In den 90er-Jahren gab es einen Werbeclip, dem das Fernsehpublikum kaum entkommen konnte. Eine blonde Badenixe springt in der Morgensonne von einer Segeljacht, erhebt sich Sekunden später lasziven Schritts aus der Brandung und verdreht dem Verkäufer am Strandkiosk den Kopf. Am Ende kauft sie eine Sonnenbrille – mit einer Kreditkarte, die sie aus ihrem Badeanzug zieht. Den abschließenden Claim konnte seinerzeit jeder mitsingen: „Visa, die Freiheit nehm‘ ich mir.“
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Freiheit, das bedeutete aus Sicht der Werbemacher, jederzeit und überall der Konsumlust frönen zu können, ohne sich mit lästigen Dingen wie Wechselgeld herumzuplagen. Die Botschaft würde auch heute noch verfangen. Bargeld gilt als antiquiert. Ein Zahlungsmittel des 20. Jahrhunderts, das sich irgendwie in das neue Jahrtausend gerettet hat, obwohl es unpraktisch, unhygienisch und unsicher ist.
Die Vorzüge der bargeldlosen Gesellschaft lassen sich in Schweden erfahren. Man kann dort alles mit Karte oder einer Handy-App namens Swish bezahlen. Auch bei Kleinstbeträgen für eine Kugel Eis oder ein Päckchen Kaugummis schaut einen niemand schief an, wenn man die Kreditkarte zückt. Im Gegenteil: Selbst beim Flohmarkt auf der abgelegenen Schäreninsel hantiert kaum noch jemand mit Kronen-Scheinen oder Öre-Münzen.
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Zugegeben, das hat seinen Reiz. Der Alltag fühlt sich leichter und unkomplizierter an. Mobile Zahlungsdienstleister wie Apple oder Google Pay machen sogar Plastikkarten und Unterschriften überflüssig. Einfach das Handy an das Bezahlterminal halten – fertig. Oder etwa nicht?
Ein Risiko für Verbraucher
Es gibt da eine Sache, die Anhänger des bargeldlosen Bezahlens gerne übersehen: Mit dem Einlesen der Kartendaten ist der Bezahlvorgang keineswegs abgeschlossen. Er fängt im Grunde erst an. Der Händler bekommt sein Geld von der Kartenfirma, die Kartenfirma holt es sich von der Bank des Kunden, die Kundenbank belastet das Konto und so weiter. Bei jeder Transaktion werden Daten gespeichert und verarbeitet. Diese Daten sind der eigentliche Schatz der Finanzindustrie.
Sie ermöglichen präzise Aussagen über Konsumgewohnheiten und Trends, auch das Anlegen von Kundenprofilen ist kein Problem. Gehen die Menschen erst ins Kaufhaus und dann in die Fußgängerzone oder umgekehrt? Welche Waren kaufen sie im Discounter, welche im Supermarkt? Für den Handel sind Informationen dieser Art extrem wertvoll.
Für Verbraucherinnen und Verbraucher hingegen ist die Leidenschaft der Unternehmen beim Sammeln von Daten ein Risiko, dessen sich viele nicht bewusst sind. Es ist wie bei allen digitalen Services, die das Leben vermeintlich leichter machen. Man bezahlt sie doppelt – mit Geld und mit Daten.
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Was die Dienstleister über ihre Kunden in Erfahrungen bringen können, ist enorm. Wer nach 14 Tagen Schweden seine Kreditkartenabrechnung liest, bekommt eine Ahnung davon, was die Geldhäuser alles wissen. Vorlieben, Schwächen, Bewegungsprofile lassen sich aus Kreditkartenabrechnungen ohne Probleme ablesen. Auch Ernährungsgewohnheiten und mögliche gesundheitliche Folgen lassen sich anhand der Bezahldaten errechnen. Wenn dann auch noch Informationen wie Standortdaten oder der Suchmaschinenverlauf hinzukommen, ist der Weg zum gläsernen Kunden nicht mehr weit.
Wer bar zahlt, bleibt unerkannt
Kann man wollen, dass einzelne Unternehmen derart viele Informationen über einen anhäufen? Was geschieht, wenn diese Daten gehackt werden oder auf anderem Weg in falsche Hände geraten? Werden wir erpressbar? Auszuschließen ist das nicht, wie Datenlecks in der Vergangenheit immer wieder gezeigt haben.
Wer bar bezahlt, muss sich um all diese Dinge keine Sorgen machen. In dem Moment, in dem die Kasse schließt, ist der Bezahlvorgang für den Kunden vorbei. Der Einkäufer bleibt unerkannt. Man muss nicht an illegale Geschäfte oder zweifelhafte Amüsements denken, um darin einen Vorteil zu sehen. Es reicht ja schon, wenn man nicht will, dass die Partnerin oder der Partner herausbekommt, was man zum Geburtstag besorgt und wie viel man dafür ausgegeben hat.
Ein Euro-Schein übersteht auch einen Vollwaschgang
Es lassen sich unzählige weitere Beispiele finden, die für Bargeld- statt für Plastikzahlungen sprechen. Das Haushalten ist leichter, die Akzeptanz höher, die technische Anfälligkeit geringer. Und es gibt sogar Gelegenheiten, bei denen Bargeld auch noch sicherer als Kartengeld ist.
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Langfinger: Der Diebstahl von Bargeld tut weniger weh als der einer Geldkarte.
Quelle: imago images/Bihlmayerfotografie
Auch am Strand ist gut beraten, wer einen oder zwei Scheine einsteckt und das Portemonnaie mit den Karten zu Hause lässt. Was schmerzt bei einem Diebstahl mehr? Das abhandengekommene Geld oder der Ärger beim Sperren und Wiederbeschaffen der Karten?
Selbst der Sprung von einer Jacht ins Wasser kann einem Euro-Schein heute nichts mehr anhaben. Moderne Banknoten überstehen selbst einen Vollwaschgang mühelos. In Wahrheit ist es nicht mehr die Kreditkarte, die Freiheit verspricht. Es ist das Bargeld.
Lesen Sie hier den Pro-Kommentar zum bargeldlosen Zahlen von Matthias Schwarzer.