Was ist die Ausgangslage?
Wenn es um die gesetzliche Rente geht, gibt es in Deutschland grob gesagt drei Gruppen. Normale Arbeitnehmer, die bei Unternehmen angestellt sind, zahlen 18,6 Prozent ihres Bruttolohns als Rentenversicherungsbeitrag – finanziert zur Hälfte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Selbstständige hingegen sind nicht pflichtversichert, dürfen aber freiwillig Beiträge leisten und entsprechende Leistungen im Alter kassieren.
Ganz außen vor stehen Beamte. Sie zahlen nicht in die Rentenversicherung ein, bekommen dafür im Alter aber auch keine Rente ausgezahlt. Stattdessen sind sie dem Staat lebenslang verpflichtet und bekommen im Ruhestand ein so genanntes Ruhegehalt, dessen Höhe je nach Anzahl der Dienstjahre zwischen 35 und 71,75 Prozent des letzten Grundgehaltes liegt. Für den Höchstsatz muss ein Beamter 40 Dienstjahre vorweisen können.
Was bedeutet dieser Unterschied für die Rentenversicherung?
Da Beamte keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen – weder an die Gesetzliche Krankenversicherung noch die Rentenkasse oder die Arbeitslosenversicherung – genießen sie ein wesentlich höheres Nettogehalt. Bei einem Jahresgehalt von 50.000 Euro machen allein die Rentenbeiträge für einen normalen Arbeitnehmer schon 4650 Euro aus.
Der Rentenversicherung entgehen damit zahlreiche Einnahmen. Allerdings muss sie auch keine Ausgaben für Beamte im Ruhestand leisten. Diese beteiligen sich schlicht nicht an der sonst für alle geltenden Rentenversicherung.
Wie viele Einnahmen entgehen der Rentenversicherung dadurch?
Diese Frage ist schwer zu beantworten. Sie hängt auch davon ab, wie man das System umbaut. Würden alle Beamten von jetzt auf gleich in die Rentenversicherung wechseln, steigen die Einnahmen stärker, als wenn bisherige Beamte im Pensionssystem bleiben und nur neue Beamte sich an der gesetzlichen Rentenversicherung beteiligen müssen. Dann wird der Umbau aber auch rund 40 Jahre dauern.
Um eine grobe Schätzung des Potenzials zu geben: 2018 – das sind die neuesten Zahlen, die das Statistische Bundesamt liefert – lagen die Personalausgaben von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen bei 292,451 Milliarden Euro. Davon werden aber nicht nur Beamte, sondern auch normale Angestellte bezahlt. Die Quote an Beamten liegt bei rund 34 Prozent. Zwar dürften zwischen Beamten und Angestellten Gehaltsunterschiede bestehen, für die Einfachheit der Rechnung gehen wir aber davon aus, dass Beamte damit auch rund 34 Prozent der gesamten Personalausgaben bekommen. Das wären 98,2 Milliarden Euro pro Jahr. Würden darauf 18,6 Prozent Rentenversicherungsbeitrag fällig, wären das pro Jahr 18,3 Milliarden Euro zusätzlich für die Gesetzliche Rentenversicherung.
Wie viele Ausgaben spart sich die Rentenversicherung durch das bisherige System?
Die 18,3 Milliarden Euro zusätzlicher Einnahmen würden aber nicht unter den heutigen rund 20 Millionen Rentnern verteilt. Schließlich müssten auch die Renten der Beamten dann aus der Rentenversicherung bezahlt werden. Bei einem sofortigen Umstieg müsste die Rentenversicherung die heutigen Ruhegehälter von Beamten übernehmen. Die liegen bei durchschnittlich 3200 Euro, doppelt so hoch wie die durchschnittliche Rentenzahlung. Bei aktuell rund 1,4 Millionen Empfängern wären das also Ausgaben von 53,5 Milliarden Euro pro Jahr – ein Vielfaches der möglichen Zusatzeinnahmen.
Wird das System langsam umgestellt, würden neue Beamte, die am Ende ihrer Karriere in Rente gehen, die wesentlich geringeren Bezüge aus der Rentenversicherung wie jeder Arbeitnehmer erhalten. Da Beamte im Schnitt besser qualifiziert sind als Arbeitnehmer und höhere Gehälter beziehen, lägen auch ihre Rentenbezüge über dem Durchschnitt. Gehen wir von durchschnittlich nur 1800 statt 1600 Euro Rente im Monat nach heutiger Kaufkraft aus, lägen die Ausgaben der Rentenversicherung bei rund 30 Milliarden Euro pro Jahr – wiederum deutlich mehr als sich an Einnahmen erzielen ließe.
Hinzu kommt, dass Beamte eine höhere Lebenserwartung haben als Arbeitnehmer. Sie leben im Schnitt rund vier Jahre länger. Die Rentenversicherung müsste also für die Beamten nicht nur mehr pro Jahr zahlen, sondern auch länger als für Arbeitnehmer. Das Statistische Bundesamt schätzte die Mehrkosten dadurch auf rund 11 Prozent pro Jahr – also noch einmal zwischen 3,3 und 5,9 Milliarden Euro extra pro Jahr.
Die Zusatzausgaben der Rentenversicherung lägen also je nach Art des Systemumstiegs bei geschätzten 33,3 bis 59,4 Milliarden Euro pro Jahr – bei Mehreinnahmen von gerade einmal 18,3 Milliarden Euro.
Welche Einsparungen oder Zusatzausgaben ergeben sich daraus für den Staat?
Die Rechnung für die Rentenversicherung sieht also sehr schlecht aus. Für den Staat selbst wird es etwas komplizierter. Erst einmal müsste er sich mit der Hälfte der Rentenbeiträge beteiligen, denn schließlich ist er der Arbeitgeber der Beamten. Bund, Länder und Kommunen würden also 9,15 der 18,3 Milliarden Euro an die Rentenversicherung zahlen.
Zusätzlich müsste er aber auch das Defizit der Rentenversicherung über Steuerzuschüsse ausgleichen. Das liegt, wie oben gezeigt, bei 15 bis 41 Milliarden Euro pro Jahr.
Demgegenüber ständen Einsparungen, weil der Staat die heutigen Ruhegehälter nicht mehr zahlen müsste. Mit dem durchschnittlichen Ruhegehalt gerechnet wären das Minderausgaben von 53,5 Milliarden Euro.
Damit ergäbe sich für den Staat bei einem sofortigen Systemwechsel ein Plus von 3,35 Milliarden Euro pro Jahr. Bei einem schleichenden Wechsel wären es in 40 Jahren nach heutiger Kaufkraft gerechnet 29,4 Milliarden Euro pro Jahr. Wichtig: Diese Ersparnis würde mit einer Halbierung der Beamtenbezüge im Ruhestand erkauft.
Was würde sich für Beamte verändern?
Für Beamte selbst hätte ein Systemwechsel zwei Auswirkungen. Gehen wir davon aus, dass der Staat die Besoldung nicht entsprechend anhebt, würde der Nettoverdienst sinken. Ein Beamter mit einem Bruttogehalt von 50.000 Euro hätten dann eben 4650 Euro weniger pro Jahr in der Tasche. Sollte der Staat die Differenz zwischen den niedrigeren Renten und höheren Ruhegehältern zudem nicht ausgleichen, entspräche das einer Rentenkürzung um fast 50 Prozent im Schnitt für Beamte.
Was wäre der Vorteil, wenn Beamte in die Rentenversicherung einzahlen?
Kaum einer der Befürworter eines solchen Systemwechsel argumentiert mit finanziellen Vorteilen. Bestenfalls halten sich Einnahmen und Ausgaben die Waage, wahrscheinlich wird es aber sogar teurer mit Beamten. Die Wirtschaftsweisen gehen in ihrem Jahresgutachten aus dem Vorjahr davon aus, dass die Rentenversicherung bei einem langsamen Umstieg bis 2070 höhere Einnahmen als Ausgaben gegenüber dem heutigen Stand hätte, ab dann aber draufzahlen würde, wenn alle neuen Beamten auch in Rente gehen.
Trotzdem sind die fünf Ökonomen für einen solchen Wechsel. Sie argumentieren vor allem damit, dass das System dadurch transparenter würde. Zudem wäre es für den Staat einfacher, Rentenreformen für alle umzusetzen, weil er nicht verschiedene Systeme anpassen muss. Auch Marcel Fratzscher, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, argumentierte im FOCUS-online-Interview vergangenes Jahr mit mehr Gerechtigkeit zwischen Arbeitnehmern und Beamten. Die Linken sowie die Grünen, die eine Forderung nach Aufnahme von Beamten in die Rentenversicherung in ihren vergangenen Wahlprogrammen aufführten, geht es vor allem darum, eine solidarische Rentenversicherung für alle in Deutschland zu haben.
Was wäre der Nachteil, wenn Beamte in die Rentenversicherung einzahlen?
Der größte Nachteil einer solchen Systemänderung wären die Kosten. Wie oben vorgerechnet, könnte der Staat zwar fast 30 Milliarden Euro pro Jahr einsparen, die Rentenversicherung müsste aber deutlich mehr zusätzlich auszahlen. Am Ende überwiegen die finanziellen Nachteile.
Zudem wird der Beamtenstatus durch eine solche Reform deutlich geschwächt. Schließlich würden neue Beamte auf einen Schlag 9,3 Prozent weniger Besoldung bekommen als ihre alteingesessenen Kollegen. Zudem würden die späteren Rentenbezüge um fast 50 Prozent sinken. Nimmt der Staat das so hin, wird es schwerer werden, junge Menschen für den Staatsdienst zu gewinnen. Erhöht der Staat stattdessen die Bruttogehälter von Beamten, steigen die Kosten des Systems weiter an.
Normale Rentner hätten zudem keinen Vorteil davon, dass Beamte auch einzahlen. „Die Renten würden durch die Eingliederung der Beamten auch nicht steigen“, sagt etwa Reinhold Thiede, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung der Deutschen Rentenversicherung, im Interview mit dem Merkur. Das ist auch in Österreich nicht geschehen. Bei unserem Nachbarn wurden Beamte 2005 in die Rentenversicherung eingegliedert.
Wie wahrscheinlich ist ein Systemwechsel?
Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) hatte eine Eingliederung von Beamten in die Gesetzliche Rentenversicherung zuletzt zumindest als Option genannt. Mit den Grünen gibt es zudem eine weitere Koalitionspartei, die dafür wäre. Die FDP zu überzeugen, dürfte hingegen schwer werden. „Beamte in die Rentenkasse einzahlen zu lassen, würde die Probleme der Rentenversicherung nicht lösen“, sagte der Parteivorsitzende Christian Lindner vergangenes Jahr in einem Leser-Interview gegenüber dem Merkur.
Doch selbst, wenn die FDP auch dafür wäre, ist eine Umstellung des System unwahrscheinlich. Beamte werden in Deutschland eben nicht nur vom Bund, sondern zumeist von Ländern und Kommunen beschäftigt. Darunter fallen etwa alle Lehrer und Polizisten sowie viele Richter und andere Justizangestellte. Einer Reform müssten also alle 16 Bundesländer zustimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens eins stets querstellen wird, ist hoch. Rentenexperte Thiede rechnet deswegen auch nicht mit einer Reform: „Es wird sicher Veränderungen geben. Vielleicht geht man erste Schritte. Aber, dass alle Beamten in 20 Jahren in die Rentenversicherung einzahlen, glaube ich nicht.“