Die Einladung des russischen Generalkonsuls Andrey Dronov in Leipzig wirkte harmlos. Am 13. Juni 2022 fand eine Porzellanausstellung in der protzigen Villa mit seinen Erkern in der Turmgutstraße statt. Am Rande der Veranstaltung soll sich der Chefdiplomat mit zwei illustren Gästen zu einem vertraulichen Gespräch zurückgezogen haben: Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen und seine Freundin Vitalia B. hatten seinerzeit anderes im Sinn als Porzellan. 

Der hessische Prinz sprach als einer der beiden Köpfe einer mutmaßlichen Terror-Organisation aus dem Reichsbürger-Milieu vor. Die Gruppierung, die sich „Vereinigung“ nannte, wollte offenbar den Bundestag stürmen. Ferner soll man einen Regierungsumsturz in Deutschland geplant haben. 

Prinz Reuß: Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt beginnt

Bei dem Meeting in Leipzig suchte der Prinz offenbar Verbündete bei der Russischen Föderation für die Putschpläne. Zudem soll der Adelige die Russen um Hilfe gebeten haben, den nach dem Zweiten Weltkrieg enteigneten Familienbesitz in Thüringen zurückzubekommen. So steht es in der Anklage der Bundesanwaltschaft gegen die neun mutmaßlichen Hauptakteure der „Vereinigung“, die FOCUS online einsehen konnte. 

Am heutigen Dienstag Dienstag beginnt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main der Prozess gegen die mutmaßliche Führungsclique. Die Strafvorwürfe reichen unter anderen von der Bildung einer inländischen terroristischen Vereinigung, die mörderische Anschlagspläne hegte, bis hin zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund. 

Prinz Reuß, 73, fungierte den Erkenntnissen zufolge als Chef der politischen Sparte, die sich „Rat“ nannte, und nach einem geglückten Umsturz eine Übergangsregierung bilden sollte, um nach 180 Tagen Neuwahlen einzuleiten. Die Spitze des militärischen Armes rund um den Ex-Fallschirmjäger-Offizier Rüdiger von Pescatore, 70, sowie einige ehemalige Soldaten aus der Bundeswehr-Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) sitzen ebenfalls auf der Frankfurter Anklagebank. 

Etliche Verfahrensrügen zu Prozessbeginn zu erwarten

Der Komplex stellt die Justiz vor große Herausforderungen. Die 27 Angeklagten müssen sich vor gleich drei Staatsschutzsenaten verantworten. In Stuttgart startete die Hauptverhandlung gegen weitere militärische Verschwörer bereits Ende April. Im Juni sollen die restlichen Angeklagten des politischen Zweiges in München auftreten. Insgesamt führt die Bundesanwaltschaft etwa 69 Beschuldigte auf ihrer Liste, weitere Anklagen werden folgen. Bei Razzien und Verhaftungen seit dem 7. Dezember 2022 fanden sich hunderte Schusswaffen. 

Wie FOCUS online erfuhr, sind für das Frankfurter Verfahren gegen die mutmaßliche Führungscrew gleich zu Anfang etliche Verfahrensrügen der Strafverteidiger zu erwarten. Allein schon ein Blick in die Pressemitteilung der Anwälte von Prinz Reuß lässt darauf schließen. Thomas Tschammer und Roman von Alvensleben bemängeln unter anderem die Teilung des Verfahrens „auf drei Gerichtsstandorte“. Die Juristen sehen „das Beratungsgeheimnis gefährdet“ sowie das Zustandekommen transparenter Urteilssprüche, wenn drei verschiedene OLG-Senate im selben Komplex entscheiden sollen.

Die Verteidiger sind davon überzeugt, dass sich im Prozess gegen Prinz Reuß, „die Vorwürfe relativieren werden. Wir werden beweisen, dass von Heinrich XIII. zu keiner Zeit eine Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ausging und unser Mandant Gewalt ablehnt“. 

Die Nachforschungen der hiesigen Sicherheitsbehörden legen das Gegenteil nahe. Die Anklage der Bundesanwaltschaft führt in die wirre Gedankenwelt militanter Corona-Leugner, Republikfeinde aus der Reichsbürger-Szene und sogenannter „QAnon-Anhänger“. Eine höchst gefährliche Melange, die kruden Ideologien folgte.

QAnon-Jünger glauben ernsthaft, dass pädokriminelle-satanische Eliten über einen Machtapparat, dem sogenannten „Deep State“, eine globale Diktatur anstreben. Demnach werden Kinder in unterirdischen Kellern gefoltert. Führende Köpfe wie der mutmaßliche militärische Anführer von Pescatore waren laut den Strafverfolgern davon überzeugt, dass aus den Kinderkörpern ein Elixier für das ewige Leben gewonnen würde.

Es soll mindestens fünf Treffen mit russischen Diplomaten gegeben haben

Der „Deep State“ wurde mit der Regierung um den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gleichgesetzt. Laut dieser abstrusen Doktrin kämpfte ein militärischer Geheimbund gegen den tiefen Staat. An der Spitze dieser imaginären „Allianz“ standen etwa Ex-US-Präsident Donald Trump, Russen-Diktator Wladimir Putin und der chinesische Autokrat Xi Jinping. Nachdem die „Allianz“ mit Bodeneinsatzkräften auch in Deutschland die oberste Ebene der Politiker „abgeräumt“ hätte, sollte dann der militärische Arm der „Vereinigung“ um den Angeklagten von Pescatore die weiteren „Säuberungsaktionen“ durchführen.

Im Kampf gegen den „Deep State“ deklarierten die Verschwörer Putins Russische Föderation als den geeigneten Bündnispartner. Der deutsche Wolf und der Russische Bär, so der Tenor, sollten ein unschlagbares Tandem bilden. 

Mindestens fünf Treffen der Organisation um Prinz Reuß & Co. mit russischen Diplomaten sind laut Anklage belegt. Am 22. Februar 2022 begaben sich Heinrich XIII. und sein Militärchef von Pescatore nach Bratislava zu so genannten Geheimgesprächen. Das Ergebnis bleibt nebulös. 

Am 13. Juni 2022 traf Prinz Reuß mit dem russischen Generalkonsul in Leipzig zusammen. Dabei soll der Angeklagte seinem Gesprächspartner ein Schreiben seines Anwalts übermittelt haben. Das Papier kritisierte die deutsche Justiz, die eine Rückgabe der Familiengüter verweigerte. Der Prinz ließ seinen russischen Gastgeber wissen, dass er dem deutschen Staat zutiefst misstraue und nun auf die Gerechtigkeit über ausländische Kontakte setze. 

Keine belastbaren Hinweise, dass Russen die Terror-Gruppe gesteuert haben

In seiner abstrusen Weltanschauung ging er davon aus, dass nach wie vor die alliierten Siegermächte, darunter die Russen, immer noch das Sagen in Deutschland hätten, da nach der Kapitulation des Dritten Reiches nie ein Friedensvertrag geschlossen worden sei. Insofern bat Prinz Reuß darum, dass sich eine russische Ermittlungskommission mit dem Verlust seiner Ländereien befassen möge. Zudem wollte Heinrich XIII. nach dem Putsch durch die „Vereinigung“ Friedensgespräche im Namen des Deutschen Imperiums aufnehmen. Im Anschluss an das Treffen im russischen Konsulat bekundete der Fürst begeistert, dass man ihm die Restitution seiner Güter zugesichert habe. Bis heute ist unklar, was sich tatsächlich im russischen Generalkonsulat abgespielt hat. 

Weitere Treffen mir russischen Diplomaten sind aktenkundig. So kam eine Kombattantin aus dem inneren Verschwörer-Zirkel gleich mehrfach im Herbst 2022 mit dem russischen Generalkonsul und seinem Stellvertreter in Frankfurt/Main zusammen. Trotz der dringlichen Warnung aus dem Insiderkreis, sich nur im russischen Konsulat zu treffen, um die deutschen Geheimdienste abzuschütteln, beobachteten Staatsschützer Zusammenkünfte am 4. und 5. Dezember in Baden Baden im „Atlantic“ und tags darauf im „Belle Epoque“ – beides noble Hotels. 

Dabei soll die Mitangeklagte die Frage gestellt haben, ob die die Russen bereit seien, „etwas mit zu tun“. Gemeint war laut Anklage: Die Koordination von Widerstandsgruppen, die Nutzung geheimdienstlicher Ressourcen sowie militärische Trainings von Kämpfern der „Vereinigung“ in Russland. Bisher aber fand die Bundesanwaltschaft keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Russen die Terror-Gruppe gesteuert oder auf deren Avancen eingegangen wären. 

BND geht davon aus, dass Russland über die Absichten der Reichsbürgertruppe im Bilde war

Dies belegen erfolglose Versuche der Verschwörer über einen Mittelsmann Dimitri Peskow, den Sprecher des Kreml-Chefs Putin, schriftlich zu kontaktieren. Laut den Strafverfolgern wollte Prinz Reuß über dieselbe Schiene auch Verbindungen zur berüchtigten, russischen Rockertruppe „Nachtwölfe“ knüpfen. Die Kuttenträger sind auch hierzulande aktiv. Nach Erkenntnissen der deutschen Nachrichtendienste unterhält Rocker-Präsident Alexander Sergejewitsch Saltostanow enge Verbindungen zum Präsidenten der Russischen Föderation. 

Bis heute bleibt unklar, warum die russischen Diplomaten nicht die hiesigen Behörden über die Umsturz-Pläne der Reuß-Gruppe informierten. Aus Sicht des Bundesnachrichtendienstes (BND) birgt das russische Schweigen einen einfachen Grund: Den Erkenntnissen zufolge sieht sich etwa Putins mächtiger Inlandsgeheimdienst FSB „in einer systemischen Auseinandersetzung mit den Staaten der Europäischen Union einschließlich der Bundesrepublik Deutschland“. Vor dem Hintergrund verfügen die Agenten Moskaus über einen großen Spielraum bei ihren Operationen gegen den Westen, so der BND. Dazu zählen neben der üblichen Spionage auch aktive Einflussnahmen auf deutsche Politiker. Darüber hinaus suchen Putins Spione laut BND die öffentliche Meinung für die russische Agenda zu manipulieren, um die Massen beispielsweise in Deutschland gegen zu mobilisieren. 

Als klassische Instrumente benutzen russische Dienste laut der deutschen Spionageabwehr sogenannte Proxies, speziell platzierte Einflussagenten. Auch unterhalten Moskaus Agenten Beziehungen in die Unterwelt etwa zu den „Nachtwölfe“-Rockern. Federführend koordiniert der FSB die Operationen. Laut deutschen Erkenntnissen werden die Maßnahmen unmittelbar mit dem Präsidialstab Putins abgestimmt. 

Im Fall der Kontaktaufnahmen der deutschen Umsturz-Planer konstatiert der BND, dass die Russen die mutmaßliche deutsche Terror-Truppe „jederzeit für weitere aktive Maßnahmen hätten nutzen können“. Auch wenn dies nicht geschah, so seien die Führungsfiguren der Putsch-Gruppe den Vertretern der Russischen Föderation bekannt gewesen. Der BND geht davon aus, dass der FSB über die Absichten der Reichsbürgertruppe im Bilde war und somit auch der Kreml. 





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