Obwohl im aktuellen Koalitionsvertrag erstmals das Wort “Blockchain” erwähnt wurde, hört man den Bundeswirtschaftsminister nur in Ausnahmefällen darüber reden. Robert Habeck hat andere Sorgen, von Heizungen bis Russland-Sanktionen. Auf der Suche nach Impulsen für Wachstum legt Habecks Ministerium nun aber erstmals eine Branchenerfassung vor.

Die Ergebnisse, die der SZ exklusiv vorliegen, zeigen, dass zwar ein Gutteil der Blockchain-Technologie in Deutschland mitentwickelt wird, es sich aber um eine absolute Nische handelt.

Blockchains sind ein mit spezieller Software auf viele Computer auf der Welt verteiltes Kontosystem. Es soll fälschungssicher Informationen nachweisen und zentrale Institutionen wie Banken ersetzen. Die bekannteste Blockchain ist jene, auf der alle Transaktionen der Kryptowährung Bitcoin aufgezeichnet werden.

Über 18 Monate lief die W3now-Studie, deren Name mit dem Begriff “Web3” – für ein neues, dezentrales Internet – spielt. Es soll dank starker Verschlüsselung und Blockchains ohne die bei Banken, sozialen Medien und Cloud-Diensten etablierten zentralen Systeme und Akteure auskommen. Mehrheitlich nahmen an der Studie Fachleute aus IT und Beratungsunternehmen teil. Einige kamen aus Finanzfirmen.

Ein guter Teil der Technologie wurde in Deutschland entwickelt

Neben bestehenden Anwendungsbereichen im Finanz- und Anlagegeschäft und der Identitätsfeststellung im Netz sahen die Befragten insbesondere in der Schaffung vertrauenswürdiger KI-Systeme einen Wachstumsbereich für Blockchain-Anwendungen.

Die Studie soll noch in dieser Legislaturperiode ein weiteres Gesetz und Fördermöglichkeiten anstoßen. In Auftrag gegeben wurde sie auf dem Höhepunkt der Euphorie um die Kryptowährungen 2022. Auf die folgten ein Kurs-Crash der Währungen und Betrugsskandale, die den Ruf der Szene beschädigt haben. Kritiker sehen in der Idee der “dezentralen” Währungen ohnehin wenig mehr als eine neue Masche zum Spekulieren, die im Netz von Investoren angetrieben wird.

Die Studie für das Hause Habeck kommt nun mitten in einem erneuten Aufschwung. Vor allem dank der Kurssteigerungen der bekannten Kryptowährungen Bitcoin und Ether hat sich der Marktwert in zwölf Monaten auf mehr als zwei Billionen US-Dollar verdoppelt.

Für Habeck durchgeführt hat die Studie der Verein Hanseatic Blockchain Institute. “Die nächste Welle der Digitalisierung wird von dezentralen Strukturen geprägt sein”, sagt Vorstand Moritz Schildt. “Unser Ziel muss sein, das Deutschland erstmals bei einer digitalen Revolution vorne dabei ist und nicht die rote Laterne trägt.”

Ein guter Teil der Technologie wurde in Deutschland entwickelt, aber fand hier nicht die nötige Unterstützung. So werden derzeit viele der Bitcoin für das Überweisungssystem Lightning aus Deutschland bereitgestellt. Damit ist das Land eine Stütze dieses Versuchs, Bitcoin als Zahlungsmittel zu etablieren. Schwerpunkte sind Gunzenhausen, Frankfurt und Saarbrücken.

Der Traum, ein Zahlungssystem ohne Zentral- und Geschäftsbanken zu bauen, mit einer Währung, die sich durch Software selbst regelt, geistert schon lange durchs Netz. Dass er noch seine Anhänger hat, zeigte sich dieser Tage am anderen Ende der Welt, in Denver. Jährlich findet dort, im durchdigitalisierten Bundesstaat Colorado, die Branchenkonferenz EthDenver statt, und zwar in einer waschechten Rodeo-Arena samt Kuhgeruch.

Die Telekom mischt auch mit

Das Bild in Denver deckt sich mit dem W3now-Ergebnis. Die Branche will sich ohne Eingriffe des Staates um ihre Technologie kümmern. Sie setzt ausschließlich auf dezentrale Internet-Technik, die nach festgeschriebenen Regeln von allen Teilnehmern einsehbar genutzt werden kann. Das soll die Systeme transparent machen. Hier geht es nicht nur um Geld, sondern auch um die Überzeugung, was und wie Geld sein sollte.

“Ich bin in der Ukraine aufgewachsen und das Scheitern der Banken, die Hyperinflation, das ist etwas, mit dem ich aufgewachsen bin”, sagte Illia Polosukhin auf der EthDenver. Seine Blockchain wird von einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in der Schweiz gemanagt, die ihn jetzt auch dafür bezahlt. Der frühere Google-Entwickler sagt, dass zentrale Systeme nur zu Monopolen der Tech-Konzerne geführt haben, “die in der Lage sind, ihre Marktposition auszunutzen, indem sie hohe Gebühren im App-Store verlangen, Produkte stark bewerben und sogar die Art und Weise manipulieren, wie wir Produkte wahrnehmen”.

Auch die Blockchain Celo, in die die Deutsche Telekom gemeinsam mit den legendären Tech-Investoren Andreessen Horowitz und Twitter-Gründer Jack Dorsey 2021 etwas Wagniskapital investiert hat, hat in Denver einen Stand. Kenner wissen: Die Telekom betreibt heute einen Teil der Infrastruktur für das Celo-Netzwerk. Zumindest theoretisch wäre die Telekom dank MMI-Technologie – einer Art SMS zum Ausführen einer bestimmter Funktionen auf dem Handy – schon heute vor den Banken am Markt. Wenn der denn abheben würde.

Doch der Massenmarkt für die Blockchain bleibt auch in den USA durch strenge Regulierung versperrt. Eine einheitliche Richtlinie, wie die europäische MiCA-Richtlinie bleibt die US-Regierung schuldig. Die EU regelt immerhin, was Anbieter von Blockchain-Produkten offenlegen müssen.

Celo setzt auf Kooperationen mit afrikanischen Banken. Auf dem Kontinent nehmen die Menschen mobile Lösungen ohnehin besser an. Bezahlen mit dem Handy war vielerorts möglich, lange bevor sich die Zahlsysteme von Apple und Google in den reichen Ländern durchsetzten.

“In Deutschland braucht es ein stärkeres Ökosystem bestehend aus Wagniskapital (VCs), Netzwerken und Orten für die Zusammenkünfte und Wissensaustausch”, sagt André Kanya, Partner beim spezialisierten Fonds W3Fund aus Berlin. “In den USA hingegen gibt es derartiges schon länger, da Risikokapitalgeber und Start-ups das dortige Ökosystem seit Dekaden befeuern.”

Währenddessen liegt die typische Größe eines der wenigen deutschen Web3-Unternehmen zwischen einem und fünf Vollzeitkräften, zeigt die Studie. Auch in großen Unternehmen arbeiten kaum je mehr als ein Dutzend Spezialisten am Thema Web3. Und noch etwas fehlt: Frauen sind im Sektor klar unterrepräsentiert.



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