Sahra Wagenknecht hat das Fernbleiben der Abgeordneten ihrer BSW-Partei während einer Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag verteidigt. Sie habe Selenskyjs Rede nicht in einem Setting sehen wollen, “das als einzige Reaktion Standing Ovations zulässt”, sagte Wagenknecht in der ARD-Sendung maischberger. Sie kritisierte insbesondere, dass es keine Möglichkeit zur Aussprache gegeben habe. Auf die Frage, warum sie und ihre Parteikollegen nicht wie einige AfD-Abgeordnete im Plenum blieben und auf das Klatschen verzichteten, erwiderte sie, dies wäre dem BSW genauso “als Affront ausgelegt worden”.

Den ukrainischen Präsidenten kritisierte Wagenknecht. “Ich glaube nicht, dass Selenskyj für die gesamte Ukraine spricht”, sagte die BSW-Vorsitzende. “Zum Beispiel spricht er ganz offenkundig nicht für die 600.000 jungen Männer, die in die EU geflohen sind, weil sie nicht eingezogen werden wollen und weil sie nicht in diesem Krieg ihr Leben verlieren wollen, was ja sehr verständlich ist.” Wagenknecht sprach von “immer rabiateren Formen der Rekrutierung” in der Ukraine. Selenskyj warf sie zudem erneut vor, bereits vor dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 zu einer Eskalation des Konflikts mit Russland beigetragen zu haben, indem er sich den USA und der Nato angenähert habe.

Jetzt versuche Selenskyj, die Nato in den Krieg “hereinzuziehen, damit er diesen Krieg gewinnt”. Als angebliches Indiz dafür führte sie an, dass die Ukraine zweimal das Frühwarnsystem der strategischen nuklearen Streitkräfte Russlands angegriffen habe. “Das ist kein Kriegsziel, das irgendetwas mit der Verteidigung der Ukraine zu tun hat”, fügte Wagenknecht hinzu. Auch die Forderung Selenskyjs, dass die Nato der Ukraine Luftunterstützung gewähren solle, wertete die frühere Linkenpolitikerin als Beleg für ihre Aussage.  

Forderung nach Verhandlungen

Wagenknecht bekräftigte ihre Forderung, auf Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland hinzuwirken. Der russische Staatschef Wladimir Putin habe Bereitschaft für einen Waffenstillstand an der Frontlinie signalisiert, dies müsse man nun nutzen. Mit Blick auf ein erstrebenswertes Ergebnis solcher Verhandlungen sagte Wagenknecht, sie wünsche sich ein UN-beaufsichtigtes Referendum im Donbass, in dem die Menschen selbst entscheiden könnten, ob sie zur Ukraine oder Russland gehören wollten. Den Ukraine-Krieg als solchen beschrieb sie als “Stellvertreterkrieg” zwischen Russland und der Nato, für den die Ukraine und die Menschen dort geopfert würden.

Im Donbass, zu dem die ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk gehören, begann der Krieg bereits 2014 – etwa zeitgleich zur russischen Annexion der Krim. Etwa ein halbes Jahr nach dem Überfall auf die gesamte Ukraine 2022 verkündete Russland die Annexion auch von Donezk und Luhansk sowie der südukrainischen Regionen Saporischschja und Cherson.

Wagenknecht sieht Ampel für AfD-Erfolg verantwortlich

Wagenknecht bescheinigte der Ukraine, heute in einer schlechteren Verhandlungsposition zu sein als kurz nach dem russischen Angriff 2022. Die vielen Waffen, die der Westen an das Land geliefert habe, seien daher keine Hilfe. “Sie ist doch trotzdem in der Defensive”, sagte Wagenknecht über die Ukraine.

Wagenknecht äußert sich seit Langem kritisch über die Hilfen für die Ukraine. Ihre Haltung zu dem Krieg führte mit zum Bruch mit der Linkspartei, deren prominente Vertreterin sie lange war. Mit dem im Januar als Partei gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht erzielte sie nun bei der Europawahl gut sechs Prozent. Analysen zur Wählerwanderung zeigen, dass das BSW besonders viele Stimmen von der SPD und der Linken abgreifen konnte – deutlich weniger allerdings von der AfD. Zu früheren Äußerungen, wonach ihre Partei auch einer Stärkung der AfD entgegenwirken wolle, sagte Wagenknecht bei maischberger: “Wir sind vor allem angetreten, dass in unserem Land wieder bessere Politik gemacht wird.” Dass die AfD zuletzt immer stärker geworden sei, liege in der Verantwortung der Ampelkoalition.



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