, weil Gerald Asamoah, bei diesem Turnier so etwas wie der DFB-DJ, den Song regelmäßig in der deutschen Kabine auflegte.

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Den Trend der letzten Jahre im WM- und EM-Mainstream nimmt Matze Knop zur Kenntnis, mehr aber auch nicht. „Ich finde ja immer“, sagt er, „diese neuen Fußballlieder, die es jetzt gibt, sind ja eigentlich gar keine richtigen Fußballlieder. Das sind eigentlich nur Popsongs, die man im Vor- und Abspann bei den Übertragungen laufen lässt. „Buenos Dias Argentina“, „Mexico mi Amor“ – das waren noch richtige Fußballlieder.“

Als die Nationalmannschaft bei „Wetten, dass..?“ mit den Village People auftrat

Aber die Zeiten, zu denen sich die DFB-Kicker willfährig zum Singen mit Udo Jürgens aufreihten (1978) oder sich an der Seite von Peter Alexander alberne Sombreros aufsetzten und die Lippen zur Musik bewegten (1986), sind vorüber. Das letzte Zucken dieser Art gab es 1994, „Far Away in America“ – die Nationalelf feat. Village People, ein Irrsinn. „Wenn wir keine Fehler machen“, tönte Bundestrainer Berti Vogts kurz vor der Abreise zur USA-WM bei „Wetten, dass..?“ in Hannover, „dann werden wir den Titel holen“ – und beging den Fehler, zuzulassen, dass seine Spieler Momente später mit den Village People auf der Bühne in der Eilenriedehalle den Song darboten.

Es sind andere Zeiten, eine andere Generation. Selbst mit dem Lu-Lu-Lukas-Jahrgang haben die aktuellen Nationalspieler nicht mehr viel gemein. Was die Frage aufwirft: Fehlen die Typen, die man heute noch besingen könnte? Olaf der Flipper winkt ab durch den Hörer: „Die müssen sich entwickeln. Das wird am Ende genau so funktionieren wie bei Poldi und Schweini.“ Knop sagt: „Toni Kroos ist der erfolgreichste deutsche Fußballer, den wir jemals hatten. Also wenn das keine Rakete ist.“ Es gibt denn auch einen EM-Song über den nach dem Turnier von der Fußballbühne abtretenden 34-Jährigen, er kommt von einem Sänger namens Danne und heißt „Ohne Kroos nix los!“. Eine mediokre Ballermann-Nummer, aber immerhin.

Auch Ikke Hüftgold ist natürlich wieder am Start, geht mit „Mach ihn rein“ ins Rennen. Ansonsten gibt es erwartbare Kost: Mark Forster hat für die ARD das Lied „Wenn du mich Rufst“ produziert, die Indie-Pop-Band Provinz geht für das ZDF mit „Glaubst du“ an den Start, darin zumindest Fußballreferenzen: „Kindheit, Kickplatz, alle Kids gehen raus / Paniniheft ausverkauft“. Bei Magenta TV wird Tim Bendzko mit „Komm schon!“ zu hören sein.

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Am Ende steht und fällt aller Erfolg sowieso mit dem der deutschen Mannschaft. Matze Knop ist zumindest zuversichtlich: „Ich glaube, dass wir wirklich Favorit sind. Neben Frankreich und vielleicht noch Italien.“ Malolepski grätscht indes hinein: „Lieber Matze, denk doch auch mal an Spanien.“ Knop: „Olaf, du weißt, wir haben ja schon die spanische Version in der Hinterhand: ‚Wir sagen Gracias, komm, wir trinken Sangria‘.“

Und wenn das DFB-Team früh ausscheidet? „Dann“, sagt Knop lachend unter Verweis auf einen Flippers-Evergreen, „machen wir eine Version von ‚Weine nicht, kleine Eva‘.“



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