Kesswil. Die Gegnerin von Brunnenmeister Remo Schnyder am Bodensee ist klein und hartnäckig: die Quagga-Muschel. Eingeschleppt wurde die etwa vier Zentimeter lange Muschel Experten zufolge vor rund zehn Jahren vermutlich aus dem Schwarzmeerraum durch Boote, an denen sie sich festgesetzt hatte. Seitdem breitet sie sich explosionsartig aus und hat bereits in zahlreichen europäischen Gewässern Fuß gefasst. Im Bodensee auch in Leitungen der Wasserwerke, die Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgen.

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Die Globalisierung führe insgesamt zu verstärkter Einwanderung gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten, warnt das Institut für Seenforschung (ISF) der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW). Manche von ihnen veränderten die heimische Fauna und Flora nachhaltig. Seit den 60er Jahren kämpft man am Bodensee zum Beispiel schon mit der Zebramuschel, auch Dreikant- oder Wandermuschel genannt, – die inzwischen von der Quagga-Muschel sogar fast verdrängt wurde.

Mit „Molchen“: So bekämpft man am Bodensee die Quagga-Muschel

Schnyders Mittel im Kampf gegen die Muschel heißt „Molchen“. Dabei werde ein Schaumstoffstöpsel – ein sogenannter Molch – durch die Wasserleitungen geschickt, sagt der Brunnenmeister im Wasserwerk des Schweizer Bodenseeortes Keswill in der Nähe von Romanshorn. Er nehme die Muscheln mit.

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Remo Schnyder, Brunnenmeister bei Regio Energie Amriswil (REA), zeigt im Seewasserwerk Kesswil in der Schweiz wie ein Molche in das Rohrleitungssystem zur Bekämpfung gegen die invasive Quagga-Muschel eingesetzt wird.

Remo Schnyder, Brunnenmeister bei Regio Energie Amriswil (REA), zeigt im Seewasserwerk Kesswil in der Schweiz wie ein Molche in das Rohrleitungssystem zur Bekämpfung gegen die invasive Quagga-Muschel eingesetzt wird.

Der „Molch“ wird mit Wasser vorangetrieben. „Damit er aus dem Werk durch die Leitungen in den See geschossen wird, braucht man 400 Kubikliter Wasser. Das ist eine relativ anständige Menge.“ Für das „Molchen“ werde eine Schleuse entleert. Dann werde der „Molch“ in das Rohr eingesetzt und später durch das Fluten der Schleuse durch die 1400 Meter lange Leitung geschossen.

Es sei ähnlich wie bei einem Torpedorohr in einem U-Boot, erklärt Schnyder. „Da gibt es ja zig Filme. Von da hatte ich die Idee.“ Es sei sehr viel Tüftelarbeit gewesen, bis es geklappt habe. Von der Stange gebe es so eine Anlage nicht. Der „Molch“ werde nach dem Vorgang im See wieder eingefangen.

Quagga-Muschel hätte beinahe Trinkwasserversorgung lahmgelegt

„Wir waren extrem im Zugzwang“, erklärt Schnyder. „Wir haben das Wasser nicht mehr aus dem See in das Werk bekommen.“ Die Muscheln hätten die Leitungen verstopft, dadurch habe das Werk nicht mehr genug Wasser aufbereiten können. Die alten Leitungen hatten einen Durchmesser von 40 Zentimetern. „Deswegen haben wir jetzt zwei 60-Zentimeter-Leitungen.“ Das Kesswiler Wasserwerk versorgt Schnyder zufolge mehr als 20.000 Menschen mit Wasser.

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Auch andere Wasserwerke rund um den Bodensee kämpfen gegen die Quagga-Muschel. In Romanshorn und Friedrichshafen etwa komme das „Molchen“ ebenfalls zum Einsatz. „Wir waren quasi die Versuchskaninchen dafür.“ Sipplingen will zudem auf Ultrafiltrationsanlagen an Uferstandorten setzen, die die kleinen Larven der Quagga-Muschel aus den technischen Anlagen und Aufbereitungsstufen fernhalten sollen.

Quagga-Muschel ist extrem hartnäckig

Invasive Muschelarten sind am Bodensee nichts Neues. Die Zebramuschel, die sich sich in den 60er Jahren angesiedelt hat, zählt zusammen mit der Quagga-Muschel zu den aggressivsten invasiven Arten. Und in nicht einmal zehn Jahren hat die Quagga-Muschel die Zebramuschel sogar fast verdrängt.

Das liegt vor allem an der Genügsamkeit und Flexibilität der Quagga-Muschel. Während die Zebramuschel bis in etwa 30 bis 40 Meter Wassertiefe siedelt, ist die Quagga-Muschel in einer Wassertiefe von bis zu 240 Metern anzutreffen, wie Biologin Petra Teiber-Sießegger vom ISF gegenüber Spektrum erklärt. Da die Trinkwasserentnahme aus dem Bodensee aus 50 bis 60 Meter Wassertiefe erfolgt, wie den Umweltdaten des Umweltministeriums Baden-Württemberg zu entnehmen ist, machte die Zebramuschel jedoch wenig Probleme.

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Weiter kann sich die Quagga-Muschel das ganze Jahr über fortpflanzen, ist an etwas niedrigere Temperaturen angepasst, kann sich auf einer Vielzahl von Untergründen festsetzen und hat sehr effiziente Mechanismen zur Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme. „Die Quagga-Muschel hat viel mehr Möglichkeiten – während die Dreikantmuschel Hartsubstrat wie Steine braucht, um sich anzusiedeln, kommt die Quagga-Muschel auch auf Feinsubstrat wie Sand vor“, erklärt Teiber-Sießegger.

Wie die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (igkb) erklärt, geben die weiblichen Muscheln Eier einfach ins Wasser ab, die männlichen Samen. Aus den befruchteten Eizellen entstehen sogenannte Veliger-Larven, die frei schwebend als Plankton im Wasser leben bis sie sich entwickeln und festsetzen. Andere Arten brauchen hierfür etwa einen Zwischenwirt. Die Muscheln können außerhalb des Wassers bis zu 90 Stunden überleben und die Larven können selbst im Kühlwasser eines Motors am Leben bleiben.

Heimische Arten am Bodensee bedroht

Auch die Nahrung ziehen Quagga-Muscheln direkt aus dem Wasser. Sie filtern große Mengen Wasser und ernähren sich vom Phytoplankton. Dieses Plankton ist allerdings auch Nahrungsquelle von Kleinkrebsen und Wasserflöhen, wodurch deren Population zurückgeht. Eben diese Zooplanktonarten wiederum sind Nahrungsgrundlage für viele Fischarten, so zum Beispiel des bekannten Felchens, das gern als Spezialität in angesiedelten Restaurants angeboten wird.

Das Problem des Artenwandels ist vielschichtig. Denn seit Jahren kämpft die Bodensee-Fauna auch mit anderen invasiven Arten, wie Stichling oder Kormoran, die ebenfalls direkte Nahrungskonkurrenten sind. Auch Muscheln haben natürlich Fressfeinde: Wasservögel. Diese können aber nur in eine begrenzte Tiefe tauchen, wodurch ein Großteil der Quagga-Muscheln ungefährdet bleibt.

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Dominic Hahn vom BUND Baden-Württemberg sieht dennoch mögliche positive Effekte: „Karpfenartige Fische wie Rotauge, Schleie, aber auch Sandfelchen nehmen die Quagga-Muschel sehr gut als Nahrung an“, erklärte er gegenüber Spektrum. Auch Blässhühner, Reiher-, Kolb- und Tauchenten profitierten von ihr. Bereits mit der Ausbreitung der Zebramuschel habe man festgestellt, dass die Zahl der überwinternden Wasservögel erheblich zugenommen habe, auf Grund des erweiterten Nahrungsangebots.

Weitere Auswirkungen auf Wirtschaft und Tourismus drohen

Das Problem der invasiven Arten ist nicht nur theoretischer Natur. So hat die Quagga-Muschel nicht nur beinahe die Trinkwasserentnahme lahmgelegt, sie stellt auch heimische Fischer vor Herausforderungen. Zum einen, da der Fischbestand schrumpft, zum anderen zerstören die scharfkantigen Muscheln, die sich über weite Strecken verteilen, die Netze – was einen außergewöhnlich hohen Verschleiß zur Folge hat.

Aus diesem Grund soll auch das im Juli 2023 gestartete „Förderprogramm für Aquakultur und Fischerei“ finanzielle Unterstützung bieten und Hilfe bei Investitionen zur Anpassung an den Klimawandel geben, sagte Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz bei Bekanntgabe. Zudem müsse sich die Fischerei am Bodensee durch die sich ändernden Umweltbedingungen zunehmend auf neue Wirtschaftsfischarten einstellen. Zum Fang anderer Arten, benötigt es dann wiederum andere Maschenweiten und Netztypen.

Auch Badegäste mag das zunehmend klare Wasser im Bodensee, das durch die starke Filtrierfähigkeit der Quagga-Muschel entsteht, auf den ersten Blick erfreuen. Da die Muscheln sich jedoch auf einer Vielzahl von Untergründen ansiedeln können, steigt auch die Verletzungsgefahr für Badegäste.

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Quagga-Muscheln unaufhaltsam – Schäden in Millionenhöhe drohen

Laut einer Studie der Universität Konstanz könnte die invasive Muschel Schäden in Millionenhöhe verursachen. Beim Projekt „SeeWandel“ arbeiten hier sieben Forschungseinrichtungen aus drei Ländern (Deutschland, Österreich und Schweiz) eng zusammen.

Denn der Bodensee ist bei weitem kein Einzelfall: Auch am Genfer See und am Bielersee sei die Quagga-Muschel schon angekommen. Der Zürichsee hingegen sei noch frei von der Quagga-Muschel. Mit Flyern werden Bootsbesitzer rund um Zürich darauf hingewiesen, Boote vor einem Einsatz im Zürichsee zu reinigen, um die Muschel nicht einzuschleppen.

Der Studie zufolge wird die Quagga-Muschel-Masse pro Quadratmeter im Bodensee, Genfer See und Bielersee in den nächsten zwei Jahrzehnten voraussichtlich um das Neun- bis Zwanzigfache zunehmen, verursacht vor allem durch eine stärkere Besiedlung der tieferen Bereiche der Seen. Dies könne zu großen Veränderungen im Ökosystem führen.

Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) schätzt, man könnte am Bodensee etwa 15 Jahre von der Situation am US-amerikanischen Lake Michigan entfernt sein. Dort habe sich die Muschel, die auch an Stegen und Booten wächst, so stark verbreitet, dass sie nun 90 Prozent der Biomasse ausmache. Der Verlauf der Ausbreitung sei in beiden Seen bisher vergleichbar.

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„In bereits betroffenen Seen kann die Dynamik aufgrund der Invasivität der Muscheln nicht mehr aufgehalten werden“, erklärt der Schweizer Quagga-Muschel-Experte Piet Spaak, der an der Konstanzer Studie beteiligt war. Der Kampf der Wasserwerke dürfte also noch lange weitergehen.

RND/vca/dpa



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