München – Die Kirchenglocken läuten, es ist jetzt 20 Uhr am Ostermontag. Das ist das Zeichen, auf das die 70 Kiffer auf dem Marienplatz gewartet haben. Feuer frei also. Denn die neue Regelung besagt: In Fußgängerzonen der Innenstadt darf ab 20 Uhr gekifft werden.

“Endlich keine Kriminellen mehr”: AZ bei den ersten öffentlichen Cannabis-Rauchern in München

Die Gruppe zündet also ihre Joints an und bläst dicke Rauchschwaden in die Luft. Süßlich-bitterer Geruch von Cannabis, vom Alten Rathaus bis zum Galeria-Kaufhof. In den vergangenen Jahrzehnten war das undenkbar, selbst der Besitz kleinster Mengen war verboten und die bayerische Polizei galt als besonders streng. Doch seit dem 1. April ist Gras für Erwachsene legal – und auf dem Marienplatz feiern die Münchner die neue Freiheit.

Gamze Demir vor dem Fischbrunnen. Die Münchnerin freut sich, dass sie jetzt legal kiffen darf. "Endlich haben wir die Freiheit, unser Gras zu rauchen", sagt die Krebspatientin, die mit Cannabis ihre Schmerzen lindert.
Gamze Demir vor dem Fischbrunnen. Die Münchnerin freut sich, dass sie jetzt legal kiffen darf. “Endlich haben wir die Freiheit, unser Gras zu rauchen”, sagt die Krebspatientin, die mit Cannabis ihre Schmerzen lindert.
© Max Wochinger
Gamze Demir vor dem Fischbrunnen. Die Münchnerin freut sich, dass sie jetzt legal kiffen darf. “Endlich haben wir die Freiheit, unser Gras zu rauchen”, sagt die Krebspatientin, die mit Cannabis ihre Schmerzen lindert.

von Max Wochinger

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Gamze Demir steht am Fischbrunnen und zieht an ihrem Joint. Die Münchnerin freut sich, dass sie das jetzt ganz legal darf. “Endlich haben wir die Freiheit, unser Gras zu rauchen. Jetzt sind wir keine Kriminellen mehr.” Seit einigen Jahren leidet die Personaltrainerin an Krebs, Marihuana hilft ihr, die Schmerzen zu ertragen. “Die Legalisierung war überfällig”, sagt sie.

Kiffer in Feierlaune: Zum ersten Mal legal in der Münchner Fußgängerzone Cannabis rauchen

Ein paar Meter weiter steht eine Gruppe junger THC-Raucher, auch sie sind in Feierlaune. Alle sind über 18, schwören sie. Die Eltern sollen trotzdem nicht erfahren, dass sie sich hier gerade einnebeln. Nebenan wartet eine 67-jährige Rentnerin auf den nächsten Joint – sie könnte die Großmutter der jungen Erwachsenen sein.

Die flippige Münchnerin erzählt vom Schwabing der 70er Jahre: “Da konnten wir kiffen, das war kein Problem.” Erst in den 80ern habe die Polizei angefangen, Stress zu machen. “Ich hätte nie gedacht, dass ich es noch erlebe, dass Cannabis legal wird. Ein Super-Gefühl.”

Ein junger Kiffer raucht am Abend des 1. April einen Joint vor dem Rathaus auf dem Marienplatz.
Ein junger Kiffer raucht am Abend des 1. April einen Joint vor dem Rathaus auf dem Marienplatz.
© Max Wochinger
Ein junger Kiffer raucht am Abend des 1. April einen Joint vor dem Rathaus auf dem Marienplatz.

von Max Wochinger

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Bis zuletzt war um das Gesetz zur Teillegalisierung heftig gestritten worden. Im Bundesrat, der Vertretung der Bundesländer, wollten Bayern und andere Länder den Vermittlungsausschuss anrufen – und damit das Gesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) doch noch stoppen.

Zwei Bier und ein paar Gramm Marihuana in der Tasche: Kiffer in München freuen sich über Cannabis-Legalisierung

Doch am 22. März machte der Bundesrat den Weg frei für die Legalisierung. Ein historischer Tag für Deutschland, denn das neue Gesetz leitet eine Wende in der Drogenpolitik ein. Jahrzehntelang war der Umgang mit Cannabis in den meisten Bundesländern unverändert geblieben, obwohl das Rauschmittel längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen war.

Seit Montag dürfen Erwachsene bis zu 25 Gramm Marihuana oder gepresstes Haschisch mit sich führen und bis zu 50 Gramm zu Hause aufbewahren. Drei Pflanzen sind für den Eigenanbau erlaubt. Für das Kiffen in der Öffentlichkeit gelten strenge Regeln: In Sichtweite von Schulen, Kindergärten und Spielplätzen ist der Konsum verboten.

Phil Marier (zweiter v. r.) und seine Freunde feiern das Ende der Kriminalisierung.
Phil Marier (zweiter v. r.) und seine Freunde feiern das Ende der Kriminalisierung.
© Max Wochinger
Phil Marier (zweiter v. r.) und seine Freunde feiern das Ende der Kriminalisierung.

von Max Wochinger

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Auch Phil Marier und seine Freunde haben brav bis 20 Uhr gewartet. In seiner Tasche hat er zwei Bier – und ein paar Gramm Marihuana. “Es ist absolut geil”, sagt der Unternehmer. “Ich freue mich richtig, heute hier bekifft zu sein.” Marier ist Vorsitzender des Cannabis Social Club Greeners, eines Vereins für den Anbau von Cannabis. Das neue Gesetz sieht auch die Gründung solcher gemeinschaftlicher Anbauvereine vor: Ab dem 1. Juli sollen so bis zu 500 Mitglieder pro Verein mit Gras und Haschisch versorgt werden. Mariers Verein hat bereits über 200 Mitglieder, und es werden täglich mehr.

“Alle Altersgruppen dabei”: Was Münchner zur Cannabis-Legalisierung sagen

“Alle Altersgruppen sind dabei, die Leute kommen aus allen sozialen Schichten. Wir haben Psychotherapeuten, KVR-Angestellte, Fotografen, Selbstständige”, berichtet er. Ab dem Sommer will der Cannabis-Aktivist sie mit “bestem Gras” versorgen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hingegen lehnt das Gesetz der Bundesregierung strikt ab. “Mit dem Cannabis-Gesetz schadet sich Deutschland selbst und gefährdet die Gesundheit der Bevölkerung. Unser Land ist damit auf dem Irrweg”, schrieb er am Montag auf dem Nachrichtendienst X.

Anzeige für den Anbieter X über den Consent-Anbieter verweigert

Die Staatsregierung will den Konsum in Bayern möglichst erschweren, Kiffer seien woanders besser aufgehoben, sagt Söder. Und das Innenministerium in München kündigte noch vergangene Woche auf Anfrage der AZ an, die Einhaltung der Cannabis-Regeln “selbstverständlich genau” zu überwachen und gegen Verstöße vorzugehen.

Auch eine Modemarke haben die beiden Männer schon gegründet. Sie heißt "Bayrisch Kraut".
Auch eine Modemarke haben die beiden Männer schon gegründet. Sie heißt “Bayrisch Kraut”.
© Max Wochinger
Auch eine Modemarke haben die beiden Männer schon gegründet. Sie heißt “Bayrisch Kraut”.

von Max Wochinger

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“Waren nicht vor Ort”: Wie die Polizei in München mit der Cannabis-Legalisierung umgeht

Davon ist am Montag nichts zu spüren, auf dem Marienplatz ist am Abend kein einziger uniformierter Polizist zu sehen. “Wir waren nicht vor Ort”, bestätigt später ein Sprecher des Polizeipräsidiums. Schließlich sei der Konsum und Besitz nun erlaubt. “Es gehört nicht zur Kernaufgabe der Polizei, zu kontrollieren, ob jemand mit mehr als 25 Gramm rumrennt. Und nur, weil eine Person einen Joint konsumiert, rechtfertigt das nicht, dass ihn die Polizei durchsucht”, so der Sprecher. Man wolle kein Spielverderber sein.

So registriert die Polizei in München keine einzige Straftat oder Ordnungswidrigkeit im Zusammenhang mit der Legalisierung. Am Nachmittag treffen sich sogar 30 Konsumenten zum “Ankiffen” vor der CSU-Parteizentrale in Schwabing-Freimann. Auch hier kommt es laut Polizei zu keinen Zwischenfällen. Dem Hausherrn ist aber mit der Provokation vor der Parteizentrale mächtig das Kraut ausgeschüttet worden.

Solche Konfrontationen wollen die Kiffer unter der Großhesseloher Brücke in Pullach tunlichst vermeiden. Sie treffen sich lieber zum Grillen und Kiffen an der Isar – weit weg von der nächsten Polizeiwache. “Wir wollen die Leute nicht gleich provozieren”, sagt Emanuel Burghard, der zusammen mit René Korcak zur Party eingeladen hatte. Dass Cannabis jetzt legal ist, kann Burghard noch gar nicht fassen. “Dass man beim Kiffen nicht mehr ständig über die Schulter schauen muss, ist ein wunderschönes Gefühl.”

Kontrolle wegen Kiffer-Klischees: “Habe schon viel Schikane erlebt”

René Korcak und Emanuel Burghard unter der Großhesseloher Brücke in Pullach.
René Korcak und Emanuel Burghard unter der Großhesseloher Brücke in Pullach.
© Max Wochinger
René Korcak und Emanuel Burghard unter der Großhesseloher Brücke in Pullach.

von Max Wochinger

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Sein Freund René Korcak sei deshalb schon oft von der Polizei kontrolliert worden, erzählt er. Mit seinen langen Haaren, dem Bart und seiner Kleidung – heute ein zerrissener Bademantel – bediene er so manches Klischee eines Kiffers. “Ich habe schon viel Schikane erlebt: Einmal musste ich mich bei einer Kontrolle komplett ausziehen. Ein anderes Mal sollte ich für einen Urintest auf offener Straße in einen Becher pinkeln.”

Korcak zerkleinert sein Gras in einer Mühle. Dann bröselt er es in ein Zigarettenpapier.
Korcak zerkleinert sein Gras in einer Mühle. Dann bröselt er es in ein Zigarettenpapier.
© Max Wochinger
Korcak zerkleinert sein Gras in einer Mühle. Dann bröselt er es in ein Zigarettenpapier.

von Max Wochinger

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Damit ist jetzt Schluss. Korcak und seine Freunde genießen ihr Recht auf den Cannabis-Rausch. “Das ist ein ganz wichtiger Tag heute”, sagt er und zieht noch einmal am Joint.





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