Szene aus dem Unterricht an einer Grundschule

Szene aus dem Unterricht an einer Grundschule

Foto: dpa/Soeren Stache

Berliner Referendare sollen mehr unbetreut unterrichten. Ab Beginn des neuen Schuljahres, das Ende August starten wird, sollen sie statt wie bislang sieben dann zehn Stunden selbstständigen Unterricht in der Woche geben. Das geht aus einem Rundbrief hervor, den Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) an die Schulleitungen verschickt hat. Angeleiteter Unterricht und Hospitationen würden damit massiv reduziert. Zunächst hatte der »Tagesspiegel« berichtet.

Ausschlaggebend für die »schwere Entscheidung« sei der Lehrkräftemangel gewesen, heißt es in dem Rundbrief. Mit Stand Oktober vergangenen Jahres sind etwa 700 Vollzeitstellen für Lehrkräfte unbesetzt. Die Bildungssenatorin verweist darauf, dass Lehramtsanwärter in Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern nur eine vergleichsweise niedrige Zahl von Unterrichtsstunden eigenverantwortlich führen müssten.

Im Gegenzug sollen angehende Lehrkräfte an anderer Stelle mehr unterstützt werden. An Brennpunktschulen soll das Zeitbudget für die Betreuung von Studierenden im Praxissemester von zwei auf vier Stunden erhöht werden. »Die Ausbildung der Praxissemesterstudierenden wird so an voraussichtlich mehr als 100 Schulen deutlich gestärkt werden«, heißt es in dem Rundbrief. Referendare, die ihr Studium bereits abgeschlossen haben und nun den Vorbereitungsdienst absolvieren, haben davon allerdings wenig.

Zudem sollen Stunden aus dem Profilbedarf II umgeschichtet werden. Darunter fallen Wahlpflichtstunden und besondere Förderungsangebote, etwa für Schüler mit Lerndefiziten. Diese Stunden sollen nun zur Abdeckung der Stundentafel genutzt werden.

Bei Arbeitnehmervertretern stoßen die angekündigten Maßnahmen auf scharfe Kritik. »Die Bildungssenatorin legt die Axt an Lehramtsausbildung und Schulqualität an«, schreibt die Lehrergewerkschaft GEW in einer Pressemitteilung. Die Initiative »Schule muss anders« spricht gar von einem »Schlag ins Gesicht der Berliner Schulgemeinschaften«.

»Viele Lehrkräfte sagen schon jetzt, dass das Referendariat die härteste Zeit ihrer Berufslaufbahn war«, berichtet GEW-Pressesprecher Markus Hanisch. Die angehenden Lehrkräfte stünden unter großem Druck, das im Studium Erlernte in die Praxis umzusetzen. »Jede Unterrichtseinheit muss akribisch vorbereitet werden«, so Hanisch.

Den Wegfall der Förderangebote hält Hanisch für fatal. »Es wird nur noch auf die Kernkompetenzen abgezielt, alles andere fällt weg«, sagt er. »Individuelle Neigungen der Schüler können nicht mehr gefördert werden.« Auch der Bereich der innerschulischen Qualitätsentwicklung, für den die Stunden ebenfalls eingesetzt werden können, werde so geschliffen – mit schweren Konsequenzen für die Unterrichtsqualität.

Hanisch kritisiert zudem den Zeitpunkt der Bekanntmachung. »Die Planungen für das kommende Schuljahr waren an vielen Schulen eigentlich schon abgeschlossen«, sagt er. Es sei nun ein großer organisatorischer Aufwand nötig, um die Stunden umzuschichten.

»Eigentlich bräuchte es beim Referendariat eine Entlastung und keine Belastung«, sagt Julia Brüning vom Personalrat der Lehramtsanwärter. Eine Umfrage im vergangenen Sommer habe ergeben, dass sich gesundheitliche Probleme unter Referendaren häufen. Sie befürchtet, dass die Maßnahmen zu mehr Abbrüchen im Referendariat führen könnten.

Brüning befürchtet, dass der Wegfall von betreuten Unterrichtsstunden und Hospitationen die Unterrichtsqualität beeinträchtigen könnte. »Angeleiteter Unterricht ist für die Referendare sehr wertvoll«, sagt sie. »Wie soll man denn lernen, gut zu unterrichten, wenn man sich alles selbst beibringen muss?« Der Ausbildungsaspekt des Referendariats trete so in den Hintergrund. »Man ist dann nur noch auf sich allein gestellt«, sagt Brüning.

Um die Lücken bei der Unterrichtsabdeckung zu füllen, schlägt sie vor, freiwillige Mehrarbeit von Referendaren zu vergüten. »Wer sich zutraut, mehr Verantwortung zu übernehmen, soll das tun können – aber dann auch für mehr Bezahlung.« GEW-Sprecher Markus Hanisch schlägt vor, die Zahl der Klassenarbeiten zu verringern, um die Belastung durch Korrekturarbeiten zu reduzieren. »Am Ende führt aber kein Weg daran vorbei, dass mehr Lehrkräfte ausgebildet werden müssen«, so Hanisch.

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