London. In England gehen die Lichter aus – eines nach dem anderen, Straße auf Straße. Grund dafür ist, dass viele Kommunen schlicht nicht mehr wissen, wo sie das Geld hernehmen sollen, um ihren Bürgerinnen und Bürgern nachts noch heimzuleuchten. LED-Lampen und abgeschwächte Lichter gibt es natürlich auch auf der Insel schon seit Jahren, genau wie in anderen Ländern.

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Wo Energie gespart werden kann, wird nach Kräften gespart. Jetzt aber reicht es in Großbritannien mancherorts zu später Stunde nicht mal mehr für den Mindestbedarf an Beleuchtung. Empört protestieren vor allem Anwohnerinnen sogenannter stiller Stadtteile und ländlicher Gegenden dagegen, dass ihnen von ihren Gemeinderäten nach und nach das Licht abgedreht wird.

Die Kommunalverwaltungen indes wissen sich nicht anders zu helfen. Sie haben schon Büchereien und Jugendzentren geschlossen und auch Sportanlagen reihenweise dichtgemacht. 400 städtische Schwimmbäder sind seit dem Jahr 2010 in England stillgelegt worden, weil das Geld für deren Unterhalt nicht mehr reicht. Zahllose Hallen, Parks, lokale Busverbindungen, kleine Theater und Kunstgalerien haben den Betrieb in derselben Zeit eingestellt.

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Blick auf die Kathedrale von Canterbury, die älteste Kirche Englands.

Selbst das ehrwürdige Canterbury leidet unter Finanznot.

Zugleich sind 60 Prozent aller öffentlichen Toiletten geschlossen worden. Und immer häufiger ist zu hören, dass Ratten zu einer Plage geworden sind – weil man vor Ort die Kosten für die Bekämpfung von Ungeziefer einzusparen versucht. Selbst Städte wie das ehrwürdige Canterbury, der Sitz der Anglikanischen Kirche, müssen sich neuerdings mit solchen Problemen herumschlagen. In der walisischen Hauptstadt Cardiff soll der Hausmüll statt wöchentlich nur noch alle drei Wochen abgeholt werden. Im schottischen Stirling rollt der Müllwagen schon jetzt nur noch einmal im Monat an.

Was ist da im Gange an der kommunalen Basis Großbritanniens? Neun Gemeinden haben in den vergangenen fünf Jahren Bankrott anmelden müssen, fünf davon – darunter große Städte wie Birmingham und Nottingham – allein im vergangenen Jahr. Einem Fünftel aller Kommunen soll in den nächsten zwei Jahren dasselbe Schicksal drohen. Großstädte wie Bradford, aber auch ländliche Gebiete wie Somerset stehen mit auf dieser Liste. Kein Wunder: Fast 100 Milliarden Pfund hat die Gesamtverschuldung der Lokalverwaltungen erreicht.

Rigide Sparpolitik seit 2010

Hauptgrund für diese Situation ist, dass seit Beginn der rigiden Sparpolitik unter dem damaligen konservativen Premierminister David Cameron im Jahr 2010 die staatlichen Zuschüsse an die Gemeinden stetig eingeschränkt wurden. Um 40 Prozent sollen sie – unter Einberechnung der Inflation – seit damals gesunken sein.

Auf diese Zahlungen aber sind die Gemeinden ebenso angewiesen wie auf die kommunalen Steuern. Manchen Gebieten, wie Great Yarmouth im Osten Englands oder Hastings an der Südküste, steht heute gerade noch halb so viel Geld zur Verfügung wie zu Beginn der ­14-jährigen Tory-Ära. Die Konservativen hätten „seit mehr als einem Jahrzehnt mit dem Vorschlaghammer auf die Gemeinden eingedroschen“, klagt Angela Rayner, die Vizevorsitzende der oppositionellen Labour Party. Und das Resultat sehe man jetzt.

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Premierminister Rishi Sunak rät den Gemeinden, sich von Sachwerten zu trennen.

Premierminister Rishi Sunak rät den Gemeinden, sich von Sachwerten zu trennen.

Die Regierung hingegen sieht die Schuld für die Notlage bei den Gemeinden. Einige, meint der fürs Kommunale zuständige Minister Michael Gove, hätten sich auf katastrophale Investitionen und zweifelhafte kommerzielle Abenteuer eingelassen und so Gelder sinnlos verspielt.

Tatsächlich war es aber Camerons Regierung, die die Kommunen drängte, im privaten Bereich zu investieren – weil Cameron und sein Schatzkanzler George Osborne die Zuschüsse an die Gemeinden kürzen und so eigene Ausgaben streichen wollten. Das räumen heute auch besorgte konservative Stadt- und Landräte ein.

Der jetzigen Regierung unter Rishi Sunak, die auf eine neue Phase der Sparpolitik hinsteuert, passt es ins Konzept, Kommunalpolitiker der „Inkompetenz“ und der „Misswirtschaft“ zu bezichtigen und insbesondere von Labour gehaltene Städte zu Sündenböcken im politischen Spiel zu stempeln. Sollten die Gemeinden in ihrer Verzweiflung die Gemeindesteuer anheben, machen sie sich ihrerseits unbeliebt – und einige planen jetzt in Panik rekordhohe neue Steuersätze.

Höhere Kommunalbesteuerung

„Man ersetzt hier einfach zentrale Besteuerung durch Kommunalbesteuerung“, sagt Stuart Hoddinott vom renommierten Institute for Government. „Es ist die gleiche Steuerlast für individuelle Bürger, wie sie es bei einer staatlichen Steuererhöhung wäre. Es wird so nur zu einer Last, für die statt der Zentralregierung Gemeinderäte verantwortlich gemacht werden können. Es erlaubt dem Finanzminister, Steuern in der Haushaltserklärung um soundso viele Prozent zu kürzen.“ Was Finanzminister Jeremy Hunt vor Kurzem auch wieder tat.

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„Schwer unter Druck geratene Gemeinden leiden schon seit Jahren an den Regierungskürzungen“, sagt Mike Short von der Gewerkschaft Unison. „Aber die Geschwindigkeit der Kürzungen hat sich in jüngster Zeit vervielfacht. Und jetzt haben die Kommunen noch sehr viel weniger Ressourcen als zuvor.“ Selbst im Royal Borough of Windsor and Maidenhead, in dem die Königsfamilie zu Hause ist, hat man mittlerweile kein Geld mehr für die Unterstützung der örtlichen Kulturinstitutionen – und hofft darauf, dass reiche Gönner aushelfen.

Man hofft auf reiche Gönner

Dass Minister Gove den Gemeinden jetzt 600 Millionen Pfund extra zugesagt hat, um Härtefälle zu mildern, halten die meisten Experten für unzureichend. Mindestens 4 Milliarden würden gebraucht, hat ein parteiübergreifender Abgeordnetenausschuss errechnet. Kommunalpolitiker halten das Doppelte für nötig, um weitere Bankrotterklärungen abzuwenden.

Statt solchen Forderungen nachzugeben, rät Regierungschef (und Ex-Investmentbanker) Sunak den ins Trudeln geratenen Gemeinden zum schnellen Verkauf kommunaler Werte und zu radikalen Privatisierungsmaßnahmen. Schließlich, so argumentiert die Regierung, verfügten allein Englands Gemeinden über „Sachwerte“ in Höhe von 23 Milliarden Pfund.

Tatsächlich haben Dutzende lokaler und regionaler Verwaltungen, von der Stadt Leeds bis zur Grafschaft Kent, inzwischen Listen für mögliche Notverkäufe angelegt. Stadthallen, Bibliotheken, Sportstadien und noch vorhandene öffentliche Schwimmbäder gehören ebenso zu diesen „Abstoßobjekten“ wie Wohnblocks in städtischem Besitz.

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In Birmingham hat man bereits das mächtige Alexander-Stadion, in dem 2022 noch die Commonwealth-Spiele stattfanden, und die erst vor zehn Jahren eröffnete imposante zehnstöckige Stadtbibliothek, die 190 Millionen Pfund kostete, auf die Liste gesetzt. Außerdem denkt man daran, das Städtische Museum samt der Kunstgalerie, eine Reihe kostbarer alter Gebäude und diverse Ländereien zu verkaufen – und notfalls sogar das historische Rathaus der Stadt am Victoria Square.



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