München – Die bayerische Landeshauptstadt zeigt sich am Samstag von ihrer besten Seite: strahlend blauer Himmel, Sonnenschein und 24 Grad. Ein Wetter, das viele Menschen an die Isar oder in den Englischen Garten zieht. Trotzdem: Um 10.30 Uhr versammelt sich eine Menschenmenge auf dem Odeonsplatz, eine kleine Bühne steht vor der Feldherrnhalle. “Wie wir sehen, sind schon viele Leute da”, sagt Rosa Kraft vom Münchner “Pro Choice”-Bündnis, das die Gegendemonstration zum “Marsch fürs Leben” mitorganisiert. “Wir wollen heute einfach eine starke Demonstration haben. Einen starken feministischen Protest, einen demokratischen Protest und hoffen, dass wir kämpferisch durch die Straßen ziehen können”, sagt Kraft zur Abendzeitung. 

“Wir wollen einen starken feministischen Protest”: Gegendemo am Odeonsplatz

Zusammen will man die “Marsch fürs Leben”-Route weitestgehend bereits im Vorfeld ablaufen. Das Ziel dabei: “für die Zivilbevölkerung, die nicht bei der Demo teilnimmt, ein Zeichen zu setzten”, so Kraft. Das Bündnis fordert unter anderem die Abschaffung des Paragrafen 218 . Die Vorschrift des Strafgesetzbuchs stellt Schwangerschaftsabbrüche prinzipiell unter Strafe. Eine Abtreibung ist nur straffrei, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen erfolgt und die Schwangere eine Beratung in Anspruch nehmen. Ausnahmen bilden auch medizinische Gründe oder der Abbruch nach einer Vergewaltigung .

Der Paragraph sei “das Gesetz, bei dem der Staat am stärksten in die Körper von Menschen eingreift”, erklärt Kraft der Abendzeitung. “Das, was die Kommission empfiehlt, fordern Feminist:innen bereits seit Jahrzehnten”. Damit bezieht sich die Pro-Choice-Aktivistin auf die Empfehlung einer Expertenkommission der Bundesregierung, auf die 12-Wochen-Regelung zu verzichten und Abtreibungen damit zu entkriminalisieren. “Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar”, so die Expertengruppe laut der “Tagesschau”. Für ein Verbot spricht sich die Kommission erst aus, sobald der Fötus eigenständig lebensfähig ist; Experten gehen hier von der 22. bis 24 Schwangerschaftswoche aus.

Marsch fürs Leben: Überschneidung mit rechten Akteuren

Die Route der Pro-Choice-Demo verläuft durch das Münchner Uni-Viertel zum Königsplatz, wo der “Marsch fürs Leben” seine Kundgebung geplant hat. In diesem Jahr findet die Anti-Abtreibungs-Demo bereits zum vierten Mal in München statt. Die Organisatoren aus überwiegend christlichen Gruppierungen bekommen prominente Unterstützung vom katholischen Bischof Rudolf Voderholzer aus Regensburg und den Weihbischöfen Florian Wörner und Thomas Maria Renz aus Augsburg und Rottenburg-Stuttgart.

Zusammen demonstriert man nach eigener Aussage “gegen Abtreibung, Euthanasie und alle anderen Angriffe gegen das menschliche Leben”. Man feiere das Leben “und die Schönheit und Würde des menschlichen Lebens in jedem Moment seines Daseins“. Laut der Münchner Fachinformationsstelle Rechtsextremismus (Firm) zeigten im vergangenen Jahr aber auch “einige Vorkommnisse die ideologische und personelle Überschneidung zwischen der sogenannten Lebensschutz-Bewegung und anderen (extrem) rechten Akteuren”. Eine Befragung der Organisatoren des “Marsch fürs Leben” zu diesen Umständen war leider nicht möglich; die Veranstalter haben ein AZ-Interview vor Ort kurzfristig abgesagt.

“Das ist wie schwarz und weiß”: Abtreibungsgegner über Pro-Choice-Demo

Auf der Gegendemo tummeln sich zahlreiche junge Frauen, aber auch Familien mit Kindern und ältere Männer und Frauen. Die meisten haben selbstgebastelte Schilder dabei, mit Sprüchen wie “Pro Choice” oder “218 nein danke”. Vera (23) trägt ein Schild mit den Worten “Selbstbestimmt und feministisch”. Sie ist auf der Demo weil sie sich dafür engagieren möchte, dieses Gesetz abzuschaffen. “Ich möchte selber über meinen Körper bestimmen”, sagt die junge Frau zur AZ.
Nina ist 23 Jahre alt, und sie ist im zehnten Monat schwanger. Ihren runden Bauch zieren die Worte: “My body, my choice”. “Ich bin hier, weil ich weiß, dass es ganz viele Frauen gibt, die diesen Zustand nicht erreichen möchten”, sagt sie. “Weil ich es genauso wichtig finde, dass ich mich für ein Kind entscheiden darf und sich andere Frauen dagegen entscheiden dürfen.”

Der Pro-Choice-Demonstrationszug endet gegen 12.30 Uhr in der Katharina-Von-Bora-Straße, direkt neben dem Königsplatz, um den “Marsch fürs Leben” zu empfangen. Von nebenan dringt bereits Blasmusik in die Ohren und immer mehr Menschen versammeln sich dort. Der Platz ist abgesperrt und zahlreiche Polizisten sorgen dafür, dass ein direktes Zusammentreffen vermieden wird.

Auf der Wiese vor der Glyptothek steht ein Ehepaar mit Schildern, auf denen “Abtreibung? Nein danke” zu lesen ist. Im Gegensatz zur Pro-Choice-Demo sind fast alle Plakate hier professionell gedruckt und eher schlicht gehalten. “Ich bin mit meinem Mann hier. Wir sind begeistert, dass es Menschen gibt, die einstehen fürs Leben”, sagt Claudia. Für die Gegendemo hat sie wenig Verständnis: “Das ist wie schwarz und weiß, da sieht man mal, dass es eben viele Menschen gibt, die das nicht verstehen können.”

“Ja dann treib einfach ab”: Abtreibungsgegner in München

Auch Philomena, eine junge Frau aus Freiburg, findet es wichtig, am Marsch teilzunehmen. “Ich glaube aber, dass es eben Frauen gibt, die Gründe haben, […] sich zu entscheiden, dass sie gerade kein Kind bekommen möchten, aber ich glaube da gibt’s einfach andere Möglichkeiten.” Eine Abtreibung hält die 26-Jährige für absolut falsch. Sie glaubt, Frauen würde nicht genügend geholfen und “dann einfach gesagt” werden, “ja dann treib einfach ab”.

Marsch und Gegendemo treffen aufeinander

Kurz nach 14 Uhr startet auch der “Marsch fürs Leben”. Die Demonstrierenden in der Katharina-Von-Bora-Straße empfangen den Marsch mit Buhrufen und skandieren “My body, my choice, raise your voice”. Die Abtreibungsgegner zeigen sich betont unbeeindruckt, manche von ihnen winken der Gegenseite zu. Zwischen den Anti-Abtreibungs-Schildern sind auch eine Deutschlandfahne sowie junge Männer in Burschenschaftsuniformen zu sehen. Auch Heiligenbilder und Priesterkutten blitzen in der Menge auf. Zum Abschluss lassen die Teilnehmenden des “Marsch fürs Leben” blaue und gelbe Luftballons in die Luft steigen. Laut Angaben der Ordnungshüter standen am Enden rund 3000 Menschen vom “Marsch fürs Leben” 1000 Pro-Choice-Demonstranten gegenüber, die Veranstalter sprechen von 6000 Abtreibungsgegnern gegenüber 3500 Gegendemonstranten. 





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